Mami Staffel 2 – Familienroman. Gisela Reutling
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Hier oben auf der Alm fühlte Clara sich dem Himmel ganz nah. Wie ein Engel kam sie sich vor, der zwischen dem lichten Blau hinab auf die Erde schauen konnte und dabei frei atmete, weil kein Gedanke an Alltagssorgen hinauf auf diese Höhe gelangte. Clara schloß die Augen. Nein, es war nicht nur die tausende Meter über dem Meer, denen sie diese innere Gelassenheit verdankte. Es war auch die beruhigende Nähe von Sepp, dem Bergbauern.
»Na, was machen die Blasen am großen Zeh?« schreckte sie sein dunkles Lachen auf.
»Sie brennen nicht mehr«, gab sie ihm zur Antwort. Sepp stand vor ihr und hielt ein Bündel Heu auf der Schulter.
Er deutete kurz zum Himmel. »Es wird bald regnen. Ich schaff das Heu unter den Verschlag. Dann gibt ’s ne Jause.«
Kaum war er hinter der Sennhütte verschwunden, erhob Clara sich von der Bank und ging auf nackten Füßen über die Wiese bis zum Heuhaufen, an dem die Sense lehnte. Sie erinnerte sich, wie Sepp die gehalten hatte, faßte zu und begann ein wenig zu mähen.
Die Grasstoppeln stachen in ihre Fußsohlen, die Sonne brannte ihr auf den Nacken, die Muskeln an Armen und Schulter schmerzten. Aber Stück für Stück sank das saftige Gras am Hang zu Boden, als habe es nur auf ihren Sensenschwung gewartet.
Clara spürte, wie hart diese Arbeit war. Aber innerlich triumphierte sie. Natürlich konnte sie die Sense nicht so geschickt führen, wie sie es bei Sepp beobachtet hatte. Und außerdem blieben ganze Büschel Gras stehen.
»Bist damisch, Clara?«
Sie spürte einen festen Griff an ihrem Arm, gleichzeitig packte die braungebrannte Hand von Sepp die Sense und entwand sie ihr. Kopfschüttelnd und strafend sah er sie an.
»Ja, damisch bist! Barfuß und mit Blasen am Zeh! Außerdem kann ’s ein Blutbad geben! Die Klinge ist rasiermesserscharf! Ja, Mutter Gottes!« stöhnte er komisch. »Was die Weibersleut nicht alles wollen…!«
»Nur versuchen, Sepp. Nur versuchen wollt ich ’s«, bat sie lächelnd um Verständnis. Sepp Heimhofers Blick fiel auf ihr gerötetes Gesicht, in das schweißnasse Haarsträhnen hingen. Strahlend stolze Augen schauten ihn durch die Brillengläser an. »Ein wenig hab’ ich doch geschafft!«
Mit einer Hand schulterte er die Sense, mit der anderen Hand griff er nach ihrer Linken und drehte sie um.
Clara zuckte zusammen.
»Noch eine Blase…!« wunderte sie sich. »Dabei hab’ ich doch nur fünf Minuten…«
»Fünf Minuten reicht für eine zarte Hand, die nur ans Geldzählen gewöhnt ist. Außerdem mußt du die Kraft aus dem Schwung des Arms und der Schulter holen.«
»Wie denn?« Sie entzog ihm ihre Hand und betrachtete die zwei dunklen Blasen an der Fingerwurzel. Sepp lachte.
»Jetzt ist ’s schon zu heiß. Morgen zeig’ ich ’s dir. Aber lieber in der Früh um sechs, wenn ’s noch kühl ist. Willst dir ’nen Hitzschlag holen?«
Dann bündelte er eine neue Ladung vom frischgemähten Heu und trug es zum Verschlag. Sie folgte ihm brav, um auf die Bank zu sinken und wieder die Augen zu schließen.
