Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

Чтение книги онлайн.

Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский страница 18

Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

Скачать книгу

Nur Anna Andrejewna verstand es noch, in solchen Augenblicken mit ihm zurechtzukommen, und auch ihr gelang es nicht immer.

      »Hm!… Das kommt alles von deiner Schriftstellerei, Wanja!« rief er fast zornig. »Die hat dich in die Dachstube gebracht und wird dich noch auf den Kirchhof bringen! Ich habe es dir schon damals gesagt und dich gewarnt!… Was macht denn B.? Schreibt er immer noch Kritiken?«

      »Der ist ja schon gestorben, an der Schwindsucht. Ich glaube, ich habe es Ihnen schon gesagt.«

      »Gestorben, hm!… gestorben! Anders konnte es auch nicht kommen. Hat er denn seiner Frau und seinen Kindern etwas hinterlassen? Du sagtest ja wohl, er sei verheiratet, nicht?… Wozu solche Leute nur heiraten!«

      »Nein, er hat nichts hinterlassen«, antwortete ich. »Na, da haben wir’s!« rief er mit solcher Erregung, wie wenn die Sache ihn als nahen Verwandten anginge, wie wenn der verstorbene B. sein leiblicher Bruder gewesen wäre. »Nichts! Gar nichts! Weißt du, Wanja, ich habe das schon vorhergeahnt, daß es so mit ihm enden werde, schon damals, du erinnerst dich, als du ihn mir so lobtest. Das spricht sich so leicht hin: er hat nichts hinterlassen! Hm!… Ruhm hat er sich ja erworben, meinetwegen sogar unsterblichen Ruhm; aber vom Ruhm wird man nicht satt. Und auch was dich betrifft, Wanjuscha, so habe ich schon damals alles vorausgesehen; ich habe dich gelobt, aber im stillen habe ich alles vorausgesehen. Also B. ist gestorben? Wie sollte einer da auch nicht sterben? Ein unerfreuliches Dasein und … ein unerfreulicher Wohnort; da sieh!«

      Und mit einer schnellen, unwillkürlichen Handbewegung wies er auf die neblige, sich vor uns hinziehende Straße, die die aus dem feuchten Dunst hervorschimmernden Laternen nur schwach beleuchteten, auf die schmutzigen Häuser, auf die von Nässe glänzenden Trottoirplatten, auf die mürrischen, ärgerlichen, durchnäßten Passanten, auf dieses ganze Bild, über welchem sich die schwarze, wie mit Kienruß überzogene Kuppel des Petersburger Himmels wölbte. Wir waren nun schon auf den Marienplatz gelangt; vor uns ragte in der Dunkelheit, von unten her durch die Gasflammen erhellt, das Denkmal des Zaren Nikolaus auf, und noch weiter hin erhob sich die finstere, gewaltige Masse der Isaakskathedrale, die sich nur undeutlich von der dunklen Farbe des Himmels abhob.

      »Du hast gesagt, Wanja, er wäre ein guter, edeldenkender, sympathischer Mensch, ein Mensch mit Herz und Gemüt. Na, es ist alles dieselbe Sorte, deine sympathischen Menschen mit Herz und Gemüt! Sie verstehen weiter nichts, als die Zahl der armen Waisen zu vermehren! Hm!… Und auch das Sterben, meine ich, wird ihm nicht vergnüglich gewesen sein! Ja, ja! Er hätte von hier wegfahren sollen, irgendwohin, und wenn’s nach Sibirien gewesen wäre!… Was willst du, Kind?« fragte er auf einmal, als er auf dem Trottoir ein kleines Mädchen sah, das um ein Almosen bat.

      Es war ein kümmerliches, mageres Wesen, nicht älter als sieben oder acht Jahre, in schmutzige Lumpen gekleidet; die kleinen Füße steckten ohne Strümpfe in zerrissenen Schuhen. Sie suchte ihr vor Kälte zitterndes Körperchen mit einem alten kurzen Mäntelchen zu schützen, aus dem sie schon längst herausgewachsen war. Ihr hageres, blasses, kränkliches Gesichtchen war uns zugewendet; schüchtern und schweigend, mit einer Art von ergebungsvoller Furcht vor einem abschlägigen Bescheid, streckte sie uns ihr zitterndes Händchen hin. Der Alte fing bei ihrem Anblick am ganzen Leib ordentlich zu zittern an und wendete sich so schnell zu ihr hin, daß er sie sogar erschreckte. Sie fuhr zusammen und schwankte vor ihm zurück.

      »Was willst du, Kind? Was willst du?« rief er. »Eine Gabe? Ja? Da hast du etwas, da… Nimm, da!«

      Hastig und vor Aufregung zitternd, suchte er in seiner Tasche umher und zog zwei oder drei Silbermünzen heraus. Aber das kam ihm noch zuwenig vor; er holte sein Portemonnaie hervor, entnahm ihm einen Rubelschein (alles, was darin war) und legte das Geld in die Hand der kleinen Bettlerin.

      »Christus behüte dich, du mein liebes kleines Kind! Gottes Engel mögen um dich sein!«

      Er bekreuzte das arme Kind mehrmals mit zitternder Hand; plötzlich aber, als er bemerkte, daß ich ihm zusah, machte er ein finsteres Gesicht und ging mit schnellen Schritten weiter.

