Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten. Stefan Zweig

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Gesammelte Biografien bekannter historischer Persönlichkeiten - Stefan Zweig

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einzige Ballungen, bluthaft strotzend wie kraftgeschwellte Adern, dann platzt wieder die aufgebrochene Empfindung bombastisch entzwei. Solange er sie zäumt, die Sprache, ist sie männisch und stark: aber wenn die Empfindung leidenschaftlich wird, entreißt sich ihm das Wort und schwelgt alle seine Träume bildend aus. Nie hat Kleist seine Rede ganz in der Macht: er krümmt, er verbiegt, er dehnt und windet gewaltsam die Sätze, um sie hart zu machen, er spannt (der ewige Übertreiber) sie oft so auseinander, daß man die Enden kaum wieder zusammenfindet; aber immer nur über das einzelne hat er Gewalt und Geduld: nie strömen die ganzen Verse ineinander zu melodischem Fluß, es spritzt, es schäumt, es gischtet und zischt von Leidenschaften. So wie seine Menschen, wenn er sie in sein Fieber gejagt, ihre Überschwänge, so kann er schließlich die Worte nicht mehr im Zügel halten: wenn Kleist sich frei gibt (und in der Produktion entkettet er sein tiefstes Selbst), so wird er überrast und überrannt von seinem Übermaß. Darum gelingt ihm auch kein einziges Gedicht (außer jener magischen Todeslitanei), weil Stauung und Niedersturz nie ein reines ebenmäßiges Strombild schaffen, sondern quirlend gegeneinanderwühlen: sein Vers geht ebensowenig ruhig und melodiös wie sein Atem. Erst der Tod erlöst ihn zu Musik, zum letzten Entströmen.

      Treiber und Getriebener, Anpeitschender und selbst Gejagter, so steht Kleist mitten zwischen seinen Gestalten, und was diese seine Dramen so eminent tragisch macht, ist weniger ihr episodischer Einzelfall, sondern der ungeheuer verwölkte Horizont, der sie großartig ins Heroische aufweitet und erhöht. Der Riß, der jedem seiner Helden durch die Brust geht, ist für ihn Teil des ungeheuren Sprunges, der das ganze Weltall unheilbar spaltet und es zu einer einzigen Wunde, zu einem ewigen Leiden verwandelt. Wieder hat Nietzsche die Wahrheit seherisch gefühlt, wenn er von Kleist sagte, daß Kleist sich »mit der unheilbaren Seite« der Natur befasse, denn oftmals sprach er von der »Gebrechlichkeit der Welt«, ihm war sie unheilbar, nie ganz zu vereinen, schmerzliche Ungelöstheit und Unlösbarkeit. Damit gewinnt er aber die wahrhafte Einstellung des Tragikers: nur wer die Welt unablässig als Vorwurf empfindet, im doppelten Sinne des Worts, als Stoff und als Anklage zugleich, der kann als Kläger und Richter Mund um Mund, Rede um Rede dramatisch auftun und jeden sein Recht haben lassen wider das ungeheure Unrecht der Natur, die den Menschen so fragmentarisch, so zerteilt, so ewig unbefriedigt gemacht. Freilich ist solche Vision der Welt nicht hellen Auges zu sehen. Goethe hatte ironisch einem andern Verdunkelten, Arthur Schopenhauer, in sein Stammbuch geschrieben:

       Willst du dich deines Wertes freuen, So mußt der Welt du Wert verleihen.

      Nun, niemals konnte Kleistens tragische Anschauung sich entschließen, wie Goethe der Welt »Wert zu verleihen«, und wahrhaft hat es sich darum auch ihm erfüllt, daß er sich nie »seines Wertes freuen« durfte. An seiner eigenen Unzufriedenheit mit dem Kosmos gehen alle seine Geschöpfe zugrunde: tragische Kinder eines echten Tragikers wollen sie ewig über sich hinaus und mit dem Kopf durch die starre Wand des Schicksals. Goethes Konzilianz, die sich weise resignierend mit dem Leben abfand, mußte sich unwillkürlich seinen Figuren, seinen Problemen mitteilen, die darum niemals antike Größe erreichten, selbst wenn sie sich Gewand und Kothurn borgten. Auch die tragisch konzipierten, wie Faust und Tasso, beschwichten und beruhigen sich und werden »gerettet« vor ihrem letzten Selbst, vor ihrem heiligen Untergang. Er wußte, der Urweise, um das Zerstörerische der wahren Tragik (»es würde mich zerstören«, bekennt er, wenn er eine wirkliche Tragödie schriebe); er sah mit seinem Adlerblick die ganze Tiefe der eigenen Gefahr, aber er war zu vorsichtig-weise, sich niederzustürzen. Kleist dagegen war heldenhaft unweise, er hatte den Mut und die Besessenheit zur letzten Tiefe: wollüstig jagte er seine Träume und seine Gestalten in die äußersten Möglichkeiten hinab, wohl wissend, daß sie ihn mitreißen würden in das heilige Verhängnis. Er sah die Welt als Tragödie, so schuf er Tragödien aus seiner Welt und formte als ihre letzte und höchste sein eigenes Leben.

      Welt und Wesen

       Inhaltsverzeichnis

       Froh kann ich nur in meiner eigenen Gesellschaft sein, weil ich da ganz wahr sein darf.

