Gesammelte Weihnachtsmärchen für Kinder (Illustriert). Walter Benjamin
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Noch niemand, glaube ich, hatte davon gekostet, als zum zweitenmal an die Tür geklopft wurde, und es erschien derselbe Mann mit einem großen braunen Paket unter dem Arm.
»Kompliment von Mr. Tackleton, und hier schicke er einige Spielsachen fürs Wickelkindchen. Und sie seien nicht häßlich.«
Nachdem er hiermit seinen Auftrag ausgerichtet, eilte er wieder davon.
So groß war das Erstaunen der ganzen Gesellschaft, daß sie sehr verlegen um Worte gewesen wäre, selbst wenn sie Zeit genug gehabt hätte, danach zu suchen. Aber es blieb ihr keine Zeit übrig; denn kaum hatte der Bote die Tür hinter sich geschlossen, als zum drittenmal geklopft wurde und Tackleton selbst ins Zimmer trat.
»Mrs. Peerybingle«, begann der Spielwarenhändler mit dem Hut in der Hand, »es tut mir sehr leid. Jetzt noch mehr als heute morgen. Ich habe Zeit gehabt, darüber nachzudenken … John Peerybingle, ich bin von Haus aus ein alter Griesgram; aber ich kann nicht anders mehr oder weniger weichmütig werden in Gesellschaft eines Mannes, wie Ihr seid … Kaleb, dieses ahnungslose Kindermädchen, gab mir gestern abend einen rätselhaften Wink, zu dem ich nun die Lösung gefunden habe. Ich erröte, wenn ich daran denke, wie leicht ich Euch und Eure Tochter an mich hätte fesseln können und welch ein erbärmlicher Tropf ich war, als ich sie für einen solchen hielt! Ihr Freunde – erlaubt mir, Euch alle miteinander so zu nennen! – mein Haus ist heute abend ganz verlassen. Nicht einmal ein Heimchen hab ich an meinem Herd. Ich habe sie alle verscheucht. Habt Mitleid mit mir; laßt mich in Eurer glücklichen Gesellschaft auch froh sein!«
Hochzeitsttanz
In fünf Minuten fühlte er sich vollständig heimisch. Nie habt ihr einen so fidelen Gesellschafter gesehen. Was hatte er denn sein Leben lang getrieben, daß er bis jetzt nie erkannt, welch ein Talent zur Lustigkeit er hatte! Oder wie hatten die Elfen es angefangen, eine solche Verwandlung hervorzubringen?
»John«, flüsterte Dot, »nicht wahr, du schickst mich heute abend doch nicht mehr nach Hause, wie?«
Aber er war doch sehr nahe daran gewesen!
Es fehlte nur noch ein lebendes Wesen, um die Gesellschaft vollzählig zu machen. Und in einem Augenblick war es da, sehr durstig vom schnellen Laufen und indem es sich anstrengte und hoffnungslose Anstrengungen machte, seinen Kopf in einen engen Wasserkrug zu zwängen. Er hatte den Wagen bis ans Ziel seiner Reise begleitet, höchst aufgebracht über die Abwesenheit seines Herrn und schrecklich rebellisch gegen die Expedition. Nachdem er dann einige Zeit um den Stall herumgestrichen und vergebens versucht hatte, das alte Pferd zu einer aufrührerischen Tat zu verführen, war er auf eigene Faust umgekehrt, war in das Schankzimmer gegangen und hatte sich vor das Feuer gelegt. Da er sich jedoch davon überzeugt hatte, daß der Stellvertreter ein Schwindler sei und nicht verdiene, daß man bei ihm bleibe, hatte er sich wieder auf die Beine gemacht und war spornstreichs nach Hause zurückgelaufen.
