Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

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Himmel!« rief Heinrich, »wie die Zeit vergeht! Wer hätte das gedacht? Eure Gesichtchen sind aber lieblichere Zeitsonnenuhren als die da drüben! Welche Zeit ist es, du kleine Schlanke?«

      »Es ist Heiratenszeit«, lachte hold die Angeredete, und Heinrich rief hocherfreut und lachend, indem er ihr das zarte Kinn streichelte »Warte du einen Augenblick, ich will nur erst meine Mutter aufsuchen und mit ihr Absprache nehmen!«

      Er flog eilig vom Turm hernieder, und die bergige Stadt hinanreitend, suchte er endlich die Straße und das Haus seiner Mutter auf. Das schwere Pferd konnte aber nur mühsam vorwärts, und es dünkte Heinrich eine qualvolle Ewigkeit, bis er endlich vor dem ersehnten Hause anlangte. Da fiel das Tier vor der Haustür zusammen und verwandelte sich zum Teil wieder in das Gold, aus welchem es entstanden, zum Teil in die schönsten und reichsten Effekten und Merkwürdigkeiten aller Art, wie man sie nur von einer bedeutsamen und glücklichen Reise zurückbringen kann; Heinrich aber stand verlegen bei dem aufgetürmten Haufen von Kostbarkeiten, der sich ganz offen ohne alle tragbare Hülle auf der Straße ausbreitete, und vergeblich suchte er den Drücker der verschlossenen Haustür oder den Glockenzug. Ungeduldig und ratlos, indem er ängstlich seine Reichtümer hütete, sah er an das Haus hinauf und bemerkte erst jetzt, wie seltsam es aussah. Es war gleich einem alten edlen und fachreichen Schrankwerke ganz von dunklem Nußbaumholz gebaut mit unzähligen Gesimsen, Balkonen und Galerien, alles auf das feinste gearbeitet und spiegelhell poliert. Auf den Gesimsen und Galerien standen altertümliche silberne Trinkbecher von jeder Gestalt, kostbare Porzellangefäße und kleine feine Marmorbilder aufgereiht. Große Fensterscheiben von klarem Kristallglas, denen aber das dunkle Innere des Hauses einen dunklen geheimnisvollen Glanz gab, funkelten hinter den Galerien, oder herrlich gemaserte Holztüren, welche ins Innere führten und mit reichgeformten blanken Stahlschlüsseln versehen waren, boten dem Lichte ihre glänzende Fläche dar; denn der Himmel wölbte sich jetzt ganz dunkelblau über dem Hause, und eine merkwürdige halbnächtliche Sonne spiegelte sich in der dunklen Pracht des Nußbaumholzes, im Silber der Gefäße und in den Fensterscheiben. Alles dies sah aus wie das nach außen gekehrte Inwendige eines altbestandenen reichen Hauses und hatte doch ein sehr festes und bauliches Ansehen. Jetzt ent deckte Heinrich, daß außen schön geschnitzte Treppen zu den Galerien hinaufführten, und bestieg dieselben, Einlaß suchend. Wenn er aber eine der Türen öffnete, so sah er nichts als ein Gelaß vor sich, welches mit Vorräten der verschiedensten Art angefüllt war. Hier tat sich eine reiche Bücherei auf, deren dunkle Lederbände von Gold glänzten, dort war Gerät und Geschirr aller Art übereinandergeschichtet, was man nur wünschen mochte zur Annehmlichkeit des Lebens, dort wieder türmte sich ein Schneegebirge feiner Leinwand empor, oder ein duftender Schrank tat sich auf mit hundert köstlichen Kästchen voll Spezereien und Gewürze. Er machte eine Tür nach der anderen wieder zu, wohl zufrieden mit dem Gesehenen und nur ängstlich, das er die Mutter nirgend fand, um sich in dem trefflichen Heimwesen so gleich einrichten zu können. Suchend drückte er sich an eines der prächtigen Fenster und hielt die Hand an die Schläfe, um die Blendung des dunklen Kristalles zu vermeiden; da sah er, anstatt in ein Gemach hinein, in einen herrlichen Garten hinaus, der im Sonnenlichte lag, und dort glaubte er zu sehen, wie seine Mutter im Glanze der Jugend und Schönheit, angetan mit sei denen Gewändern, durch die Blumenbeete wandelte. Er wollte ihr eben sehnlich zurufen, als er unten auf der Gasse ein häßliches Zanken vernahm. Erschreckt sah er sich um und sprang im Nu hinunter; denn unten stand der vom Turme gestürzte junge Mensch aus der Jugendzeit, jener feindliche Meierlein, und störte mit einem Stecken Heinrichs schöne Effekten auseinander. Wie dieser aber unten war, gerieten sie einander in die Haare und rauften sich ganz unbarmherzig. Der wütende Gegner riß dem keuchenden Heinrich alle seine schönen Kleider in Fetzen, und erst als dieser ihm einige verzweifelte Knüffe versetzte, entschwand er ihm unter den Händen und ließ den Ermatteten und ganz Trostlosen in der verdunkelten kalten Straße stehen. Heinrich sah sich angstvoll mit bloßen Füßen und mit nichts als einem zerrissenen Hemde bekleidet dastehen; das Haus aber war das alte wirkliche Haus, jedoch halb verfallen, mit zerbröckelndem Mauerwerk, erblindeten Fenstern, in denen leere oder verdorrte Blumenscherben standen, und mit Fensterläden, die im Winde klapperten und nur noch an einer Angel hingen. Von seiner vortrefflichen Traumeshabe war nichts mehr zu sehen als einige zertretene Reste auf dem kotigen Pflaster, welche dazu von nichts Besonderm herzurühren schienen, und in der Hand hielt er nichts als den seinem bösen Feinde entrungenen Stecken. Heinrich trat entsetzt auf die andere Seite der Straße und blickte kummervoll nach den öden Fenstern empor, wo er deutlich seine Mutter, alt und grau, hinter der dunklen Scheibe sitzen sah, in tiefem Sinnen über die schwarzen Dächer der Nachbarschaft hinausfahrend.