      Aus einem Brief

      Kleist hat wenig von der Wirklichkeit gewußt, aber unendlich viel von der Wesenheit: er lebte fremd, ja feindlich inmitten seiner Zeit und Sphäre, verstand der anderen Menschen Lauheit und Verbindlichkeit kaum mehr, als sie seine eigenbrötlerische Stockigkeit, seine fanatische Übertreiblichkeit. Seine Psychologie war wehrlos, vielleicht sogar augenlos gegenüber dem allgemeinen Typus, gegen alle Erscheinungen mittleren Maßes: erst wo er Gefühle gewaltsam vergrößert, Menschen in höhere Dimensionen steigert, beginnt sein seherischer Sinn. Nur in den Leidenschaften, im Übermaß der innern ist er der äußern Welt verbunden, nur dort, wo die Natur der Menschen dämonisch, wo sie abgründig und unvermutet wird, hört seine Isolierung auf: wie manche Tiere sieht er nicht klar im Licht, sondern erst im Zwitterschein des Gefühls, in Nacht und der Dämmerung des Herzens. Das Unterste, das Vulkanisch-Feuerflüssige der Menschennatur scheint seiner wahren Sphäre einzig glühend verwandt. Er war zu ungeduldig, um kühl zu beobachten, um auf die Dauer realistisch zu experimentieren – so beschleunigt er durch Erhitzung das Wachstum der Geschehnisse zu einer wilden Tropik: nur das Glühende, der leidenschaftliche Mensch wird ihm zum Problem. Im letzten hat er keine Menschen geschildert, sondern sein Dämon hat den Bruder in ihnen hinter aller Irdischkeit erkannt, die Dämonie der Gestalten, die Dämonie der Natur.

      Darum sind alle seine Helden so gleichgewichtslos: sie sind alle mit einem Teil ihres Wesens schon über die Sphäre des täglichen Lebens hinaus, jeder einzelne ein Übertreiber seiner Leidenschaft. Alle diese unbändigen Kinder seiner exzessiven Phantasie sind, wie Goethe von der Penthesilea sagte, »aus einem sonderbaren Geschlecht«, und jeder trägt seines Wesens Zug, das Nicht-Konziliante, das Herbe, Eigenwillige und Unbeeinflußbare: auf den ersten Blick erkennt man ihr Kainszeichen, daß sie zerstören müssen oder selbst zerstört werden. Alle haben sie diese sonderliche Mischung von Heiß und Kalt, von Zuwenig und Zuviel, von Brunst und Scham, von Überfließen und Verhalten, dies Wetterwendische und Wetterleuchtende, die bis zum Blitz elektrisch geladenen Nerven. Alle beunruhigen sie selbst den, der sie lieben will (wie Kleist selbst seine Freunde): deshalb ist ihr Heldentum nie populär, nie verständlich für das deutsche Volk geworden, niemals ein Schullesebuch-Heldentum. Selbst das Käthchen, das nur einen Schritt noch ins Banale, ins Butzenscheibenhafte zurücktreten müßte, um ins Volkhafte zu Gretchen und Luise hinüberzugehen, hat einen kranken Zug in der Seele, ein Übermaß der Hingabe, das der gemeine Sinn nicht versteht, so wie Hermann wieder, der Nationalheld, einen Schuß zuviel Politik und heuchlerische Geschicklichkeit, zuviel Talleyrand hat, um vaterländische Paradefigur zu werden. Immer ist jedem Banal-Idealischen schon vorweg im Blute ein gefährlicher Tropfen beigemischt, der sie volksfremd macht: dem preußischen Offizier Homburg die (herrlich wahre, aber dem Nimbus unerträgliche) Furcht vor dem Tode, der griechischen Penthesilea die bacchische Gier, dem Wetter vom Strahl ein männisches Reitpeitschentum, Thusnelda ein Gran Dummheit und putzweiberischer Eitelkeit. Alle rettet sie Kleist vor dem Tenorhaften, vor dem Schillerischen, vor dem Farbdruckklischee durch irgendein Urmenschliches in ihrem Wesen, das im Affekt nackt, schamlos nackt unter dem dramatischen Faltenwurf herauskommt. Jeder hat irgendwelches Sonderliches, Unerwartetes, etwas Unharmonisches, etwas Untypisches im seelischen Gesicht, jeder (außer dem nur theatralisch hingestellten Theaterbuffon, der Kunigunde und den Soldaten) wie bei Shakespeare einen scharfen Zug in der Physiognomie: so wie Kleist als Dramatiker antitheatralisch ist, so ist er als Menschenbildner unbewußt antiidealisch. Denn alle Idealisierung geschieht immer entweder durch bewußte Retusche oder durch ein zu oberflächliches, ein kurzsichtiges Sehen. Kleist aber sieht immer klar und haßt nichts so sehr als das kleine Gefühl. Er ist eher geschmacklos als banal, eher stockig und übertreiberisch als süßlich. Rührung ist ihm, dem Herben und Geprüften, dem Wissenden um wirkliches Leiden, ein widerwärtiges Element, also wird er bewußt antisentimentalisch und verschließt gerade in jenem Augenblicke, wo die banale Romantik beginnt, vor allem in den Liebesszenen, seinen Menschen keusch den Mund, einzig ihnen Erröten gewährend, ergriffenes

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