Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
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Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский страница 14
»Wanja«, rief sie, »ich habe ihm unrecht getan und bin seiner nicht wert! Ich dachte, du würdest nicht mehr kommen, Aljoscha. Vergiß meine schlechten Gedanken, Wanja! Ich werde es wiedergutmachen!« fügte sie, ihn mit grenzenloser Liebe anblickend, hinzu.
Er lächelte, küßte ihr die Hand und sagte, ohne ihre Hand loszulassen, zu mir gewendet:
»Denken Sie auch von mir nicht schlecht! Schon längst hatte ich gewünscht, Sie wie einen Bruder zu umarmen; sie hat mir soviel von Ihnen erzählt! Wir sind ja bisher kaum miteinander bekannt geworden und einander noch nicht nähergetreten. Wir werden Freunde sein, und … verzeihen Sie uns!« fügte er halblaut, ein wenig errötend, hinzu, aber mit einem so prächtigen Lächeln, daß ich nicht anders konnte, als seine Begrüßung von ganzem Herzen zu erwidern.
»Ja, ja, Aljoscha«, sagte Natascha, »er ist der Unsrige; er ist unser Bruder; er hat uns schon verziehen, und ohne ihn können wir nicht glücklich sein. Das habe ich dir schon gesagt … Ach, wir sind schlimme Kinder, Aljoscha! Aber wir werden zu dreien leben … Wanja«, fuhr sie fort, und ihre Lippen bebten, »kehre du jetzt gleich zu ihnen nach Hause zurück; du hast ein so goldenes Herz: wenn sie sehen, daß du mir verziehen hast, werden auch sie vielleicht, wenn sie mir auch nicht verzeihen, doch wenigstens etwas milder gegen mich gestimmt werden. Erzähle ihnen alles, alles, in deiner eigenen, herzlichen Ausdrucksweise; du wirst schon die richtigen Worte finden … Verteidige mich, rette mich; teile ihnen alle Gründe mit; lege ihnen alles so dar, wie du es selbst verstanden hast. Weißt du, Wanja, ich hätte mich zu diesem Schritt vielleicht nicht entschlossen, wenn es sich nicht zufällig so getroffen hätte, daß du heute mit mir gingst! Du bist meine Rettung: ich habe gleich auf dich meine Hoffnung gesetzt, daß du verstehen würdest, ihnen die Sache so mitzuteilen, daß ihnen wenigstens der erste Schreck etwas gemildert wird. O mein Gott, mein Gott! … Bestelle ihnen von mir, ich wüßte, daß ich jetzt keine Verzeihung mehr finden kann und daß, wenn sie mir auch verziehen, Gott mir nicht verzeihen wird; aber wenn sie mich auch verfluchten, so würde ich sie doch mein Leben lang segnen und für sie beten. Mein ganzes Herz ist bei ihnen! Ach, warum können wir nicht alle glücklich sein! Warum nicht, warum nicht! … O Gott, was habe ich getan!« rief sie plötzlich, als ob sie zur Besinnung käme, und am ganzen Leib vor Angst zitternd, verbarg sie das Gesicht in den Händen.
Aljoscha umarmte sie und drückte sie, ohne zu reden, fest an seine Brust. Eine Weile schwiegen wir alle.
»Wie konnten Sie nur ein solches Opfer von ihr verlangen!« sagte ich, indem ich ihn vorwurfsvoll anblickte.
»Schelten Sie mich nicht!« versetzte er; »ich versichere Ihnen, daß alle diese Leiden, so drückend sie jetzt auch sind, doch nur einen Augenblick dauern werden. Ich bin davon fest überzeugt. Man muß nur die nötige Festigkeit besitzen, um diesen Augenblick zu ertragen; dasselbe hat auch sie mir gesagt. Sie wissen wohl: schuld an alledem ist dieser Familienstolz, dieser ganz unnötige Streit und dann noch dieser Prozeß! … Aber (ich habe lange darüber nachgedacht, versichere ich Sie) … all das wird in Bälde ein Ende finden. Wir alle werden wieder einig werden und dann völlig glücklich sein; sogar die Väter werden sich versöhnen, wenn sie uns junges Paar ansehen. Wer kann’s wissen, vielleicht wird gerade unsere Verheiratung den Ausgangspunkt für ihre Versöhnung bilden. Ich glaube, es kann gar nicht anders sein. Was meinen Sie ?«
»Sie sagen Verheiratung. Wann werden Sie sich denn trauen lassen?« fragte ich und blickte dabei zu Natascha hin.
