Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

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nur literarisch vertraut und nicht längst von der Bühne herab ins Wesen spruchhaft, bildhaft eingegangen. Sie können als national nur im Sinne einer erträumten deutschen Nation gelten, ebenso wie theatralisch nur als Figuren jenes »Imaginären Theaters«, von dem Kleist zu Goethe sprach. Sie passen sich nicht an, sie haben alle Eigenwilligkeit und Inkonzilianz ihres Schöpfers und jeder darum um sich eine Handbreit Einsamkeit. Seine Dramen bleiben von vorne und rückwärts mit der Literatur von Ahnen und Enkeln unverbunden, sie erbten keinen Stil und haben keinen gezeugt. Kleist war ein Einzelfall, und ein Einzelfall ist seine Welt geblieben.

      Ein Einzelfall: denn sie ist weder die Epoche von 1790 bis 1807, noch begrenzt durch Gemarkung Brandenburgs oder Deutschlands; sie ist geistig nicht durchflogen von dem Atem der Klassik, noch durchdunkelt von der katholischen Dämmerung der Romantik. Kleistens Welt ist so sonderbar und zeitlos wie er selbst, eine saturnische Sphäre, weggewendet vom Tageslicht und der klaren Erscheinung. So wie der Mensch interessiert Kleisten die Natur, die Welt erst dort an ihrer äußersten Grenze, wo sie über sich selbst hinaustritt ins Unerhörte und Unwahrscheinliche, ja, ich möchte fast sagen, wo sie übermäßig, wo sie lasterhaft wird und die Norm verläßt. Genau wie in der Menschheit beschäftigt ihn bei den Geschehnissen nur das Anormale, die Abweichung von der Regel (die Marquise von O.; das Bettelweib von Locarno; das Erdbeben in Chili), immer also der Augenblick, wo sie den vorgezogenen Kreisen Gottes auszubrechen scheint. Nicht umsonst hat er Schubarts »Nachtseite der Natur« so leidenschaftlich gelesen: alle die Zwielichtsphänomene des Somnambulismus, der Nachtwandlerei, der Suggestion, des tierischen Magnetismus sind willkommener Stoff für seine übertreiberische Phantasie, die – nicht genug an den Menschenleidenschaften – nun die geheimen Kräfte des Kosmos herantreibt, daß sie seine Geschöpfe noch mehr verstricken: Verwirrung der Tatsachen zur Verwirrung des Gefühls! Im Sonderbaren ist immer Kleistens liebste Hausung: dort spürt er irgendwo nah in Schatten und Geklüft den Dämon, dem er überall magisch angelockt entgegenstrebt; auch im Weltwesen sucht er, wie sonst im Gefühl, den Superlativ.

      Durch dieses Abbiegen vom Offenbaren scheint Kleist für den ersten Blick seinen Zeitgenossen, den Romantikern, verwandt, aber zwischen jenen Dichtern teils gewollter, teils naiver Abergläubigkeit und Märchenseligkeit und seiner zwanghaften Liebe zum Phantastischen und Abstrusen klafft ein ganzer Abgrund des Gefühls: die Romantiker suchen das »Wunderbare« als eine Frommheit, Kleist das »Sonderbare« als eine Krankheit der Natur. Ein Novalis will glauben und schwelgen in dieser Gläubigkeit, ein Eichendorff und Tieck die Härte und Widersinnigkeit des Lebens auflösen in Spiel und Musik – Kleist aber, der Gierige, will das Geheimnis hinter den Dingen fassen, er bringt bis in das letzte Dunkel des Wunderbaren seinen forschenden, kalt-leidenschaftlichen, unerbittlich sondierenden Blick. Je sonderbarer das Geschehnis, um so sachlicher reizt es ihn, davon zu berichten, ja er setzt geradezu eine Bravour darein, das Unfaßliche in nüchterner Relation zu verdeutlichen, und so gräbt sich sein leidenschaftlicher Intellekt zäh wie eine Schraube Windung um Windung bis hinab in die unterste Sphäre, wo das Magische der Natur und das Dämonische des Menschen geheimnisvolle Brautschaft feiern. Hier kommt er Dostojewski näher als jemals ein Deutscher: auch Kleistens Gestalten sind geladen von allen kranken und übersteigerten Kräften der Nerven, und diese Nerven wiederum irgendwo schmerzhaft verhakt in das Dämonische der Weltnatur. Wie jener ist er nicht nur wahr, sondern durch Exaltation überwahr, und darum hängt jene gleichzeitig gläserne und drückende Atmosphäre wie ein Föhnhimmel über der Landschaft seiner Seelenwelt, ein Frost von Verstand jäh wechselnd mit einer Schwüle von Phantasie und plötzlich aufgerissen von zornigen Windstößen der Leidenschaft. Gewiß: sie ist großartig und voll Tiefblick ins Wesenhafte, die Kleistsche Seelenlandschaft, sie ist so intensiv wie kaum die eines anderen deutschen Dichters, aber doch schwer erträglich; kein Mensch kann lang in ihr verweilen (und er selber vermochte es nicht länger als ein Jahrzehnt). Sie ist zu stark für die Dauer eines ganzen Lebens, zu sehr atmosphärisch geladen mit gedrückter und geschwängerter Luft, ihr Himmel lastet zu schwer auf der Seele, sie hat viel Hitze und zu wenig Sonne, zu viel schneidende Klarheit des Lichts in zu engem Raum. Auch als Künstler hat der ewig Entzweite keine Heimat, keine harte Erde unter dem rollenden Rad seiner Gejagtheit. Er ist hüben und drüben und nirgends zu Hause: er lebt im Wunderbaren, ohne daran zu glauben, und gestaltet das Wirkliche, ohne es zu lieben.

