Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig
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Aber doch: wie vieles erzwingt sein Wille, sein dämonisch starker Wille von der Prosa, wie stahlhart preßt er in diesen Novellen das Blut in die Adern der Sprache! Am stärksten empfindet man diese Meisterschaft bei den zufallslosen, bei den absichtslosen Stücken, bei jenen kleinen Anekdoten und Berichten, die er ohne jeden angespannten Kunstwillen für seine Zeitung schrieb, bloß um eine freigebliebene Spalte zu füllen. Zwanzig Zeilen Polizeibericht, eine Reiterepisode aus dem Siebenjährigen Krieg ballt sein plastischer Wille zu unvergänglicher Form: kein Luftbläschen Psychologie dringt da in den durchsichtigen Glasguß der Erzählung, in dem das Sachliche geradezu magisch transparent wird. In den größeren Novellen ist die Anstrengung zur Objektivität schon sichtbar. Jene echt Kleistische Leidenschaft am Verwirren und Verschrauben, das Gewaltsame der Verdichtung, seine Spiellust mit dem Geheimnis macht sie mehr aufregend als plastisch, durch nichts hitzen sie so sehr als durch ihre Scheinkühle, so daß »Die Marquise von O.« (eine achtzeilige Anekdote Montaignes) als spannende Scharade, das »Bettelweib von Locarno« wie ein schauriger Alp wirken. Gleichsam der Revers seines Wesens wird sichtbar, eine Exaltation des Nichtexaltiertseins, ein Übermaß des Maßhaltens. Auch Stendhal hatte ja zur kalten, nichtbildernden, antisentimentalischen Prosa tendiert und täglich das Bürgerliche Gesetzbuch gelesen, so wie Kleist den Ton der Chroniken sich zum Vorbild nimmt: während er aber bloß zu einer Technik kommt, gerät Kleist, der Triebhafte, in eine Passion des Nichtpassioniertseins, das Übermaß der Spannung ist nun aus ihm selbst in den Leser übergeschaltet. Aber immer spürt man das Zuviel, das unweigerlich von seinem Wesen ausgeht: darum ist von seinen Novellen die stärkste diejenige, die das Motiv seines Wesens in Gestaltung verwandelt, »Michael Kohlhaas«, der herrlichste, sinnvollste Typus des Übertreibers, den Kleist geschaffen, der Mann, der seine stärksten Kräfte durch Übersteigerung zur Zerstörung treibt, Gradsinn zu Starrsinn, Rechtlichkeit zu Rechthaberei; unbewußt ist er Sinnbild seines Gestalters, der aus seinem Besten das Gefährlichste schuf und aus dem Fanatismus des Willens über Weg und Ziel hinausdrängt. Auch in der Zucht, in der Verhaltung ist Kleist ebenso dämonisch übermäßig wie in der Schwelgerei, wie im Entströmen.
Am vollendetsten erscheint diese Mischung, ich sagte es schon, im Absichtslosen, in jenen kleinen Anekdoten, die er gleichsam jenseits der Kunstabsicht schrieb, und dann in jener großartigsten Darstellung eines sonderbaren Menschen: in seinen Briefen. Nie hat sich ein deutscher Dichter ähnlich aufgetan der Welt gestellt, als Kleist in der Handvoll Briefe, die von ihm erhalten sind. Sie scheinen mir unvergleichbar mit den psychologischen Dokumenten Goethes und Schillers, weil Kleistens Wahrhaftigkeit unendlich kühner, hemmungsloser, abgründiger und unbedingter ist als die unbewußten Stilisierungen, die immer ästhetisch gebundenen Bekenntnisse der Klassiker. Kleist exzediert seiner ganzen Natur gemäß auch im Bekenntnis, er gibt der grausamsten Selbstzerfleischung noch einen geheimnisvollen Lustton, er hat nicht nur Liebe, sondern eine Art Brünstigkeit zur Wahrheit und eine herrliche Ekstatik immer im allertiefsten Schmerz. Nichts Schneidenderes als die Schreie dieses Herzens, und doch scheinen sie aus einer unendlichen Höhe zu kommen wie der zuckende Ton eines getroffenen Raubvogels, nichts Großartigeres als das heroische Pathos seiner klagenden Einsamkeit. Man meint die Qual des vergifteten Philoktet zu hören, der abseits von den Brüdern, einsam auf der Insel seines Geistes mit den Göttern hadert; und wie er sich in der Qual der Selbsterkenntnis die Kleider vom Leibe reißt, steht er nackt vor uns da, aber nackt nicht wie ein Schamloser, sondern nackt wie ein Blutender, wie ein Brennender, der sich eben dem letzten Kampf entwunden. Es sind Schreie darin aus der letzten Tiefe der Irdischkeit, Schreie des zerrissenen Gottes oder eines gequälten Tieres, und dann wieder Worte einer furchtbaren Wachheit, eines überstarken Innenlichts, das die Augen blendet. In kein Werk vermochte er sich so ganz hineinzuwerfen wie in seine Briefe, keines hat so urtümlich seine Zweiheit von Knappheit und Überschwang, von Ekstase und Analyse, von Zucht und Leidenschaft, von Preußischheit und Urwelt. Vielleicht waren in jenem verschollenen Manuskript, in der »Geschichte meines Innern«, all diese Flammen und Blitze noch gebunden in ein einziges Licht; aber dies Werk, das gewißlich kein Kompromiß von »Dichtung und Wahrheit« war, sondern der Fanatismus der Wahrheit selbst, ist uns verloren. Hier wie immer hat das Schicksal ihm die Rede gehemmt und dem »unaussprechlichen Menschen« in ihm verboten, sein eigenes Geheimnis zu verraten.
