Gesammelte Werke von Gottfried Keller. Готфрид Келлер

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Gesammelte Werke von Gottfried Keller - Готфрид Келлер

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Traum, er ist, was er ist, und dauert einen Schlag und nicht mehr noch minder!« sagte das Pferd.

      »Gut, so beantworte mir ohne Anstand noch diese Frage!« erwiderte Heinrich, »ich muß mir aber die Frage erst noch ein wenig zurechtlegen und deutlich abfassen; denn ich weiß nicht recht, wie ich mich ausdrücken soll. Bereite dich indessen, da wir, wie du sagst, ausreichende Traumeszeit haben, recht gründlich auf die Beantwortung vor!«

      »Wie kann ich mich zur Antwort vorbereiten, eh ich nur die Frage kenne?« sagte das Pferd verwundert.

      »Was?« rief Heinrich erbost, »das weißt du nicht? Deinen guten Willen und dein bißchen Ehrlichkeit sollst du zusammennehmen und den Vorsatz fassen, ohne alle Heuchelei und Ausschmückung zu antworten, und selbst wenn du gar nichts zu antworten weißt, so sollst du dies mit gutem ehrlichen Willen bekennen, und dies wird alsdann die gesundeste Antwort sein. Kurz, du sollst, während du philosophierst, wirklich ein Philosoph sein und nicht etwa ein Buchbinder oder ein Kattundrucker!«

      »Es ist doch wunderbar mit den Menschen!« bemerkte der Goldfuchs melancholisch. »Bist denn du etwa jetzt ein Philosoph, während du dir erst ein Pferd träumst, um dir von demselben Fragen beantworten zu lassen, welche du dir einfacher und unmittelbar aus dir selbst beantworten kannst? Muß denn dein träumender Verstand wirklich erst ein Pferd formen, es auf vier Beinen dahinstellen und sich rittlings daraufsetzen, um aus dem Munde dieses Geschöpfes das Orakel zu vernehmen?«

      Heinrich lächelte vergnügt und selbstzufrieden wie einer, der es wohl weiß, daß er sich selbst einen Spaß vormacht, und versetzte »Antworte! Ich sehe hier eine Brücke; dieselbe ist aber vollkommen gebaut und eingerichtet wie ein Palast oder großer Tempel, so daß es in dieser Hinsicht wieder mehr als eine Brücke zu sein scheint, während eine solche vielmehr nur der Weg etwa zu einem guten Tempel oder derartigen Bauwerke zu sein pflegt. Auch beginnt am Ausgange dieser herrlichen Palastbrücke oder dieses Brückenpalastes eine herrliche alte Stadt, deren himmelhohe Lindenwipfel und goldene Turmknöpfe wir wohl unter diese Bogenwölbungen können einherfunkeln sehen, wenn wir uns bücken, so wie wir ja auch aus der schönsten Landschaft herkommen und soeben über die treffliche ideenhaltige Kristalltreppe heruntergestolpert sind. Trotzdem scheint alles auf dieser Brücke so zu leben und zu weben, als ob nichts als diese Brücke da wäre, und ich bin nun begierig zu hören, ob dies stattliche Brückenleben eigentlich ein Übergang, wie es einer Brücke geziemt, oder ein Ziel, wie es ihr auch wieder geziemen könnte, da sie so hübsch ist, ein Zweck oder ein Mittel sei? Ein bloßes Bindemittel oder eine in sich ruhende Vereinigung? Ein Ausgang oder ein Eingang, ein Anfang oder ein Ende? ein A oder ein O? Dies nimmt mich wunder!«

      Das weise Pferd erwiderte »Alles dies ist zumal der Fall, und das ist eben das Herrliche und Bedeutungsvolle an der Sache! Ohne die schönen Ufer wäre die Brücke nichts, und ohne die Brücke wären die Ufer nichts. Alles, was auf der Brücke geht, ist und bedeutet nur etwas, insofern es aus dem Gelände hüben und drüben kommt und wieder dahin geht und dort etwas Rechtes ist, und dort kann man es wiederum nur sein, wenn man als etwas Rechtes über die Brücke gegangen ist. Wenn man auf der Brücke ist, so denkt man an nichts anderes und stürzt sich in den Verkehr, indessen man doch unversehens hinüber gelangt und wieder in seiner besonderen Behausung ist. Dort duselt und hantiert man in Küche und Keller, auf dem Estrich, rund in der Stube herum, als ob man nie auf der Brücke gewesen wäre, bis man plötzlich einmal den Kopf aus dem Fenster steckt und sieht, ob sie noch stehe; denn von allen Punkten aus kann man sie ragen und sich erstrecken sehen. So ist sie ein prächtiges Monument und doch nur eine Brücke, nicht mehr als der geringste Brettersteg; eine bloße Geh- und Fahrbrücke und doch wieder eine statiöse Volkshalle.«

      Plötzlich bemerkte Heinrich, daß er von allen Seiten mit biederer Achtung begrüßt wurde, welche sich besonders dadurch kundgab, daß manche mit einem vertraulichen Griffe und Wichtiger Miene seinen strotzenden Mantelsack betasteten, wie etwa die Bauern auf den Viehmärkten die Weichen einer Kuh betasten und kneifen und dann wieder weitergehen.