Am Abend gab’s ein Tänzchen. Mit der allgemeinen Erwähnung dieser Lustbarkeit könnte ich die Sache auf sich beruhen lassen, hätte ich nicht einigen Grund anzunehmen, daß es ein ganz origineller und ungewöhnlicher Tanz war. Er wurde in ganz eigentümlicher Weise arrangiert, und zwar folgendermaßen:
Eduard, der Matrose – ein echter, braver, flotter Bursch war er – hatte ihnen allerhand Wunderdinge von Papageien, Goldminen, Mexikanern, Goldstaub usw. erzählt, als es ihm plötzlich in den Kopf kam, aufzuspringen und einen Tanz vorzuschlagen: denn Berthas Harfe war zur Hand, und sie spielte sie, wie ihr’s selten zu hören bekommt.
Dot – das heuchlerische kleine Ding, konnte sich manchmal so aufspielen! – Dot behauptete, ihre Tanztage wären vorüber. Aber ich glaube, das sagte sie darum, weil der Fuhrmann gerade seine Pfeife rauchte und sie lieber neben ihm sitzen wollte. Mrs. Fielding blieb nun natürlich nichts andres übrig, als ebenfalls zu behaupten, ihre Tanzzeit sei dahin; und das behaupteten alle; May ausgenommen; May war bereit.
Und so traten Eduard und May unter allgemeinem Beifall vor, um allein zu tanzen, und Bertha spielte ihre fröhlichste Melodie.
Aber ihr mögt mir’s glauben oder nicht – noch keine fünf Minuten haben sie getanzt, da wirft plötzlich der Fuhrmann seine Pfeife fort, faßt Dot um die Taille, stürzt mit ihr mitten ins Zimmer und wirbelt auf Hack’ und Spitze mit ihr herum, ganz wundervoll. Kaum sieht dies Tackleton, so gleitet er hinüber zu Mrs. Fielding, faßt sie um die Hüfte und tut ebenfalls mit. Kaum sieht dies der alte Dot, sofort ist er ganz Feuer und Flamme, schiebt mit Mrs. Dot mitten in die Tanzenden hinein und ist bald an der Spitze. Als Kaleb dies kaum gesehen hat, packt er Tilly Tolpatsch bei den Händen, und feste geht es darauf los. Fräulein Tolpatsch glaubt natürlich, daß das ganze Geheimnis der Tanzkunst darin liegt, daß man immer in die anderen Paare hineinfällt und möglichst mit ihnen zusammenstößt.
Horcht! Wie das Heimchen mit seinem Zirp–zirp–zirp in die Musik einfällt und wie der Kessel summt!
Aber was ist das! Eben da ich ihnen fröhlich lausche und mich nach Dot umwende, um noch einen Blick auf diese kleine, mir so liebgewordene Gestalt zu werfen, ist sie mit allen andern in Luft zerflossen, und ich bin allein. Ein Heimchen singt am Herde: ein zerbrochenes Kinderspielzeug liegt am Boden, und sonst bleibt mir nichts.
Ende.
Der Kampf des Lebens
(Charles Dickens)
Erster Teil
Lang, lang ist’s her – wann und wo in England, mag uns gleichgültig sein – da ward eine hitzige Schlacht geschlagen. Sie wurde geschlagen an einem langen Sommertage, da das Gras grün wogte. Manche stolze Blume, geschaffen von des Allmächtigen Hand zu einem duftenden Pokal für den Tau, sah an diesem Tage ihren bunten Kelch von Blut überfließen und verging schaudernd. Manches Insekt, das in unschuldigen Flügeln und Kleidern von zarter Farbe leuchtete, ward an diesem Tag neu gefärbt von sterbenden Menschen und bezeichnete seine hastige Flucht mit einer widerlichen Spur. Der farbige Schmetterling trug auf dem Rand seiner Flügel Blut in die Luft. Der Bach floß rot vorbei. Aus dem zerstampften Erdboden wurde ein Sumpf, wo in trübem Schlamm, der voll Spuren von menschlichen Füßen und Pferdehufen war, die überall vorherrschende Farbe unheimlich in der Sonne glänzte.
Möge uns der Himmel vor dem Anblick eines Schauspiels behüten, wie es der Mond auf dieser Kampfstätte sah, als er über den waldumsäumten schwarzen Hügelrücken am Horizont heraufstieg und über das flache Feld herniederschaute. Dies Feld war besät mit Gesichtern, die zum Himmel gewandt waren,