Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig страница 179
Diese Leidenschaft zur Todesgemeinschaft bleibt von seinen Freunden, von den Frauen unverstanden, wie alle seine Übersteigerungen des Gefühls: vergeblich drängt, ja bettelt er um einen Gefährten für den Abgrund – alle wehren sie erschreckt und entgeistert den phantastischen Vorschlag ab. Endlich – und gerade in der Stunde, da seine Seele schon überschwillt von Bitternis und Ekel – begegnet er einer, einer fast fremden, die ihm dankt für so sonderlichen Vorschlag. Es ist eine Kranke, eine Todgeweihte, im Innern ihres Leibes so vom Krebs zerfressen wie Kleist im Innern seiner Seele von Lebensüberdruß; unfähig selbst eines starken Entschlusses, aber exaltiert anempfinderisch an seine Ekstase, läßt sich die Verlorene gern mitreißen in den Abgrund. Nun hat er eine, die ihn erlöst von der Einsamkeit der letzten Sekunde des Sturzes, und so entsteht diese seltsame phantastische Brautnacht des Ungeliebten mit der Ungeliebten, so stürzt sich die alternde, todkranke, häßliche Frau (deren Antlitz er nur mit der Ekstase dieses Gedankens geschaut) mit ihm in die Unsterblichkeit hinein. Im Innersten war diese schöngeistige, sentimental-schwärmende Rendantenfrau ihm fremd, ja er hat es wahrscheinlich nie erfahren im geschlechtlichen Sinne, daß sie Frau war – aber er vermählt sich mit ihr unter anderm Stern und Zeichen, in der heiligen Priesterschaft des Todes. Die zu klein, zu weich, zu schwächlich gewesen wäre für sein Leben, wird ihm herrlich als Sterbegenossin. Er selbst hatte sich ihr angeboten: sie mußte ihn nur nehmen, und er war bereit.
Das Leben hatte ihn bereit gemacht, allzu bereit, es hatte ihn getreten, geknechtet, enttäuscht und erniedrigt – aber mit herrlicher Kraft hebt er sich noch einmal auf und formt aus seinem Tod seine letzte heroische Tragödie. Der Künstler in ihm, der ewige Übertreiber facht das lang schwelende Feuer des heimlich glimmenden Entschlusses mit mächtigem Atem an; und wie eine Lohe von Jubel und Seligkeit schlägt es aus Kleistens Brust, seit er seines Freitodes gewiß ist, seit er, wie er sagt, »zum Tod ganz reif geworden«, seit er weiß, daß ihn das Leben nicht bemeistern wird, sondern er es bemeistert. Und der nie ein reines Ja zum Leben fand (wie Goethe), nun sagt und jubelt er sein freies seliges Ja zum Tode: herrlich ist dieser Klang, zum erstenmal tönt wie eine Glocke sein ganzes Wesen klar und ohne Dissonanz. Alle Sprödigkeit ist gebrochen, alle Dumpfheit zerstoben, prachtvoll dröhnt jetzt jedes Wort, das er spricht, das er schreibt, unter dem Hammer des Schicksals. Schon tut ihm der Tag nicht mehr weh, schon atmet er auf, schon atmet die aufgespannte Seele Unendlichkeit, das schmerzhaft Gemeine wird fern, das innere Leuchten Welt, und selig erlebt er seines eigenen Ich, seines Homburgs Verse vor dem Untergang:
Nun, o Unsterblichkeit, bist du ganz mein! Du strahlst mir durch die Binde meiner Augen Mir Glanz der tausendfachen Sonne zu! Es wachsen Flügel mir an beiden Schultern, Durch stille Ätherräume schwingt mein Geist; Und wie ein Schiff, vom Hauch des Winds entführt, Die muntre Hafenstadt versinken sieht, So geht mir dämmernd alles Leben unter: jetzt unterscheid ich Farben noch und Formen, Und jetzt liegt Nebel alles unter mir.
