Die dreißig tolldreisten Geschichten. Оноре де Бальзак
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»Morgen werde ich über Euch wachen, dass Ihr nicht wieder sündigt«, sagte sie und legte sich auf die Kissen zurück.
Mit Entzücken betrachtete sie der Greis in ihrer weißen Schönheit, voll Bewunderung für ihre zarte Natur, aber dann kratzte er sich verzweifelt hinter den Ohren. Es schien ihm ebenso schwer, sie in ihrer entzückenden Unwissenheit zu erhalten, als sich zu erklären, warum der Ochs sein Futter sozusagen zweimal frisst. Obgleich ihm aber nichts Gutes ahnte, geriet er immer mehr in Ekstase vor den seltenen Vollkommenheiten der schlummernden Blancheflor und fasste den Vorsatz, dieses Kleinod der Liebe zu bewahren und zu verteidigen bis in den Tod ... Mit Tränen in den Augen küsste er ihr das goldene Haar, die gesenkten Augenlider, den roten frischen Mund, aber sanft und vorsichtig, damit sie nicht erwache ...
Das war die einzige Frucht dieser Brautnacht, die ihm das Herz verbrannte, indes die ahnungslose Blancheflor den Schlaf eines Kindes schlief. Der arme Greis aber raufte sich verzweiflungsvoll das ergraute Haar, er hätte hohnlachen mögen, dass ihm Gott die schönste Nuss gerade so lange hatte aufheben wollen, bis er just keine Zähne mehr hatte, um sie aufzubeißen.
Wie sich der zahnlose Seneschall mit der Jungfernschaft seiner Frau herumbiss
In den ersten Tagen seiner Heirat erfand unser Ritter von der traurigen Gestalt tausend plumpe Lügen, um die kostbare Unwissenheit seiner Frau damit zu füttern und am Leben zu erhalten. Sein Richteramt musste ihm zum Vorwand dienen, wenn er sie allein ließ. Er bot ihr alle Vergnügungen des Landlebens, um sie zu entschädigen und zu zerstreuen, und suchte mit albernen Spaßen ihren Geist abzulenken und einzuschläfern.
Die hohen Herren und vornehmen Leute, sagte er ihr, betragen sich auch in der Ehe nicht wie das gemeine Volk, und die Kinder der Grafen dürften nur bei gewissen Konstellationen der Gestirne gepflanzt werden, Tag und Stunde hätten allein die Astrologen zu bestimmen. Verboten sei die Sache, als eine schwere Arbeit, an allen Sonn- und Festtagen. Er aber wolle als guter Christ sich einer so schlimmen Sünde nicht schuldig machen. Die im Stand der Ungnade erzeugten Kinder, behauptete er ein andermal, würden blind, wenn sie am Tag von Sankt Klara gepflanzt wären, die von Sankt Vitus bekämen den Veitstanz, die von Sankt Wolfgang würden vom Wolf gefressen, die von Sankt Rochus bekämen Pest und Aussatz. Die Kinder vom Februar, erklärte er ihr, wären dem Fieber unterworfen, die vom März würden unbändige Wildfänge, die vom April reine Taugenichtse, die vom Mai unverbesserliche Wüstlinge. Er seinerseits aber wolle ein vollkommenes Kind, ein Kind ohne Fehl und Makel, ein Kind, das ein Ausbund sei aller Tugenden, da handle es sich drum, den glücklichsten Augenblick abzuwarten.
Dann wieder sagte er zu Blancheflor, dass es das Recht des Mannes sei, seiner Frau ein Kind zu schenken oder zu verweigern, ganz nach seinem Willen, und dass eine tugendhafte Ehefrau niemals murre wider den Willen ihres Herrn. Und jedenfalls müsse man abwarten, bis die Frau Schwiegermama aus dem Morgenlande zurückkäme, damit sie der Niederkunft beiwohnen könne.
Aus all dem glaubte Blancheflor herauszuhören, dass ihr Fragen und Drängen dem Grafen lästig falle und dass er seine guten Gründe haben möge, da er ja alt und wohlerfahren sei. Sie gab sich darum zufrieden und dachte an das ersehnte Kind nur noch, wenn sie ganz allein war, das heißt, sie dachte Tag und Nacht daran wie eine Frau, die sich etwas in den Kopf gesetzt hat und nicht bedenkt, dass sie mit ihrem ewigen Schielen nach der verbotenen Frucht schon eine halbe Ehebrecherin ist.
Bruyn selber ging dem Gespräch über Kinder so ängstlich aus dem Weg wie die Katze dem Wasser; aber eines Abends verfiel er dennoch unvorsichtigerweise auf das verhasste Thema. Er hatte an dem Tag über einen Knaben wegen einer Übeltat schwere Strafe verhängt und konnte die Bemerkung nicht unterdrücken, dass das so ein Früchtchen wäre, wie sie im Stand der Todsünde erzeugt werden.
