Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

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Palast, welcher in zwei Stockwerken eine unabsehbare Säulenhalle bildete und so als eine niegesehene Prachtbrücke über den Fluß führte. »Was sich doch alles verändert und vorwärtsschreitet, wenn man nur einige Jahre weg ist!« sagte Heinrich, als er gemächlich in die weite Brückenhalle hineinritt. Während das Gebäude von außen nur in weißem, rotem und grünem Marmor glänzte, allerdings in den herrlichsten Verhältnissen und Gliederungen, waren die Wände inwendig mit zahllosen Malereien bedeckt, welche die ganze fortlaufende Geschichte und alle Tätigkeiten des Landes darstellten. Hirten und Jäger, Bauern und Pfaffen, Staatsmänner, Künstler, Handwerker, Schiffer, Kaufleute, Gemsjäger, Mönche, Jünglinge und Greise, alle waren in ihrem Wesen kenntlich und verschieden und doch sich alle gleich und traten in den dargestellten Handlungen ungezwungen zusammen in den bestimmtesten und klarsten Farben. Die Malerei war einfach, hatte durchaus den Charakter der alten soliden Freskomalerei, aber alle Abwesenheit von gebrochenen Farben und den Künsten des Helldunkels ließ die Bilder nur um so klarer und bestimmter erscheinen und gab ihnen einen unbefangenen und muntern Anstrich. Auch verstand sie alles Volk, das auf der Brücke hin und her wogte, und während sie so durch einen guten und männlichen Stil für den Gebildeten erfreulich blieben, wurden sie durch jene Künste nicht ungenießbar für den weniger Geschulten; denn die Bedeutung der alten Freskomalerei liegt in ihrer tüchtigen Verständlichkeit und Gemeingenießbarkeit, während die Vorzüge der neueren Malerei ein geübtes Auge erfordern und das Volk sich den Teufel um gebrochene Töne kümmert.

      Das lebendige Volk, welches sich auf der Brücke bewegte, war aber ganz das gleiche wie das gemalte und mit demselben eines, wie es unter sich eines war, ja viele der gemalten Figuren traten aus den Bildern heraus und wirkten in dem lebendigen Treiben mit, während aus diesem manche unter die Gemalten gingen und an die Wand versetzt wurden. Diese glänzten dann in um so helleren Farben, als sie in jeder Faser aus dem Wesen des Ganzen hervorgegangen und ein bestimmter Zug im Ausdrucke desselben waren. Überhaupt sah man jeden entstehen und werden, und der ganze Verkehr war wie ein Blutumlauf in durchsichtigen Adern. In dem geschliffenen Granitboden der Halle waren verschiedene Löcher angebracht mit eingepaßten Granitdeckeln, und was sich Geheimnisvolles oder Fremdartiges in dem Handel und Wandel erblicken ließ, wurde durch diese Löcher mit einem großen Besen hinabgekehrt in den unten durchziehenden Fluß, der es schleunig weit wegführte. Der Ein-und Ausgang der Brücke aber war offen und unbewacht, und indem der Zug über dieselbe beständig im Gange war, der Austausch zwischen dem gemalten und wirklichen Leben unausgesetzt stattfand und alles sich unmerklich jeden Augenblick erneuerte und doch das Alte blieb, schien auf dieser wunderbar belebten Brücke Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft nur ein Ding zu sein.

      »Nun möcht ich wohl wissen«, sagte Heinrich vor sich hin, während er aufmerksam alles aufs genaueste betrachtete, »was dies für eine muntere und lustige Sache hier ist!«

      Das Pferd erwiderte auf der Stelle: »Dies nennt man die Identität der Nation!«

      »Himmel!« rief sein Reiter, »du bist ein sehr gelehrtes Pferd! Der Hafer muß dich wirklich stechen! Wo hast du diese gelehrte Anschauung erworben?«

      »Erinnere dich«, sagte der Goldfuchs, »auf wem du reitest! Bin ich nicht aus Gold entstanden? Gold aber ist Reichtum, und Reichtum ist Einsicht.«

      Bei diesen Worten merkte Heinrich plötzlich, daß sein Mantelsack statt mit Wäsche jetzt gänzlich mit jenen goldenen Münzen angefüllt und ausgerundet war, welche er mit den alten Kleidern in das Wasser geworfen hatte. Ohne zu grübeln, woher sie so unvermutet wiederkämen, fühlte er sich höchst zufrieden in ihrem Besitze, und obschon er dem weisen Gaule nicht mit gutem Gewissen recht geben konnte, daß Reichtum Einsicht sei, so war er doch schon insoweit von seiner Behauptung angesteckt und fand sich doch plötzlich so leidlich einsichtsvoll, daß er wenigstens nichts erwiderte und gemütlich weiterritt auf der schönen Brücke.