      »Siehst du, Wanja, ich kann das gar nicht mit ansehen«, begann er, nachdem er ziemlich lange ärgerlich geschwiegen hatte, »wie diese kleinen, unschuldigen Wesen vor Kälte auf der Straße zittern… um ihrer verfluchten Mütter und Väter willen. Aber freilich, welche Mutter wird auch ein Kind bei solchem Wetter hinausschicken, wenn sie nicht selbst unglücklich ist!… Gewiß hat sie da in ihrem elenden Kämmerchen noch andere vaterlose Waisen sitzen, und dies ist die älteste; sie selbst, die Mutter, ist krank; und… hm! Es sind keine Fürstenkinder! Es gibt auf der Welt viele Kinder, Wanja, die keine Fürstenkinder sind! Hm!«

      Er schwieg eine Weile, wie wenn es ihm Schwierigkeiten machte, das, was er noch sagen wollte, auszusprechen. »Siehst du, Wanja«, begann er dann etwas verwirrt und stockend, »ich habe meiner Frau versprochen, das heißt, ich bin mit Anna Andrejewna übereingekommen, ein Waisenmädchen zur Erziehung anzunehmen, ein armes Kind, ein kleines Kind, ins Haus, ganz und gar; du verstehst? Sonst ist es uns alten Leuten doch gar zu langweilig, so allein, hm!… Aber, siehst du, Anna Andrejewna ist dagegen. Also rede du mit ihr darüber, weißt du, nicht so, als ob ich dich dazu veranlaßt hätte, sondern als ob du es von selbst tätest… überrede sie dazu… verstehst du? Ich wollte dich schon längst darum bitten… daß du sie überreden möchtest einzuwilligen; sie selbst darum so sehr zu bitten behagt mir nicht recht… was soll man über solche Lappalien viel reden! Was habe ich von so einem kleinen Mädchen? Ich bedarf ihrer nicht; es ist nur so zur Erheiterung… damit man eine Kinderstimme hört… übrigens möchte ich es eigentlich nur um meiner Frau willen tun; es wird ihr vergnüglicher sein, als immer nur so mit mir allein zu sitzen. Aber das ist alles nur dummes Zeug! Weißt du, Wanja, auf die Art wird es lange dauern, bis wir hinkommen; wir wollen eine Droschke nehmen; es ist zu weit zum Gehen, und Anna Andrejewna wartet gewiß schon ungeduldig auf uns …«

      Es war halb acht, als wir zu Anna Andrejewna kamen.

      Zwölftes Kapitel

      Die beiden alten Leute liebten einander sehr. Die Liebe und eine langjährige Gewöhnung wirkten zusammen, um sie untrennbar zu verbinden. Aber Nikolai Sergejewitsch benahm sich (und nicht nur jetzt, sondern es war auch früher, in den glücklichsten Zeiten, ebenso gewesen) gegen seine Anna Andrejewna wenig mitteilsam, ja sogar manchmal rauh, namentlich in Gegenwart von Fremden. Bei manchen Naturen findet man, obwohl sie von dem Gefühl warmer Zärtlichkeit erfüllt sind, doch eine gewisse Sprödigkeit, eine Art von keuscher Scheu davor, sich völlig auszusprechen und dem geliebten Wesen selbst gegenüber ihre Zärtlichkeit kundzutun, und zwar nicht nur in Gegenwart von Fremden, sondern auch unter vier Augen; unter vier Augen sogar in noch höherem Grad; nur selten kommt bei ihnen die Zärtlichkeit zum Durchbruch, dann aber um so heißer und heftiger, je länger sie zurückgehalten war. Von dieser Art war auch der alte Ichmenew im Verkehr mit seiner Anna Andrejewna, und zwar schon seit ihrer Jugend. Er verehrte und liebte sie grenzenlos, trotzdem sie einfach nur eine gute Frau war und nichts weiter verstand, als ihn zu lieben, und er ärgerte sich gewaltig darüber, daß sie ihrerseits in ihrer Harmlosigkeit ihm gegenüber manchmal sogar eine übergroße, unvorsichtige Offenheit zeigte. Aber seit Natascha das Elternhaus verlassen hatte, schienen die beiden gegeneinander zärtlicher geworden zu sein; sie fühlten mit tiefem Schmerz, daß sie allein auf der Welt zurückgeblieben waren. Und obgleich Nikolai Sergejewitsch manchmal außerordentlich mürrisch war, so konnten sie doch beide nicht einmal zwei Stunden lang getrennt sein, ohne sich schmerzlich einer nach dem andern zu sehnen. Von Natascha redeten sie wie nach stillschweigender Übereinkunft keine Silbe, als ob sie überhaupt nicht auf der Welt sei. Anna Andrejewna wagte in Gegenwart ihres Mannes nicht einmal eine deutliche Anspielung auf sie, obgleich ihr das sehr schwerfiel. Sie hatte der Tochter in ihrem Herzen schon längst verziehen. Zwischen ihr und mir bestand eine Art von Abmachung, daß ich ihr bei jedem meiner Besuche Nachrichten von ihrem lieben, unvergessenen Kinde bringen sollte.

      Die alte Frau wurde krank, wenn sie lange

Скачать книгу