Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский страница 20
»Glaube doch das nicht!« unterbrach mich die alte Frau. »Was wird sie denn für ein entzückendes Geschöpf sein? Für euch Tintenkleckser ist jede ein entzückendes Geschöpf, wenn sie nur ihre Röcke zu schlenkern versteht. Und wenn Natascha sie lobt, so tut sie das nur, weil sie ein so gutes, edles Herz hat. Sie versteht nicht, ihn festzuhalten; alles verzeiht sie ihm, und sie selbst leidet und leidet. Wie oft hat er sie schon betrogen! Was gibt es für hartherzige Bösewichter! Ich lebe in der größten Seelenangst, Iwan Petrowitsch. Der Stolz hat sie alle betört. Wenn nur mein Mann sich bezwingen und meinem lieben Kind verzeihen und sie wieder herholen möchte! Dann würde ich sie endlich wiedersehen und in meine Arme schließen! Ist sie abgemagert?« »Allerdings, Anna Andrejewna.«
»Ach, mein armes, liebes Kind! Ich habe auch ein Unglück gehabt, Iwan Petrowitsch. Die ganze Nacht und den ganzen Tag habe ich heute geweint; den Grund werde ich dir nachher sagen. Unzählige Male habe ich meinem Mann beiläufig eine Andeutung gemacht, er möchte ihr doch verzeihen; geradezu wage ich es nicht; ich habe nur so ganz von weitem auf eine geschickte Manier die Rede darauf gebracht. Aber mein Herz will ganz verzagen: ich glaube, er wird in Zorn geraten und sie ganz und gar verfluchen! Eine Verfluchung habe ich bis jetzt noch nicht von ihm gehört, aber ich fürchte, daß es doch noch dazu kommt. Und was wird dann geschehen? Wenn der Vater sie verflucht hat, dann wird auch Gott sie strafen. Ist das ein Leben; jeden Tag zittre ich vor Angst. Aber auch du solltest dich schämen, Iwan Petrowitsch; du bist doch in unserem Haus aufgewachsen und hast von uns beiden alle elterliche Liebe erfahren: und da bekommst du es doch fertig, von einem entzückenden Geschöpf zu reden! Wie kannst du nur! Was wird sie denn für ein entzückendes Geschöpf sein? Da redet Marja Wassiljewna viel besser. (Ich habe einmal eine Sünde begangen und sie zum Kaffee eingeladen, als mein Mann den ganzen Vormittag in Geschäften ausgegangen war.) Sie hat mir das ganze Geheimnis enthüllt. Der Fürst, Aljoschas Vater, hat mit der Gräfin ein unerlaubtes Verhältnis unterhalten. Die Gräfin hat ihm schon seit langer Zeit, wie es heißt, Vorwürfe darüber gemacht, daß er sie nicht heirate; aber der Fürst ist immer ausgewichen. Diese Gräfin aber hat damals, als ihr Mann noch lebte, durch ihren schandbaren Lebenswandel Aufsehen erregt. Nach dem Tod ihres Mannes ging sie ins Ausland: da verkehrte sie mit einer Menge italienischer und französischer Barone, und da verstand sie es auch, den Fürsten Pjotr Alexandrowitsch an sich zu ketten. Ihre Stieftochter aber, die Tochter ihres verstorbenen Mannes, eines Branntweinpächters, war inzwischen dem Kindesalter entwachsen. Die Gräfin, die Stiefmutter, brachte ihr eigenes Vermögen vollständig durch; aber Katerina Fjodorowna wuchs unterdessen heran, und die zwei Millionen Rubel, die ihr Vater, der Branntweinpächter, ihr bei der Bank hinterlassen hatte, wuchsen auch heran. Jetzt, sagt man, besitzt sie drei Millionen; und da hat sich nun der Fürst gesagt: »Die sollte Aljoscha heiraten!« (Keine schlechte Spekulation! Er weiß auf seinen Vorteil zu setzen.) Der Graf, der vornehme Herr am Hofe, du erinnerst dich wohl, der Verwandte des Fürsten, war ebenfalls einverstanden; drei Millionen sind keine Kleinigkeit. »Gut«, sagte er, »reden Sie mit dieser Gräfin!« Der Fürst teilte der Gräfin seinen Wunsch mit. Aber die widersetzte sich mit Händen und Füßen: sie ist ein Weib ohne Anstand, sagt man, ein rechter Zankteufel! Sie hat hier nicht in allen Familien Zutritt, sagt man; das ist hier anders als im Ausland. »Nein«, sagte sie, »Fürst, du selbst mußt mich heiraten; meine Stieftochter kann nicht Aljoschas Frau werden.« Das Mädchen aber, die Stieftochter, ist ihrer Stiefmutter sehr ergeben, vergöttert sie beinahe und gehorcht ihr in allen Stücken. Man sagt, sie sei sanft und fügsam wie ein Engel! Der Fürst sah, um was es sich handelte, und sagte: »Beunruhige dich nicht, Gräfin! Du hast dein Vermögen durchgebracht und Schulden gemacht, die du nicht bezahlen kannst. Aber wenn deine Stieftochter Aljoscha heiratet, so werden die beiden zueinander passen: sie ist naiv, und er ist ein Dummkopf; wir beide werden sie gleich von Anfang an unter unsere Vormundschaft nehmen; dadurch wirst auch du zu Geld kommen. »Aber was nützt es dir«, sagte er, »mich zu heiraten?« So ein Schlaukopf! Der reine Freimaurer! So stand die Sache vor einem halben Jahr; die Gräfin konnte sich damals nicht entschließen; aber jetzt, sagt man, sind sie nach Warschau gefahren und haben sich da miteinander geeinigt. So habe ich das gehört. All das hat mir Marja Wassiljewna erzählt, das ganze Geheimnis; sie selbst hat es von einem’ zuverlässigen Gewährsmann gehört. Also darum handelt es sich bei diesem Eheprojekt, um das Geld, um die Millionen, nicht darum, daß sie ein entzückendes Geschöpf ist!«
