Gesammelte Werke. Джек Лондон
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Wäre es ein gesunder Wolf gewesen, es hätte den Mann gar nicht so gestört. Aber der Gedanke, dass er Futter für den Magen dieses ekligen und fast schon verreckten Geschöpfes werden würde, stieß ihn ab. Seine Gedanken begannen wieder weite Wege zu wandeln. Halluzinationen überwältigten ihn, und die Augenblicke klaren Bewusstseins wurden immer kleiner.
Ein Schnaufen dicht neben seinem Ohr weckte ihn aus einer Ohnmacht. Es war der Wolf, der jetzt ungeschickt zurücksprang, dabei das Gleichgewicht verlor und erschöpft hinfiel. Es sah lächerlich aus, aber der Mann war nicht in der rechten Stimmung, sich darüber zu amüsieren. Ebensowenig empfand er irgendwelche Angst. Das Stadium der Furcht hatte er hinter sich. Aber sein Gehirn war wieder klar geworden, und er blieb liegen und überlegte. Das Schiff war nur vier Meilen entfernt. Er konnte es ganz deutlich sehen, wenn er sich den Nebel aus den Augen rieb, und er sah auch die weißen Segel eines kleinen Bootes, welches das Wasser des schimmernden Sees durchschnitt. Er wusste indessen, dass er nie imstande sein würde, diese letzten vier Meilen zu kriechen. Und doch war er trotz dieses verhängnisvollen Wissens – vollständig ruhig … Er wusste sogar, dass er nicht einmal eine halbe Meile zu kriechen vermochte. Und dennoch wünschte er, am Leben zu bleiben. Es schien ihm ganz irrsinnig, sterben zu wollen, nachdem er so viel ausgehalten hatte. Das Schicksal stellte zu große Ansprüche an ihn. Und selbst jetzt; da er dem Tode nahe war, wollte er nicht sterben. Es war freilich der reine Wahnsinn, aber dennoch verachtete er den Tod noch in dem Augenblick, da er ihn am Kragen packte. Er weigerte sich, zu sterben.
Er schloss die Augen und legte sich mit unendlicher Vorsicht zurecht. Er nahm sich zusammen, um nicht in die quälende Ohnmacht zu sinken, die wie eine steigende Flut alle Quellen seines Wesens überschwemmte. Es war fast wie das Meer, dieses tödliche Ohnmachtsgefühl, das immer stieg und stieg und Stück für Stück sein Bewusstsein verschlang. Zuweilen tauchte er vollkommen darin unter und schwamm mit unsicheren Schlägen durch das große Vergessen. Und dann gelang es ihm dank irgendeinem seltsamen Element seiner Seele immer wieder, einen neuen Streifen von Willen zu finden, sodass er wieder mit stärkeren Zügen weiterschwimmen konnte.
Unbeweglich blieb er auf dem Rücken liegen. Er konnte den Atem des Wolfes hören, der sich langsam näher schlich. Immer näher kam das Tier, immer näher, obgleich es eine Ewigkeit dauerte. Aber er rührte sich nicht. Jetzt war der Wolf an seinem Ohr. Die raue trockene Zunge rieb wie Sandpapier die Haut seiner Wange. Seine Hände stießen hin – oder jedenfalls wollte er, dass sie hinstießen. Die Finger waren gekrümmt wie die Krallen eines Raubvogels – aber sie schlossen sich nur um die leere Luft. Schnelligkeit und Entschluss erfordern Stärke, und der Mann, der hier am Boden lag, besaß keine mehr.
Die Geduld des Wolfes war erschütternd. Aber die des Mannes war nicht weniger unheimlich. Einen halben Tag blieb er unbeweglich liegen, überwand die Bewusstlosigkeit, die sich an ihn heranschlich, und wartete auf dies Geschöpf, das sich an ihm sättigen wollte – und an dem er sich zu sättigen entschlossen war. Hin und wieder quoll die Woge der Ohnmacht über ihn herein, und er träumte lange Träume. Aber stets – ob wachend oder träumend – wartete er auf das Schnaufen des Tieres und die raue Liebkosung der Zunge.
Er hörte nicht einmal das Atmen des Tieres und glitt nur langsam aus irgendeinem Traum auf, um die Zunge an seiner Hand zu spüren. Er wartete immer noch. Die Pfoten begannen leise zuzudrücken, und der Druck wurde stärker … Der Wolf spannte seine letzten Kräfte an, um die Zähne in die Beute zu setzen, auf die er so lange gewartet hatte. Aber auch der Mann hatte lange gewartet, und die eine erschöpfte Hand schloss sich um den Kiefer. Der Wolf konnte nur schwach kämpfen, aber die Hand hatte auch nicht viel Kraft. Deshalb gelang es der anderen Hand nur sehr schwerfällig und langsam, sich zu einem zweiten Griff zu heben. Fünf Minuten darauf ruhte das ganze Gewicht des Mannes auf dem Vorderteil des Wolfes. Die Hände hatten nicht Kraft genug, das Tier zu erwürgen, aber der Mann drückte sein Gesicht dicht an die Kehle des Wolfes, und sein Mund füllte sich mit Haaren. Als eine halbe Stunde vergangen war, fühlte er ein warmes Rieseln durch seinen Hals. Angenehm war es nicht. Es war ungefähr, wie wenn er geschmolzenes Blei in den Magen goss, und nur eine starke Willensanspannung ermöglichte es ihm. Darauf drehte der Mann sich auf den Rücken und schlief ein.
An Bord des Walfängerschiffes »Bedford« befanden sich die Mitglieder einer wissenschaftlichen Expedition. Vom Deck sahen sie ein seltsames Ding am Ufer. Es bewegte sich den Strand hinunter auf das Schiff zu. Sie waren nicht imstande festzustellen, was es sein mochte, und da sie Forscher waren, kletterten sie in das Großboot, das längsseits am Schiffe lag, und gingen an Land, es sich anzusehen. Und da erblickten sie etwas, das lebendig war, aber kaum Anspruch darauf erheben konnte, ein Mensch genannt zu werden. Es war blind und bewusstlos. Es kroch am Boden wie ein unheimliches Gewürm. Die meisten Anstrengungen, die es machte, waren vergeblich, aber es war voll zäher Energie, und es wand und krümmte und schlängelte sich weiter, sodass es vielleicht ein halbes Dutzend Schritte in der Stunde weiterkam.
Drei Stunden später lag der Mann in einer Koje des Walfängers »Bedford«. Tränen strömten über seine ausgemergelten Wangen, als er berichtete, wer er war, und was er durchgemacht hatte. Er schwätzte auch unzusammenhängendes Zeug von einer Mutter, von dem sonnigen Kalifornien und von einem Heim zwischen Orangenhainen und Blumen.
Es dauerte nicht mehr viele Tage, so saß er mit den Gelehrten und den Offizieren des Schiffes bei Tisch. Er machte ein ganz dummes Gesicht, als er die vielen