Die letzte Bindung
Denn über alles siegt das Rechtsgefühl.
Die Familie Schroffenstein
In allen seinen Dramen war Kleist Selbstverräter seines Wesens: in jedem hat er einen feurigen Teil seiner Seele aus sich in die Welt geschnellt, eine Leidenschaft in Gestalt verwandelt. So kennt man ihn teilhaft ganz und seinen Widerstreit: doch aber wäre seine Erscheinung nicht ins Zeitlose getreten, hätte er in seinem letzten Werk nicht das Höchste zu geben vermocht: sich ganz in seiner höchsten Gebundenheit. Hier, im »Prinzen von Homburg«, hat er mit jener letzten Genialität, die das Schicksal einem Künstler selten mehr als einmal verleiht, sich selbst, seines Wesens Urmacht, seinen Lebenskonflikt zur Tragödie erhoben: die Antinomie von Leidenschaft und Zucht. In der »Penthesilea«, im »Guiskard«, in der »Hermannsschlacht« war übersteigernd groß immer nur ein Trieb – leidenschaftlich und voll Stoßkraft zum Unendlichen hin – in das Werk gefahren, hier aber ist nicht Einzeltrieb, sondern die ganze verwirrte Triebwelt zur Welt verwirklicht. Druck und Gegendruck statt gegeneinander ruckweise ziehend, zu Widerwirkung und Schwebe gebracht. Und was ist Schwebe der Kräfte anders als die höchste Harmonie?
Die Kunst kennt keinen schöneren Augenblick, als wenn sie das Übermäßige in seinem Ebenmaß zeigen darf, in jener sphärisch tönenden Sekunde, da einen Wimperschlag lang die Dissonanz sich löst in eine urselige Harmonie: je furchtbarer die Entzweiung, um so machtvoller dieser Ineinandersturz, um so brausender der Einklang der stürzenden Ströme. Kleistens »Homburg« hat wie kein zweites deutsches Drama diese Herrlichkeit äußerster Entspannung: der zerstörteste Dichter gibt (eine Spanne kaum vor seiner Selbstvernichtung) der Nation die vollendetste Tragödie, so wie Hölderlin eine Stunde vor der letzten Dunkelheit seine welthaft tönende orphische Hymnik, wie Nietzsche vor dem Zerschellen des Geistes noch die höchste geistige Trunkenheit, das tanzende, diamantensprühende Wort. Diese Magie des Untergangsgefühls ist jenseits allen Erläuterns, unerklärbar herrlich schön wie das letzte Hochaufspringen der schon blau geduckten Flamme vor dem Erlöschen.
Im »Homburg« hat Kleist den Dämon für einen Augenblick gebändigt, indem er ihn ganz von sich in sein Werk stieß. Diesmal hat er nicht wie sonst – in der »Penthesilea«, im »Guiskard«, in der »Hermannsschlacht« – nur einen Kopf der Hydra abgeschlagen, die ihn erdrückend umschlingt, hier faßt er sie an der Kehle und reißt sie ganz hinüber in Gestaltung. Und hier erst spürt man seine Kraft, weil sie nicht ins Leere strömt, sondern weil hier Kraft gegen Gegenkraft ringend steht. In diesem Drama verdunstet kein Atom des inneren Aufschwalls, hier ist Flut und Damm, Strömung und Wehr gleich mächtig. Kleist hat sich erlöst, indem er nicht aus sich ausfährt, sondern indem er sich verdoppelt: das Gegensätzliche hat die zerstörende Kraft verloren, weil er nicht mehr (wie früher) dem einen oder andern Trieb Freilauf und Übermacht läßt. Das Antinomische seiner Natur ist ihm im Werke klargeworden. Alle Klarheit aber schafft Erkennen, und Erkenntnis wieder Versöhnung. Der Leidenschaftliche und der Zuchtvolle in seiner Seele halten inne in ihrem Kampf und sehen sich in die Augen: die Zucht (der Kurfürst, der Homburg als Sieger in der Kirche ausrufen läßt) ehrt den Leidenschaftlichen, der Leidenschaftliche (Homburg, der sein eigenes Todesurteil fordert) ehrt die Norm. Beide erkennen sich als Teil urewiger Macht, die Unruhe fordert um der Bewegung, Zucht