Anna Andrejewnas Erzählung machte auf mich einen starken Eindruck. Sie stimmte vollständig zu alledem, was ich unlängst von Aljoscha selbst gehört hatte. Bei seinen Mitteilungen hatte er sich gerühmt, er werde unter keinen Umständen um des Geldes willen heiraten; er hatte aber gesagt, Katerina Fjodorowna habe ihm außerordentlich gut gefallen. Ich hatte von Aljoscha auch noch gehört, daß sein Vater sich vielleicht selbst wieder verheiraten werde, obgleich er diese Gerüchte als unwahr bezeichne, um die Gräfin nicht vor der Zeit zu reizen. Ich habe schon gesagt, daß Aljoscha seinen Vater sehr liebte, auf ihn stolz war und ihm in allen Stücken wie einem Orakel vertraute. »Sie ist ja doch auch nicht aus gräflichem Geschlecht, dein entzückendes Geschöpf!« fuhr Anna Andrejewna fort, die über mein Lob des dem jungen Fürsten zugedachten Mädchens höchst aufgebracht war. »Natascha wäre für ihn eine weit bessere Partie. Jene ist die Tochter eines Branntweinpächters, während Natascha aus einer altadligen Familie stammt und ein hochwohlgeborenes Fräulein ist. Mein Mann hat gestern (ich habe vergessen, dir das zu erzählen) seine eisenbeschlagene Truhe aufgemacht (du kennst sie wohl?) und den ganzen Abend mir gegenübergesessen und, unsere alten Papiere durchgesehen. So saß er in tiefem Ernst da. Ich strickte einen Strumpf und sah meinen Mann gar nicht an, vor Furcht. Als er merkte, daß ich nichts sagte, wurde er ärgerlich und redete mich selbst an und erklärte mir den ganzen Abend über unseren Stammbaum. Es ergab sich dabei, daß wir, die Ichmenews, schon unter der Regierung Iwan Wassiljewitschs des Schrecklichen Edelleute waren und daß meine Familie, die Schumilows, schon unter der Regierung Alexei Michailowitschs in Ansehen stand; wir haben Dokumente darüber, und es ist auch in Karamsins russischer Geschichte erwähnt. Also sind wir in dieser Hinsicht nicht schlechter als andere Leute, lieber Freund. Als mein Mann anfing, mir das auseinanderzusetzen, da begriff ich gleich, was ihm im Kopf steckte. Es war ihm nämlich kränkend, daß Natascha als minder vornehm angesehen wurde. Nur durch ihren Reichtum ist uns die andere über. Na, mag dieser schändliche Mensch, Fürst Pjotr Alexandrowitsch, nach Reichtum trachten; das ist ja allgemein bekannt, daß er ein hartes, habsüchtiges Herz hat. Es heißt, er sei in Warschau heimlich Jesuit geworden; ob das wohl wahr ist?«
»Ein törichtes Gerücht!« erwiderte ich; aber es interessierte mich unwillkürlich, daß sich dieses Gerücht so hartnäckig hielt.
Aber die Nachricht, daß Nikolai Sergejewitsch seine alten Papiere durchgesehen hatte, erregte meine Aufmerksamkeit. Früher hatte er sich niemals seines Stammbaumes gerühmt.
»Es sind alles hartherzige Bösewichter!« fuhr Anna Andrejewna fort. »Nun, was macht denn mein liebes Kind, grämt sie sich, weint sie? Ach, es wird Zeit, daß du zu ihr gehst! Matrjona, Matrjona! Bist du eine nachlässige Person! Haben sie sie auch nicht gekränkt? So sprich doch, Wanja!«
Was sollte ich ihr antworten? Die alte Frau fing an zu weinen. Ich fragte sie, was sie noch für ein Unglück gehabt habe, von dem sie mir vorhin habe Mitteilung machen wollen.
»Ach, lieber Freund, es ist an dem bisherigen Unglück noch nicht genug gewesen; wir haben offenbar den Becher noch nicht ganz geleert! Du erinnerst dich vielleicht, lieber Wanja, ich hatte ein goldenes Medaillon, ein Souvenir, und darin war ein Bild Nataschas aus ihrer Kinderzeit; acht Jahre war sie damals alt, mein Engelchen. Nikolai Sergejewitsch und ich hatten es von einem durchreisenden Maler machen lassen; du hast das gewiß vergessen, Wanjuscha. Es war ein tüchtiger Künstler; er hatte sie als Amor dargestellt: sie hatte damals so schönes, helles, lockiges Haar; in einem Musselinhemdchen hatte er sie gemalt, so daß das Körperchen durchschimmerte, und sie sah auf dem Bild so hübsch aus, daß ich ‘ mich gar nicht daran satt sehen konnte. Ich bat den Maler, ihr auch Flügelchen zu malen, aber das wollte er nicht. Also, lieber Freund, nach