Die Ekstase, die ihn dreiunddreißig Jahre lang durch das Dickicht des Lebens trieb, nun hat sie ihn milde aufgehoben in eine Seligkeit des Abschieds. In der letzten Stunde faßt sich der Zerrissene zusammen, das Zerspaltene seines Wesens schmilzt im äußersten Gefühl. Im Augenblick, da er frei und kühl in das Dunkel tritt, verläßt ihn sein Schatten: der Dämon seines Lebens schwebt aus dem zerrütteten Leib wie Rauch über dem Feuer und löst sich auf in die Sphären. In der letzten Stunde schmilzt Kleistens Schwere und Schmerz, und sein Dämon wird Musik.
Musik des Untergangs
Nicht jeden Schlag ertragen soll der Mensch, Und welchen Gott faßt, denk ich, der darf sinken.
Die Familie Schroffenstein
Andere Dichter haben großartiger gelebt, weiter ausholend im Werke, Weltschicksal aus ihrer eigenen Existenz fördernd und verwandelnd: herrlicher als Kleist ist keiner gestorben. Von allen Toden ist kein Tod so umrauscht von Musik, so ganz Trunkenheit und Aufschwung wie der seine; als dionysisches Opferfest endet dies »qualvollste Leben, das je ein Mensch geführt« (Todesbrief). Dem alles im Leben elend, ja jämmerlich mißlang, gelingt der dunkle Sinn seines Seins: der heroische Untergang. Manche (Sokrates, André Chénier) haben in jener letzten Sekunde es bis zu einem Moderato des Gefühls gebracht, zu einer stoischen, ja lächelnden Gleichgültigkeit, zu einem weisen, klaglos hingenommenen Sterben – Kleist, der ewige Übertreiber, steigert auch den Tod empor in eine Leidenschaft, einen Rausch, eine Orgie und Ekstase. Sein Untergang ist ein Seligsein, ein Hingegebensein, wie er es nie im Leben gekannt – entbreitete Arme, trunkene Lippen, Frohmut und Überschwang. Singend wirft er sich hinab in den Abgrund.
Nur einmal, nur dieses einzige Mal ist Kleisten die Lippe, die Seele gelöst, zum erstenmal hört man diese dumpfe gepreßte Stimme in Jubel und Gesang. Niemand hat ihn gesehen außer der Sterbensgefährtin in jenen Abschiedstagen, aber man fühlt es, sein Auge muß wie das eines Trunkenen, sein Antlitz erhellt gewesen sein vom Widerstrahl innerer Freude. Was er tut, was er schreibt in jenen Stunden, übertrifft sein höchstes Maß – die Todesbriefe sind für mein Empfinden das Vollendetste, das er geschaffen, letzter Aufschwung wie die Dionysos-Dithyramben Nietzsches, die Nachtgesänge Hölderlins: in ihnen weht Luft unbekannter Sphären, eine Freiheit über alle Irdischkeit. Musik, seine tiefste Neigung, die er in der Jugend heimlich im stillen Gelaß an der Flöte übte, die aber sich der gepreßten, verkrampften Lippe des Dichters eigenwillig verschloß – nun tut sie sich ihm auf, zum erstenmal strömt der Verschlossene über in Rhythmus und Melodie. In diesen Tagen schreibt er sein einziges wirkliches Gedicht, einen mystisch-trunkenen Liebesüberschwall, die »Todeslitanei« ein Gedicht, ganz voll Dunkelheit und Abendrot, halb Stammeln, halb Gebet und doch magisch schön jenseits allen wachen Sinns. Alle Stockigkeit, alle Härte, alle Schärfe und Geistigkeit, das kalte Licht von Geist, das sonst nüchternd über seiner heißesten Bemühung hinfällt, ist von der Musik erlöst, das Preußisch-Strenge, Krampfige seines Zugriffs schön gelockert in Melodie – zum erstenmal schwebt er im Wort, schwebt er im Gefühl: die Erde hat ihn nicht mehr.
Und so hochschwebend – »wie zwei fröhliche Luftschiffer«, sagt er in seinem Todesbriefe – sieht er noch einmal nieder auf die Welt, und sein Abschied ist ohne Groll. Die eigene Bitternis, er versteht sie nicht mehr, alles scheint so nieder, so fern und sinnlos, was ihn bedrängt, seit er es schon aus der Unendlichkeit