»Morgen oder übermorgen; spätestens übermorgen, bestimmt. Sehen Sie, ich weiß es selbst noch nicht genau und habe, die Wahrheit zu sagen, noch keine Veranstaltungen dazu getroffen. Ich dachte, Natascha würde heute vielleicht noch gar nicht kommen. Außerdem wollte mich mein Vater heute durchaus zu einer jungen Dame führen (er möchte, daß ich sie heirate; Natascha hat Ihnen wohl davon gesagt; aber ich will nicht). Na also, darum habe ich alles noch nicht bestimmt in Aussicht nehmen können. Aber dennoch werden wir uns bestimmt übermorgen trauen lassen. Wenigstens ist das meine Ansicht, weil es ja auch nicht anders sein kann. Gleich morgen wollen wir auf der Pskower Chaussee wegfahren. Da habe ich nicht weit von hier auf einem Gut einen Schulkameraden vom Lyzeum her, einen sehr guten Menschen; vielleicht kann ich Sie mit ihm bekannt machen. Dort in dem Dorf ist auch ein Geistlicher; übrigens weiß ich nicht genau, ob einer da ist. Ich hätte mich vorher erkundigen sollen, aber ich bin nicht dazu gekommen. Aber im Grunde sind das Kleinigkeiten. Man muß nur die Hauptsache im Auge behalten. Man kann ja auch aus irgendeinem benachbarten Kirchdorf einen Geistlichen holen lassen; was meinen Sie? Es wird ja doch da in der Nachbarschaft Kirchdörfer geben! Schade ist nur, daß ich bisher nicht dazu gekommen bin, ein paar Zeilen dorthin zu schreiben; ich hätte meinen Freund vorher benachrichtigen sollen. Vielleicht ist er jetzt gar nicht zu Hause … Aber das ist alles nicht von Wichtigkeit! Wenn man nur Entschlossenheit besitzt, dann macht sich das alles ganz von selbst, nicht wahr? Inzwischen aber, bis morgen oder höchstens bis übermorgen, wird sie hier bei mir bleiben. Ich habe eine eigene Wohnung gemietet, in der wir nach unserer Rückkehr wohnen wollen. Bei meinem Vater möchte ich nicht mehr wohnen; habe ich nicht recht? Ich hoffe, Sie werden uns da besuchen. Ich habe die Wohnung allerliebst eingerichtet. Meine früheren Schulkameraden werden auch hinkommen; ich werde Abendgesellschaften geben …« Ich blickte ihn erstaunt und kummervoll an. Natascha flehte mich mit einem Blick an, ihn nicht zu streng zu richten und mit ihm Nachsicht zu haben. Sie hörte sein Gerede mit einem traurigen Lächeln an und betrachtete ihn gleichzeitig mit einer Art von liebevollem Wohlgefallen, wie man ein liebenswürdiges, heiteres Kind ansieht und sein unverständiges, aber nettes Geplauder anhört. Ich warf ihr einen vorwurfsvollen Blick zu. Das Herz wurde mir unerträglich schwer.
»Aber Ihr Vater?« fragte ich. »Sind Sie denn so fest davon überzeugt, daß er Ihnen verzeihen wird?«
»Unbedingt; was soll er denn sonst tun? Das heißt, zuerst wird er mich selbstverständlich verfluchen; davon bin ich sogar überzeugt. Das liegt eben in seinem Wesen; und er ist überhaupt streng gegen mich. Kurz, er wird seine väterliche Gewalt zur Anwendung bringen. Aber all das braucht man nicht ernst zu nehmen. Er liebt mich sinnlos; er wird ein bißchen zürnen und dann verzeihen. Dann werden sich alle versöhnen, und wir werden alle glücklich sein. Auch Nataschas Vater.«
»Aber wenn er Ihnen nun nicht verzeiht? Haben Sie auch diesen Fall in Erwägung gezogen?«
»Er wird mir unfehlbar verzeihen, nur vielleicht nicht so bald. Nun wohl, dann werde ich ihm zeigen, daß auch ich Charakterfestigkeit besitze. Er schilt mich immer, ich hätte keine Charakterfestigkeit,