Gesammelte Werke von Dostojewski. Федор Достоевский

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Gesammelte Werke von Dostojewski - Федор Достоевский

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und fürchtete immer, mein Mann könnte es einmal zu sehen bekommen. Er hatte ja gleich damals befohlen, wir sollten alle ihre Sachen aus dem Haus schaffen oder verbrennen, damit nichts dabliebe, was uns an sie erinnern könnte. Mir aber war es ein Trost, auch nur ihr Bild anzusehen; oft fing ich bei dem Anblick an zu weinen; aber es wurde mir doch leichter ums Herz; und manchmal, wenn ich allein war, konnte ich mich gar nicht satt daran küssen, als ob ich sie selbst küßte; ich gab ihr zärtliche Namen und bekreuzte sie auch jedesmal zur Nacht. Ich redete mit ihr laut, wenn ich allein war, und fragte sie allerlei und stellte mir vor, daß sie mir darauf antwortete, und fragte dann weiter. Ach, Wanjuschka, es macht einen traurig, auch nur davon zu erzählen! Na, ich war nur froh, daß er wenigstens von dem Medaillon nichts wußte und nichts gemerkt hatte; aber auf einmal, gestern früh, war das Medaillon weg, und es hing nur das Schnürchen da; dieses hatte sich jedenfalls durchgescheuert, und da hatte ich das Medaillon verloren. Ich wurde ganz starr vor Schreck. Nun hieß es suchen: ich suchte und suchte – nichts zu finden! Es war verloren und verschwunden! Aber wo konnte ich es verloren haben? »Wahrscheinlich«, dachte ich, »im Bett«; ich durchwühlte das ganze Bett – nichts da! Wenn es losgerissen und irgendwohin gefallen war, dann hatte es wohl jemand gefunden; aber wer konnte es gefunden haben außer meinem Mann und Matrjona? Na, an Matrjona war überhaupt nicht zu denken; die ist mir mit ganzer Seele ergeben… (Matrjona, bringst du nicht bald den Samowar?) »Na«, dachte ich, »wenn er es nun findet, was wird dann geschehen?« Ich saß still da und grämte mich und weinte; ich konnte die Tränen nicht zurückhalten. Aber Nikolai Sergejewitsch wurde immer freundlicher und freundlicher gegen mich; er sah mich betrübt an, als ob er wüßte, weshalb ich weinte, und mit mir Mitleid hätte. Da dachte ich bei mir: »Woher kann er es wissen? Hat er das Medaillon vielleicht wirklich gefunden und aus dem Fenster geworfen? Denn in seinem Zorn ist er dessen fähig; er hat es hinausgeworfen und grämt sich nun selbst; er bereut, daß er es getan hat.« Ich ging sogar mit Matrjona hinaus, und wir suchten unter dem Fenster; aber wir fanden nichts. Das Medaillon war wie von der Erde verschwunden. Ich habe die ganze Nacht hindurch geweint. Zum erstenmal konnte ich Natascha nicht zur Nacht bekreuzen. Ach, das bedeutet etwas Schlimmes, das bedeutet etwas Schlimmes, Iwan Petrowitsch, das ist keine gute Vorbedeutung; nun weine ich schon den zweiten Tag, ohne mir je die Augen zu trocknen. Ich habe auf dich gewartet, lieber Freund, wie auf einen Engel Gottes: ich kann mir wenigstens das Herz erleichtern …« Und die alte Frau brach in bittere Tränen aus. »Ach ja, das habe ich noch vergessen, dich zu fragen,« sagte sie auf einmal, erfreut, daß es ihr noch eingefallen war; »hat er dir etwas von einer Waise gesagt?« »Ja, Anna Andrejewna, er sagte zu mir, Sie beide wären nach längerem Überlegen übereingekommen, ein armes Waisenmädchen zur Erziehung anzunehmen. Ist das richtig?«

      »Ist mir nicht eingefallen, lieber Freund, ist mir nicht eingefallen! Ich will keine Waise haben! Sie würde mich nur an unser trauriges Schicksal, an unser Unglück erinnern. Außer Natascha will ich niemand haben. Sie war unsere einzige Tochter und wird immer unsere einzige Tochter bleiben. Aber was hat das nur zu bedeuten, lieber Freund, daß er auf die Annahme einer Waise verfallen ist? Wie faßt du das auf, Iwan Petrowitsch? Wollte er mich damit trösten, weil er meine Tränen sah, oder wollte er dadurch seine leibliche Tochter ganz aus seinem Gedächtnis vertreiben und seine Zuneigung einem anderen Kind zuwenden? Was hat er dir unterwegs von mir gesagt? Wie ist er dir vorgekommen – finster, zornig? Pst! Er kommt! Sag es mir ein andermal, lieber Freund, ein andermal!… Vergiß nicht, morgen herzukommen…«

      Dreizehntes Kapitel

      Der Alte trat ein. Neugierig, und als ob er sich über etwas schämte, sah er uns an, machte dann ein finsteres Gesicht und trat an den Tisch.