      Der Erzähler

       Inhaltsverzeichnis

       Denn das ist die Eigenschaft aller echten Form, daß der Geist augenblicklich und unmittelbar daraus hervortritt, während die mangelhafte ihn wie ein schlechter Spiegel gebunden hält und uns an nichts erinnert als an sich selbst.

      Brief eines Dichters an einen anderen

      In zwei Welten wohnt seine Seele, in der heißesten tropischesten Überhitzung der Phantasie und in der nüchternsten, kältesten Sachwelt der Analyse – zweigeteilt ist darum auch seine Kunst, jede einem andern Extrem fanatisch zugewandt. Man hat oft den Dramatiker Kleist mit dem Novellisten zusammengetan, indem man ihn nur einen verschränkten Dramatiker nannte. In Wahrheit drücken aber diese beiden Kunstformen sichtlich ein Gegenteil aus, die zu ihren äußersten Enden getriebene Zwiefalt seines innern Ich – der Dramatiker wirft sich in seinen Stoff zügellos hinein, der Erzähler Kleist vergewaltigt seine Anteilnahme, preßt sich gewaltsam zurück, bleibt ganz außen, daß kein Atem seines Mundes in die Erzählung hineinfließt. In den Dramen spannt und erhitzt er sich selbst, in den Novellen will er die andern, den Leser, spannen und erhitzen, im Drama treibt er sich vor, in der Novelle zurück. Beides, Entströmen und Verhalten, stößt er bis in die äußerste Möglichkeit der Kunst: so sind seine Dramen die subjektivsten, ausströmendsten, die eruptivsten des deutschen Theaters, seine Novellen die knappsten, gefrorensten, komprimiertesten der deutschen Epik. Immer lebt Kleistens Kunst im Superlativ.

      In den Novellen schaltet Kleist sein Ich aus, er unterdrückt seine Leidenschaftlichkeit, oder vielmehr: er schiebt sie auf ein anderes Geleise. Denn schon hat der fanatische Übertreiber wieder ein Übermaß: er treibt diese (sehr künstlerische) Selbstausschaltung in einen Exzeß, in ein Extrem der Objektivität, also wieder in eine Gefahr der Kunst (das Gefährliche ist sein Element). Niemals hat es die deutsche Literatur wieder zu einer so objektiven, scheinbar ruhigen Relation, zu einer solchen meisterlichen Sachlichkeit des Berichtes gebracht wie in diesen sieben Novellen und kleinen Anekdoten: vielleicht fehlt nur ein letztes lösendes Element ihrer scheinbar fehllosen Vollendung: die Natürlichkeit. Man spürt, daß hier einer die Lippen gewaltsam verpreßt, um nicht mit einem Zittern des Atems die Quallust zu verraten, mit der er hier Spannungen häuft; man spürt, wie die Hand fiebert in dem krankhaften Zwang, sich zu verhalten, wie der ganze Mensch sich gewaltsam zurückdrückt, um außen zu bleiben. Man vergleiche, dies zu fühlen, nur sein Vorbild, die »Novelas ejemplares« des Cervantes, ihr selig leichtes Verraten, ihr spitzbübisches Schalten mit Versteck und Geheimnis, und Kleistens gespannte, pralle, mit Aufregung geladene Technik, die aus Nüchternheit einen Exzeß macht und gleichsam mit verbissenen Zähnen zum Leser redet. Er will kühl sein und wird eisig, er will mit leiser Stimme reden und redet gepreßt, er will streng erzählen, lateinisch, taciteisch, und krampft die Sprache. Immer, zur Rechten und zur Linken fährt Kleist titanisch in die Übertreibung hinein. Nie ist die deutsche Sprache mehr gehärtet worden, nie aber war sie auch mehr metallen kalt, mehr eisern glanzlos als in der Kleistschen Prosa: er handhabt sie nicht (wie Hölderlin, Novalis und Goethe) gleich einer Harfe, sondern gleich einer Waffe, gleich einem Pflug mit unerbittlicher Gewaltsamkeit. Und in dieser unbiegsamen, harten, bronzen gequollenen Sprache erzählt er dann – ewiger Fanatiker des Gegensatzes – die heißesten, die packendsten, die jagendsten Stoffe, seine kalte, protestantisch strenge Nüchternheit und Klarheit ringt mit den phantastischsten, unwahrscheinlichsten Problemen. Er verrätselt künstlich den Gegenstand, verknäult listig das Gespann der Erzählung nur um der harten und bösen Freude willen, den Zuschauer zu ängstigen, zu ergreifen, zu erschrecken, um dann mit einem Riß knapp vor dem Niedersturz die straffen Zügel zurückzureißen: wer hinter dieser scheinbaren Kälte Kleistens als Erzähler nicht seine dämonische

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