Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский страница 13
Dieses Stöhnen, das aus ihrer tiefsten Seele herausdrang, klang so schmerzvoll, daß mir das Herz vor Gram brechen wollte. Ich sah, daß Natascha schon alle Herrschaft über sich verloren hatte. Nur eine ganz blinde, sinnlose Eifersucht hatte sie zu einem so wahnsinnigen Entschluß bringen können. Aber auch in meinem eigenen Herzen flammte die Eifersucht auf und kam unhemmbar zum Ausbruch. Ich konnte mich nicht halten: ich ließ mich durch dieses häßliche Gefühl fortreißen.
»Natascha«, sagte ich, »nur eins verstehe ich nicht: wie kannst du ihn lieben nach allem, was du soeben selbst über ihn gesagt hast? Du achtest ihn nicht, du glaubst nicht einmal an seine Liebe, und dennoch gehst du zu ihm ohne die Möglichkeit einer Rückkehr und machst um seinetwillen alle unglücklich! Was ist das für eine Handlungsweise? Er wird dir lebenslänglich Qualen bereiten und du ihm ebenfalls. Du liebst ihn im Übermaß, Natascha, im Übermaß! Ich habe kein Verständnis für eine solche Liebe.«
»Ja, ich liebe ihn wie eine Wahnsinnige«, antwortete sie und wurde dabei blaß wie von heftigem körperlichem Schmerz. »Dich habe ich nie so geliebt, Wanja. Ich weiß ja selbst, daß ich den Verstand verloren habe und nicht so liebe, wie ich sollte. Ich liebe ihn in tadelnswerter Weise … Höre, Wanja, ich wußte es auch früher schon und ahnte es sogar in unseren glücklichsten Augenblicken, daß er mir nur Qualen bereiten werde. Aber was soll ich machen, wenn jetzt sogar die Qualen, die ich von ihm erleide, mein Glück bilden? Geh ich denn etwa zu ihm, weil ich da Freude erhoffe? Weiß ich denn nicht im voraus, was mich bei ihm erwartet und was ich von ihm zu erleiden haben werde? Er hat mir ja geschworen, mich immer zu lieben, und mir alle möglichen Versprechungen gemacht; aber ich glaube an seine Versprechungen nicht, ich messe ihnen keinen Wert bei und habe das auch früher nicht getan, obgleich ich wußte, daß er mich nicht belog und überhaupt nicht fähig ist zu lügen. Ich selbst, ich selbst habe ihm gesagt, daß ich ihn in keiner Weise binden wolle. Für ihn ist es so am besten: Fesseln liebt niemand, und ich am wenigsten. Und doch freue ich mich, seine Sklavin zu sein, seine freiwillige Sklavin, alles von ihm zu ertragen, alles, wenn er nur bei mir ist, wenn ich ihn nur anschauen kann! Mag er auch eine andere lieben, wenn es nur in meiner Gegenwart geschieht, damit auch ich dabei bin … Ist das nicht eine unwürdige Denkart, Wanja?« fragte sie plötzlich, indem sie mich mit einem heißen, brennenden Blick ansah; einen Augenblick lang schien es mir, daß sie im Fieber irrerede. »Es ist doch unwürdig, so etwas zu wünschen! Nicht wahr? Ich sage selbst, daß es unwürdig ist; aber wenn er sich von mir lossagt, so laufe ich ihm nach bis ans Ende der Welt, mag er mich auch zurückstoßen, mag er mich auch von sich jagen. Da redest du mir jetzt zu, ich möchte umkehren; aber was wird die Folge sein? Wenn ich umkehre, werde ich gleich morgen wieder weggehen; wenn er es befiehlt, so gehe ich weg; wenn er mir pfeift, mich ruft wie ein Hündchen, so laufe ich ihm nach … Qualen! Ich fürchte von ihm keine Qualen! Ich werde wissen, daß ich durch ihn leide … Ach, das läßt sich alles gar nicht aussprechen, Wanja!«
»Und der Vater und die Mutter?« dachte ich. An diese schien sie gar nicht mehr zu denken.
»Also wird er dich gar nicht heiraten, Natascha?«
»Er hat es versprochen, er hat alles Mögliche versprochen. Er hat mich ja eben deswegen jetzt herbestellt, damit wir uns gleich morgen im stillen außerhalb der Stadt trauen lassen; aber er weiß ja gar nicht, was er tut. Er weiß vielleicht nicht einmal, wie man sich trauen läßt. Und was wird er für ein Ehemann sein! Wirklich, eine lächerliche Vorstellung! Wenn er sich aber mit mir verheiratet, so wird er unglücklich werden und anfangen, mir Vorwürfe zu machen. Ich will aber nicht, daß er mir jemals irgendwelche Vorwürfe macht. Ich will ihm alles geben, er aber soll mir nichts geben. Wenn er also durch die Heirat mit mir unglücklich wird, warum soll ich ihn dann unglücklich machen?«
»Nein, das ist Wahnwitz, Natascha«, sagte ich. »Gehst du jetzt geradenwegs zu ihm?«
»Nein, er hat versprochen, hierherzukommen und mich abzuholen; so haben wir es verabredet.«
Sie spähte mit gespanntem Blick in die Ferne, aber es war noch niemand zu sehen.