      »Der Tausend«, sagte Heinrich, »das sind ja absonderliche Manieren! ich glaubte, es kenne mich hier kein Mensch.«

      »Es gilt auch«, sagte das Pferd, »nicht sowohl dir als deinem schweren Quersack, deiner dicken Goldwurst, die auf meinem Kreuz liegt.«

      »So?« sagte Heinrich, »also ist das Geheimnis und die Lösung dieser ganzen Identitätsherrlichkeit doch nur das Gold, und zwar das gemünzte? Denn sonst würden sie dich ja auch betasten, da du aus dem nämlichen Stoffe bist!«

      »Hm«, sagte das Pferd, »das kann man eigentlich nicht behaupten! Die Leute auf dieser Brücke haben vorerst ihr Augenmerk darauf gerichtet, ihre Identität allerdings zu behaupten und gegen jeglichen Angriff zu verteidigen. Nun wissen sie aber sehr wohl, daß ein kampffähiger guter Soldat wohlgenährt sein muß und ein gutes Frühstück im Magen haben muß, wenn er sich schlagen soll. Da dies aber am bequemsten durch allerlei Gemünztes zu erreichen und zu sichern ist, so betrachten sie jeden, der mit dergleichen wohlversehen, als einen gerüsteten Verteidiger und Unterstützer der Identität und sehen ihn drum an. Sei dem, wie ihm wolle, ich rate dir, dein Kapital hier noch ein wenig in Umlauf zu setzen und zu vermehren. Wenn die Meinung der Leute im allgemeinen auch eine irrige ist, so steht es doch jedem frei, sie für sich zu einer Wahrheit und so seine öffentliche Stellung angenehm zu machen.«

      Heinrich griff in seinen Sack und warf einige Hände voll Goldmünzen in die Höhe, welche sogleich von hundert in die Luft greifenden Händen aufgefangen und weitergeworfen wurden. Heinrich warf immer mehr Gold aus, und dasselbe wanderte von Hand zu Hand über die ganze Brücke und über dieselbe hinaus über das Land; jeder gab es emsig weiter, nachdem er es besehen und ein bißchen an seinem eigenen Golde gerieben hatte, wodurch sich dieses verdoppelte, und bald kehrten alle Goldstücke Heinrichs in Gesellschaft von drei bis vier anderen wieder zurück, und zwar so, daß die ursprüngliche Münze, auf welcher der alte Schweizer geprägt war, die übrigen anführte mit einem Gepräge aus aller Herren Ländern. Er wies ihnen mit seinem Schwerte, welches jetzt ein Merkuriusstab war, den Platz an, und es regnete von allen Seiten auf Heinrich ein. Das Gold setzte sich klumpenweise an alle vier Beine des Pferdes, wie der Blumenstaub, welcher die Höschen der Bienen bildet, so daß es bald nicht mehr gehen konnte. Da es aber immer mehr Gold regnete, so bildete dieses noch zwei große Flügel an dem Tiere, und dieses glich nun wirklich mehr einer ungeheuren beladenen Biene als einem Pferde und flog mit Heinrich lustig von der Brücke auf, welche jetzt endlich zu Ende war.

      Heinrich ritt oder flog jetzt durch die sonnigen Straßen der Stadt, welche herrlich und fabelhaft aussahen und ihm doch ganz bekannt waren, bis er unter die himmelhohen Linden kam, zwischen welchen in der Höhe die zwei goldenen Münsterkronen glänzten, mit lebendigen Mädchen angefüllt. Das goldene Bienenpferd schwang sich mit ihm höher und höher und setzte sich endlich auf einen grünen Lindenast, welcher gerade zwischen beiden Kronen mitteninne schwebte.

      »Das sind«, sagte das lustige Vogeltier, »die heiratslustigen Jungfernmädchen dieses Landes, unter denen du dir als wohlbestellter Mann füglich eine Frau aussuchen kannst.« Heinrich blickte unentschlossen in beide Kronen hinüber, wie der Esel des Buridan zwischen den Heuschobern, und flog endlich mit seinem Tiere in die eine der Kronen, so daß er wie eine Reiterstatue plötzlich in einem Kranze ältlicher Mädchen stand, welche anständig und gemessen um ihn herumtanzten und sangen »Wir sind diejenigen heiratsfähigen Frauenzimmer, welche gerade mannbar waren, als du in die Fremde gereiset bist, und welche seitdem alte Jungfern geworden! Kennst du uns noch? Unten in der Kirche wird getraut!«

      »Teufel noch einmal«, sagte Heinrich, »wie die Zeit vergeht! Wer hätte das gedacht! Ich will aber sehen, was das da drüben für welche sind!«

      Er flog in die andere Krone und sah sich unter eine Schar siebzehn- bis achtzehnjähriger Jüngferchen versetzt, welche, die Locken schüttelnd, mutwillig und doch zartverschämt um ihn tanzten, ihn dabei mit offenen Rehaugen ansahen

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