      »Wie ist’s mit dem Samowar?« fragte er. »Konnte der denn noch nicht gebracht werden?«

      »Da kommt er schon, Heber Mann, da kommt er; na, siehst du, da ist er schon!« erwiderte Anna Andrejewna und machte sich eifrig mit dem Teetisch zu schaffen.

      Matrjona war, sowie sie den Hausherrn erblickt hatte, sofort mit dem Samowar erschienen, als ob sie nur auf seinen Eintritt gewartet hätte, um ihn zu bringen. Es war dies eine alte, erprobte, ergebene Dienerin, aber die eigenwilligste, brummigste von allen Dienerinnen auf der Welt, mit einem hartnäckigen, störrischen Charakter. Vor Nikolai Sergejewitsch hatte sie Furcht und hielt in seiner Anwesenheit immer ihre Zunge im Zaum. Dafür hielt sie sich vollauf an Anna Andrejewna schadlos, benahm sich fortwährend grob gegen sie und erhob offenkundig den Anspruch, über ihre Herrin zu herrschen, obwohl sie gleichzeitig sie und Natascha aufrichtig und von Herzen liebte. Diese Matrjona kannte ich schon von Ichmenewka her.

      »Hm!… Das ist doch unangenehm, wenn man durchnäßt nach Hause kommt und sie nicht einmal so freundlich gewesen sind, Tee für einen bereitzuhalten«, brummte der Alte halblaut.

      Anna Andrejewna blinzelte mir mit Bezug auf ihn sogleich zu. Er konnte solche geheimen Blicke nicht leiden, und obgleich er sich in diesem Augenblick Mühe gab, uns nicht anzusehen, so war ihm doch am Gesicht anzumerken, daß ihm Anna Andrejewnas Blick nicht entgangen war.

      »Ich war in Geschäften ausgegangen, Wanja«, begann er auf einmal. »Es ist eine ganz nichtswürdige Geschichte. Habe ich es dir schon gesagt? Ich werde vollständig verurteilt werden. Ich habe keine Beweise, siehst du wohl; es fehlen mir die erforderlichen Belege; meine Auskünfte stellen sich als unrichtig heraus, heißt es … Hm!«

      Er redete von seinem Prozeß mit dem Fürsten; dieser Prozeß zog sich immer noch hin, hatte aber für Nikolai Sergejewitsch eine sehr üble Wendung genommen. Ich schwieg, da ich nicht wußte, was ich ihm antworten sollte. Er sah mich mißtrauisch an.

      »Na, nur zu!« rief er plötzlich, wie wenn unser Schweigen ihn gereizt hätte; »je schneller, um so besser! Zum Schurken können sie mich nicht machen, wenn sie mich auch zur Zahlung verurteilen. Mein Gewissen spricht mich frei; mögen sie ihren Spruch fällen, wie sie wollen! Wenigstens ist dann die Sache zu Ende; der Prozeß ist abgewickelt, und ich bin ruiniert… Ich lasse alles im Stich und gehe nach Sibirien.«

      »Herrgott, warum sollen wir denn von hier fort? Und warum gleich so weit?« rief Anna Andrejewna, die nicht imstande war, sich zu beherrschen.

      »Was haben wir denn hier, das uns fesseln könnte?« fragte er in grobem Ton; er schien sich über den Widerstand seiner Frau zu freuen.

      »Nun, wir haben doch wenigstens… Menschen um uns…«, begann Anna Andrejewna und sah mich bekümmert an.

      »Aber was für Menschen!« rief er und ließ seinen zornigen Blick zwischen mir und ihr hin-und hergehen; »was für Menschen! Räuber, Verleumder, Verräter! Solche Menschen gibt es überall in Menge; sei unbesorgt, die wirst du auch in Sibirien finden. Wenn du aber nicht mit mir kommen willst, dann bleib meinetwegen hier; ich zwinge dich nicht.«

      »Liebster Nikolai Sergejewitsch! Um welcher Menschen willen werde ich denn ohne dich hierbleiben?« rief die arme Anna Andrejewna. »Ich habe ja auf der ganzen Welt außer dir niem …«

      Sie sprach nicht zu Ende, verstummte und richtete einen ängstlichen Blick auf mich, wie wenn sie mich um Hilfe und Beistand bäte. Der Alte war in sehr gereizter Stimmung und ereiferte sich über jedes Wort; man durfte ihm nicht widersprechen.

      »Lassen Sie es gut sein, Anna Andrejewna«, sagte ich; »in Sibirien ist es gar nicht so schlecht, wie man vielfach glaubt. Wenn ein Unglück eintritt und Sie Ichmenewka verkaufen müssen, so ist Nikolai Sergejewitschs Plan sogar recht gut. In Sibirien kann man leicht eine ordentliche Stellung als Privatangestellter finden, und dann…«

      »Na, wenigstens du, Wanja, sprichst vernünftig; das hatte ich auch von dir gedacht. Ich lasse alles im Stich und gehe davon.«

      »Nein, das hatte ich denn doch nicht erwartet!« rief Anna Andrejewna und schlug die Hände zusammen. »Und auch du, Wanja, haust in denselben Kerb! Das hatte ich von dir nicht erwartet! Du hast doch von uns immer nur Freundlichkeit

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