»Und er ist noch nicht da! Und du bist zuerst gekommen!« rief ich empört.
Natascha taumelte wie von einem Schlag getroffen. Ihr Gesicht verzog sich schmerzlich.
»Vielleicht kommt er überhaupt nicht«, sagte sie mit einem bitteren Lächeln. »Vorgestern schrieb er mir, wenn ich ihm nicht verspräche zu kommen, so müsse er notgedrungen seine Absicht, sich mit mir trauen zu lassen, aufschieben; dann werde ihn aber sein Vater zu jener jungen Dame mitnehmen. Und das schrieb er so einfach und harmlos, als ob das weiter nichts zu bedeuten hätte … Wie nun, wenn er wirklich zu ihr hingefahren ist, Wanja?«
Ich antwortete nicht. Sie drückte fest meine Hand; ihre Augen funkelten.
»Er ist bei ihr«, sagte sie kaum hörbar. »Er hoffte auf mein Ausbleiben, um zu ihr fahren und dann sagen zu können, er sei im Recht; er habe mich vorher auf die Folgen hingewiesen, und ich sei trotzdem fortgeblieben. Ich bin ihm langweilig geworden; darum kommt er nicht … O Gott! Ich Wahnsinnige! Er hat mir ja das letztemal selbst gesagt, daß ich ihm langweilig geworden sei … Wozu warte ich noch?«
»Da ist er!« rief ich, da ich ihn plötzlich in der Ferne in der Uferstraße erblickte.
Natascha fuhr zusammen, schrie auf, erspähte den sich nähernden Aljoscha, ließ auf einmal meine Hand los und eilte ihm entgegen. Auch er beschleunigte seine Schritte, und einen Augenblick darauf lag sie schon in seinen Armen. Außer uns befand sich fast niemand auf der Straße. Sie küßten sich und lachten; Natascha lachte und weinte, alles durcheinander, als ob sie einander nach einer wer weiß wie langen Trennung wiedersähen. Eine helle Röte überzog ihre blassen Wangen; sie war in einer Art von Verzückung … Aljoscha bemerkte mich und trat sogleich zu mir.
Neuntes Kapitel
Ich musterte ihn mit gespannter Aufmerksamkeit, obgleich ich ihn vorher schon oft gesehen hatte; ich schaute ihm in die Augen, als ob sein Blick alle meine Zweifel lösen und mir die Frage beantworten könnte, wodurch und auf welche Weise dieses Kind sie hatte bezaubern und in ihr eine so sinnlose Liebe hatte erwecken können, daß sie darüber ihre erste Pflicht vergaß und ohne Bedenken alles zum Opfer brachte, was ihr bisher das Heiligste gewesen war. Der Fürst ergriff meine beiden Hände und drückte sie kräftig; sein milder, klarer Blick drang mir tief ins Herz.
Ich fühlte, daß ich mich in meinem Urteil über ihn schon allein deswegen hatte irren können, weil er mein Feind war. Ja, ich liebte ihn nicht, und ich muß bekennen: ich habe ihn niemals liebgewinnen können, vielleicht als der einzige Mensch unter allen, die ihn kannten. Vieles an ihm mißfiel mir entschieden, sogar sein elegantes Äußeres, und vielleicht gerade deswegen, weil es gewissermaßen allzu elegant war. In der Folge habe ich eingesehen, daß ich in diesem Punkte parteiisch urteilte. Er war hochgewachsen, wohlgestaltet und schlank, hatte ein längliches, immer blasses Gesicht, blondes Haar und große, blaue, sanfte, nachdenkliche Augen, in denen manchmal plötzlich die gutherzigste, kindlichste Heiterkeit aufleuchtete. Seine vollen, kleinen, roten, sehr schön geschnittenen Lippen zeigten fast immer einen ernsten Zug; um so überraschender und bezaubernder wirkte ein plötzlich auf ihnen erscheinendes Lächeln, das so naiv und gutmütig war, daß der andere, in welcher Gemütsstimmung er sich auch befinden mochte, ein unmittelbares Bedürfnis empfand, zur Erwiderung ganz ebenso zu lächeln wie er. Er kleidete sich nicht auffallend, aber immer elegant; es war deutlich zu sehen, daß ihn diese Eleganz in allen Dingen nicht die geringste Mühe kostete, sondern ihm angeboren war.
Allerdings besaß er auch einige üble Eigenschaften, einige schlechte Gewohnheiten des guten Tons: Leichtsinn, Selbstgefälligkeit,