›Ich werd ’s noch lernen!‹ dachte sie. ›Wenn ’s auch Wochen dauert, ich werd ihm schon zeigen, was in mir steckt.‹ Und sie bewegte leise die Armkugel in der Schulter, spürte das Ziehen und stellte fest, daß es zu ertragen war, wie alle Mühe, die ein Mensch aus Liebe zu einem anderen auf sich nahm.
In der nächsten Viertelstunde erlaubte Sepp ihr nicht, sich von der Bank zu erheben. Er tauchte ihre weißen Strümpfe in die Wassertonne und legte sie ihr wie eine Eispackung auf die Füße, schmierte eine Tinktur auf die Blasen in der Hand und holte dann Getränke, Brot und Käse heraus.
Clara ließ sich von ihm einige Bissen reichen, lehnte sich zurück und lächelte. Eine Weile sprachen sie kein einziges Wort.
»Wenn ’s zu regnen beginnt, wie lange hält das an?« fragte sie ihn plötzlich. Sepp blickte zu den Bergriesen hoch, hinter denen sich dunkle Wolken auftürmten.
»Nicht mehr als eine Stunde. Aber es wird heftig.«
»Das hat Gritli auch gesagt.«
Er nickte. »Gritli kennt sich aus.«
»Sie sagt, das Wetter wird nächste Woche auch nicht halten.«
»So ist es, der Juli bringt arge Hitz’n oder Hagel, Donner, Blitz.«
»Dann ist ’s keine ideale Zeit, um hier oben Urlaub zu machen.«
Während sie den Krug an ihre Lippen hob und gierig trank, sah er sie forschend an. »Wann mußt du zurück, Clara?«
»Am nächsten Freitag.«
»… und wenn ihr länger bleibt?«
Sie stellte den Krug zurück und hob die Brauen. »Möchtest du das?«
Ohne seinen Blick von ihr zu wenden, nickte er. Clara lächelte.
»Ich möcht ’s ja auch. Ich wollt so gern aufs Felshorn rauf wie Gritli. Das Kienjoch versuch’ ich dann zu besteigen, wenn ich mich besser auskenne.«
Sepp lachte aus vollem Hals. »Hast du so einen Ehrgeiz?«
»Ja, ich möcht ’s wirklich gern. Nur, Inge wird nicht mitmachen. Die kann ihren Urlaub auch nicht verlängern. Ich hab’ schon gedacht, vielleicht geht Gritli mal mit mir, an einem Sonntag, wenn schulfrei ist und kein Unwetter uns in Gefahr bringen kann.«
Er sah sie lächelnd an. »So, mit Gritli willst rauf. Mit mir nicht?«
Ihre Brust hob sich vor Freude. »Noch lieber, wenn ’s möglich ist.«
»Und… willst du?«
Ja, sie wollte es mit der ganzen Kraft ihres Herzens. Aber wie konnte sie es zugeben, wenn dort unten im großen Haus eine alte Frau lebte, die mit Argusaugen über jede Minute, die sie zusammen verbrachten, wachte?
Sie war in aller Heimlichkeit mit Sepp auf die Alm gestiegen, hatte sich in ihren unbequemen Schuhen Blasen geholt und trotzdem mit der Sense zu hantieren versucht und dabei ihre zarten Hände geschunden. Aber wie sie sich auch verhielt, für Sepp konnte alles zu neuem Streit mit seiner Mutter führen.
Sepp dagegen wußte, daß es nicht viele Frauen gab, die sich an diese Arbeit wagten. Erst recht fand sich keine Frau weit und breit, deren Blick und deren Stimme ihn so verzauberten. Clara schenkte ihm das Gefühl, gegen alle Widrigkeiten des Lebens gewappnet zu sein, und das löste langanhaltende, innere Spannungen in ihm, so daß er sich bei ihr wie neugeboren fühlte.
»Konnte Gritlis Mutter auch mit der Sense umgehen, Sepp?«
»Das Hannerl hat ’s gelernt«, antwortete er nachdenklich.
»Wurde es ihr schwer?«
Sepp