      »Nun sage mir, du weiser Salomo!« begann er nach einer Weile wieder, »heißt eigentlich die Brücke oder die Leute, so darauf sind die Identität? oder welches von beiden nennst du so?«

      »Beide zusammen sind die Identität!« sagte das Pferd.

      »Der Nation?« fragte Heinrich.

      »Der Nation, zum Teufel noch einmal, versteht sich!« sprach der Goldfuchs.

      »Gut! aber welches ist denn die Nation, die Brücke oder die Leute, so darüberrennen?« sagte Heinrich.

      »Ei, seit wann«, rief das Pferd, »ist denn eine Brücke eine Nation? Nur Leute können eine Nation sein, folglich sind diese Leute hier die Nation!«

      »So! und doch sagtest du soeben, die Nation und die Brücke zusammen machten eine Identität aus!« erwiderte Heinrich.

      »Das sagt ich auch und bleibe dabei!« versetzte das Pferd.

      »Nun, also?« fuhr Heinrich fort.

      »Wisse«, antwortete der Gaul bedächtig, indem er sich auf allen vieren ausspreizte und tiefsinnig in den Boden hineinsah, »wisse, wer diese heiklige Frage zu beantworten, den Widerspruch zu lösen versteht, ohne den scheinbaren Gegensatz aufzuheben, der ist ein Meister hierzulande und arbeitet an der Identität selber mit. Wenn ich die richtige Antwort, die mir wohl so im Maule herumläuft, rund und nett zu formulieren verstände, so wäre ich nicht ein Pferd, sondern längst hier an die Wand gemalt. Übrigens erinnere dich, daß ich nur ein von dir geträumtes Pferd bin und also unser ganzes Gespräch eine subjektive Ausgeburt und Grübelei deines eigenen Gehirnes ist, die du Aberwitziger mit über den Rhein gebracht hast. Mithin magst du fernere Fragen dir nur selbst beantworten aus der allerersten Hand!«

      »Ha! du widerspenstige Bestie!« schrie Heinrich in anthropologischem Zorne und spornte das Pferd heftig, »um so mehr, undankbarer Klepper, bist du mir zu Red und Antwort verpflichtet, da ich dich aus meinem so sauer ergänzten Blute erzeugen und diesen Traum lang speisen und unterhalten muß!«

      »Hat auch was Rechtes auf sich!« erwiderte das Pferd ganz gelassen. »Dieses ganze Gespräch, überhaupt unsere ganze werte Bekanntschaft ist das Werk und die Dauer von kaum zwei Sekunden und kostet doch wohl kaum einen Hauch von deinem geehrten Körperlichen.«

      »Wie, zwei Sekunden?« rief Heinrich und hielt das schöne Goldtier an, »ist es nicht wenigstens eine Stunde, daß wir auf dieser endlosen Brücke reiten und uns umsehen in dem Getümmel?«

      »Gerade eine Sekunde ist’s«, sagte der Gaul, »daß ein berittener Nachtwächter um die Straßenecke bog, und ein einziger Hufschlag hat in dir meine Erscheinung erneuert, welche überhaupt veranlaßt wurde, als vor einer halben Stunde derselbe Nachtwächter des entgegengesetzten Weges kam. Auch ist dieses Minimum von Zeit ein und dasselbe Minimum von Raum, kurz die identische Kleinigkeit deines in das Kopfkissen gedrückten Schädels, in welchem sich eine so weite Gegend und tausend belebte und verschiedene Dinge gleichzeitig ausbreiten, und zwar alles auf Rechnung des einen Hufschlages, welcher nichtsdestominder nur als ein gemeiner Hammerschlag zu betrachten ist, der nur dazu dient, den Kasten deines eigenen Wesens aufzutun, worin alles schon hübsch zusammengepäschelt liegt, was –«

      »Ums Himmels willen!« rief Heinrich, »vergeude nicht länger die kostbare Dauer des Hufschlages mit deinen Auseinandersetzungen, sonst ist der nur allzu kurze Augenblick vorbei, ehe ich über diese schöne Brücke im reinen bin!«

      »Eilt gar nicht! Alles, was wir für jetzo zu erleben und zu erfahren haben, geht vollkommen in das Maß des wackern Pferdetrittes hinein, und wenn der sehr richtig denkende Psalmist den Herrn seinen Gott anschrie: ›Tausend Jahre sind vor dir wie ein Augenblick!‹ so ist diese gut begründete Hypothese von hinten gelesen eine und dieselbe Wahrheit Ein Augenblick ist wie tausend Jahre! Wir könnten noch tausendmal mehr sehen und hören während dieses Hufschlages, wenn wir nur das

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