»Ach«, sagte Blancheflor, »ich wollte, Ihr beschertet mir eines; und wenn Ihr auch noch so schwere Sünden auf Euch hättet, ich wollte es schon zum Guten erziehen, Ihr solltet gewiss zufrieden sein ...«
Da erkannte der Graf, dass die Phantasie der Frau den Kopf erhitze und dass es höchste Zeit wäre, den Kampf aufzunehmen mit der verdammten Jungfernschaft, deren er Herr werden müsse, koste es, was es wolle, die er entweder vernichten und zerstören oder einschläfern und abtöten müsse.
»Du möchtest also Mutter werden, mein Liebchen«, sprach er; »aber noch ist dir der Beruf der Frau zu neu, und du hast dich noch gar nicht so recht dran gewöhnt, die Gräfin und große Dame richtig vorzustellen.«
»Oho!« sagte sie, »um eine vollkommene Gräfin zu sein und einen kleinen Grafen in meinem Schoß zu tragen, wäre es nötig, dass ich die Miene der Herrscherin aufsetze? Nun, ich werde sie aufsetzen, gebt acht!«
Und also hoffte sie ein Kind zu bekommen, wenn sie recht als große Dame lebte. Sie ließ es nicht fehlen. Sie jagte den Hirsch und die Hindin, sie durchpirschte mit den Rüden Dickicht und Gebüsch, sie sprengte auf ihrem Zelter über Berg und Tal, über Hecken und Gräben, sie entkappte den Falken auf ihrer Faust und ließ ihn zur Jagd aufsteigen im Galopp ihres Pferdes. Und der Seneschall lachte sich ins Fäustchen. Das war, was er gewollt hatte.
Dennoch hatte er sich verrechnet. Die wilde Jagd in Wald und Flur weckte etwas in Blancheflor, was seither geschlafen hatte; ein Hunger, ein Appetit, etwas wie ein wildes Tier reckte sich in ihr auf, dass sie Mühe hatte, es zurückzudämmen, wenn sie glühend und blühend sich den Staub und Schweiß der Jagd von den Gliedern wusch. Das Tier bleckte die Zähne. Auf der Jagd las sie die Inschriften an den Wegen, überraschte das Tier des Waldes in der Brunst, überfiel den Auerhahn im tollsten Liebesrausch, und allmählich lüftete die Natur den Schleier vor ihren Kinderaugen. Ihre Lippen wurden röter, ihre Lebensgeister immer übermütiger, das kriegerische Wesen spornte und stachelte ihren Wunsch, sie ließ ihm die Zügel schießen, sie ließ ihn mit sich durchgehen. Was der Seneschall mit Anstrengung und Ermüdung zu töten oder wenigstens zu entwaffnen gedachte, wurde davon erst recht lebendig, wurde ungestüm, bäumte sich auf und brannte nach dem Kampf, wie der frischbespornte Page nach dem Turnier, nach Ringelstechen und Lanzenbrechen ...
Der gute Graf erschrak; aus dem Ei seiner falschen Klugheit war ein fürchterlicher Drache ausgekrochen, und das Ruhebett seines Alters hatte sich in einen glühenden Rost verwandelt. Er sah jetzt ein, dass er die Natur des Tieres, mit dem er sich eingelassen, verkannt hatte; er wusste seinem Hunger keine Weide, und es schlug um so wilder aus, je freier er es laufenließ. Wehe dem, der in dem Kampf unterlag, in dem Wunden geschlagen wurden, unheilbare, giftige Wunden, die sich der gute Ritter so nah vor seinem Tode mit Gottes Hilfe gern erspart hätte.
Schon auf der Jagd konnte der alte Seneschall seiner Frau nicht mehr folgen, er schwitzte unter seinem Harnisch, keuchte, schnappte nach Luft, kam der Ohnmacht nahe, während die Seneschallin sich immer toller berauschte und sich ein zehnfaches Leben trank aus dem Becher der wilden Hatz. Am Abend nach dem Vesperbrot wollte sie dann tanzen. Wenn nun der unglückliche Mann, in einen ganzen Pack von dicken Stoffen eingewickelt, ihr den Partner machen musste, als etwa ihr die Hand geben, wenn sie den Schüttertanz der Mohrin versuchte, oder ihr die Leuchter halten zum Fackeltanz, denn sie hatte die tollsten Einfälle, da meinte er oft, zusammenbrechen zu müssen vor Abspannung und Müdigkeit; aber es half alles nichts, er musste die Zähne aufeinanderbeißen und den charmanten Schwerenöter machen, trotz Gicht, Zipperlein und Rheumatismus, und musste den Entzückten spielen bei ihrem Schmiegen und Biegen, ihrem Wirbeln und Balancieren, ihren Pantomimen und tausenderlei Possen, bei denen sie kein Ende finden konnte. Er liebte sie trotzdem über alles; wenn sie die Glocken von Saint-Martin als Berlocken verlangt hätte, er hätte sie ihr geholt in hellem Lauf.
Eines schönen Tages aber sah er doch ein, dass seine Lenden zu lahm und seine Glieder zu steif geworden,