      Heinrich streckte die Arme nach dem Fenster empor; als sich die Mutter aber leise rührte, verbarg er sich hinter einem Mauervorsprung und suchte angstvoll aus der stillen dunklen Stadt zu entkommen, ohne gesehen zu werden. Er drückte sich längs den Häusern hin und wanderte auch alsbald an seinem schlechten Stecken auf einer unabsehbaren Landstraße dahin zurück, wo er hergekommen war. Er wanderte und wanderte rastlos und mühselig, ohne sich umzusehen, und als er in sein wirkliches Elend aufwachte, fiel ihm ein Stein vom Herzen, und er war so froh, als ob der glücklichste Tag ihn begrüßte.

      So zeigte sich dem schlafenden Heinrich die Kraft und Schönheit des Vaterlandes in den lieblichsten Traumbildern, wo alles glänzend übertrieben war in dem Maße, als er sich dahin zurücksehnte und seine verlangende Phantasie das Ersehnte ausmalte. Er wunderte sich über diese Traumgewalt und freute sich derselben wie einer schönen Freundin, welche ihm das Elend versüßte; denn er zehrte tagelang von der Erinnerung der schönen Träume. Noch mehr wunderte er sich über die Gier, mit welcher der Mangel ihn fortwährend von Geld und Gut und allen guten Dingen träumen ließ, was aber gewöhnlich ein schlimmes Ende nahm, und studierte darüber, ob diese Gier wirklich etwa eine in ihm schlummernde Untugend sein möchte? Je tiefer er aber in gänzliche Verlassenheit hineinlebte, desto weniger märchenhaft und unsinnig wurden die Träume, aber sie nahmen eine einfache Schönheit und Wahrheit an, welche, selbst wenn sie traurigen Inhaltes war, eine tröstliche Rührung und Ruhe in Heinrichs Gemüt verbreitete. Die Träume wurden so folgerichtig und lebendig, daß er sich sozusagen sogar während des Traumes jene unmäßigen Geld- und Gutphantasien abgewöhnen konnte mit ihren närrischen Täuschungen und sich auf einfach artige Bilder beschränkte. So träumte er eine Nacht, daß er an dem Rande des Vaterlandes auf einem dunklen Berge säße, während das Land in hellem Scheine vor ihm ausgebreitet lag. Auf den weißen Straßen, auf den grünen Fluren wallten und zogen viele Scharen von Landleuten und sammelten sich zu heiteren Festen, zu allerhand Handlungen und Lebensübungen, was er alles aufmerksam beobachtete. Wenn aber solche Züge nahe an ihm vorübergingen und er manche Befreundete erkennen konnte, so schalten diese ihn im Vorbeigehen, wie er, teilnahmlos in seinem Elende verharrend, nicht sehen könne, was um ihn herum vorgehe. Er verteidigte sich, indem sie vorüberzogen, und rief ihnen sorgfältig gefügte Worte nach, welche wie ein Lied klangen, und dieser Klang lag ihm nach dem Erwachen fort und fort im Gehör, indessen er sich wohl noch des Sinnes, aber durchaus nicht mehr der Worte erinnern konnte, oder wenigstens nur so viel, daß sie wohl an sich sinnlos, aber gut gemeint gewesen seien. Es reizte ihn aber unwiderstehlich, die liedartige Rede herzustellen oder vielmehr von neuem abzufassen bei wachen Sinnen, und indem er ein altes Bleistümpfchen und ein Fetzchen Papier mit Mühe zusammensuchte, schrieb er, in Takt geratend und mit den Fingern zählend, diese Strophen auf:

      Klagt mich nicht an, daß ich vor Leid

      Mein eigen Bild nur könne sehen!

      Ich seh durch meinen grauen Flor

      Wohl euere Gestalten gehen.

      Und durch den starken Wellenschlag

      Der See, die gegen mich verschworen,

      Geht mir von euerem Gesang,

      Wenn auch gedämpft, kein Ton verloren!

      Und wie die Danaide wohl

      Einmal neugierig um

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