Die dreißig tolldreisten Geschichten. Оноре де Бальзак
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Читать онлайн книгу Die dreißig tolldreisten Geschichten - Оноре де Бальзак страница 18
»Oh«, antwortete sie, die merkte, dass der Teufel wirklich los sei, »ich habe es, zu meinem größten Vergnügen, wohl gefühlt, aber Ihr hattet mich so in Unwissenheit gelassen über die Sache, dass ich sie für einen Traum hielt.«
Bei diesen Worten schmolz der Zorn des Seneschalls wie Schnee in der Sonne. Der größte Zorn Gottes hätte einem Lächeln Blancheflors nicht standgehalten.
»So mag der Teufel den Bankert holen, ich schwöre, dass ...«
»Schwört nicht«, sagte sie; »wenn es nicht Euer Kind ist, so ist es doch das meinige, und habt Ihr mir nicht versichert, dass Ihr alles liebtet, was von mir kommt?«
Und dann begann sie mit so spitzfindigen Argumentationen, hatte so süße Blicke, so vergoldete Worte, so jammervolle, herzzerreißende Klagen, untermischt mit Tränen und Zornausbrüchen; und hatte von neuem wieder soviel Gründe und Gegengründe, die sie ihm wie das Vaterunser herunterbetete, als etwa, dass doch die Domänen nun nicht mehr an den König zurückfielen, dass das Kind ja unschuldig sei wie ein Engel im Paradies, und so und so, vom Hundertsten ins Tausendste, dergestalt, dass der gute Hahnrei sich endlich besänftigte und Blancheflor volle Zuversicht gewann, so sehr, dass sie sogar den Mut fand, nach dem Pagen zu fragen.
»Zum Teufel ist er!« antwortete der Seneschall.
»Wie!« rief sie, »Ihr habt ihn umgebracht?« Sie erblasste, sie wankte.
Bruyn erschrak, er glaubte, sie getötet zu haben, die süße liebe Frau, das Glück seiner alten Tage, und er hätte ihr jetzt gern, um sie nur zu ermuntern, den Pagen zum Geschenk gemacht, wenn er ihn zur Hand gehabt hätte.
Er gab Befehl, dass man ihn suche. Aber René in seiner Höllenangst war schon weit fort auf dem Weg nach dem Heiligen Land, wohin sein Gelübde ihn rief. Als Blancheflor von dem Abt erfuhr, welche Buße dem Geliebten auferlegt worden, verfiel sie in eine schwarze Melancholie. »Ich werde ihn nicht mehr sehen, den Unglücklichen«, rief sie oft aus, »meine Liebe hat ihn in den Tod getrieben!«
Und immer fragte sie nach dem Pagen wie ein Kind, das seiner Mutter so lange keine Ruhe lässt, bis ihm sein Wunsch erfüllt wird. Der Seneschall sah ihren Jammer, er fühlte aufs tiefste all seine Schuld, und er tat seiner Frau alles zuliebe – eine einzige Sache ausgenommen –, um sie glücklich zu machen; aber das Zuckerwerk, an das sie der Page gewöhnt hatte, konnte er ihr nicht auftreiben. Und dann, eines Tages, bekam sie das einst so heiß ersehnte Kind. War das ein Fest für den guten Hahnrei?
Das Kind war sein ausgeschlüpfter Vater, das war ein Trost für Blancheflor, und sie gewann nach und nach wieder ein wenig von ihrer früheren unschuldigen Heiterkeit, die den alten Seneschall erquickte wie der Duft und das Leuchten einer Blume. Er gewöhnte sich auch daran, den Kleinen zu sehen, wie er sprang und tollte und seine Mutter herzte, und gewann ihn nach und nach lieb, so sehr, dass er dem übel begegnet wäre, der an seiner Vaterschaft gezweifelt hätte.
Von dem Abenteuer seiner Frau war nichts über die Mauern des Schlosses hinausgedrungen, und so erzählte man sich im ganzen Tourainer Land mit Verwunderung, wie der alte Bruyn noch das Zeug in sich gefunden habe zu einem Sohn und Stammhalter. Die Ehe Blancheflors blieb ohne Makel. Sie hatte genug der superfeinen Klugheit, die den Frauen so natürlich ist, und hütete sich sehr, jemand von der lässlichen Sünde zu reden, wodurch ihr Kind auf die Welt gekommen war. Sie wurde fromm, und die Ehemänner im Land herum nannten sie das Muster einer tugendhaften und ehrsamen Hausfrau. Ihren Mann konnte sie um den kleinen Finger wickeln und machte reichlich davon Gebrauch. Ihr Herz gehörte René, aber mit Bruyn hatte sie ihre Absichten und war ihm scheinbar dankbar für die Blüten seines Alters, verwöhnte ihn, verhätschelte ihn, tat freundlich mit ihm, erhielt ihn in guter Laune und hatte für ihn all die kleinen Rücksichten und Zärtlichkeiten, wie gute Frauen sie im Vorrat haben für ihre Männer, die sie betrügen. Da mochte Bruyn nicht ans Sterben denken, saß breit und behaglich in seinem Stuhl, und je länger er lebte, eine um so süßere Gewohnheit wurde ihm das Leben. Aber eines Abends, nachdem er lange ruhig in seinem Stuhl gesessen, rief er plötzlich mühsam:
»Blancheflor, mein Herzlieb, ich sehe dich nicht mehr, wird es schon Nacht?«
Der Tod war über ihn gekommen, ohne dass er ihn bemerkt hatte – der Tod des Gerechten, den er wohl verdient für seine Heldentaten im Heiligen Lande.
Blancheflor legte große Trauer an, sie beweinte ihn wie einen Vater. Sie wollte auch von einer zweiten Heirat nichts hören, was ihr bei den guten Leuten viele Lobreden eintrug durchs ganze Land, wo niemand wusste, dass sie einen Herzgeliebten hatte, auf den sie hoffte. Sie war aber in der Tat Witwe, auch nach dem Herzen, und da sie nicht die kleinste Nachricht erhielt von ihrem kreuzfahrenden Freund, glaubte sie ihn tot, und in der Nacht, wenn sie von ihm träumte, sah sie ihn nie anders als tödlich verwundet hingestreckt in seinem Blut. Dann erwachte sie oft, übergossen mit heißen Tränen. So lebte sie vierzehn Jahre lang ganz in der Erinnerung eines kurzen, verflossenen Glücks.
Dann waren eines Tages einige Edelfrauen des Landes bei ihr, es war nach Tisch, und die Damen plauderten zusammen, da kam ihr Knabe herein, der damals ungefähr dreizehn und ein halbes Jahr alt war und dem verschollenen René mehr glich, als es einem Kind erlaubt ist, seinem Vater zu gleichen. Von dem verstorbenen Bruyn hatte er nichts als den Namen. Dieser schöne Wildfang, entzückend wie seine Mutter, kam vom Garten hergerannt, ganz in Schweiß, ganz außer Atem, links und rechts wegstoßend, was ihm im Weg stand, wie solche Rangen pflegen. Als er die geliebte Mutter sah, lief er auf sie zu, warf sich ihr um den Hals, und unbekümmert um die schönen Reden der Damen rief er: »Mutter, ich habe dir was zu sagen! Da drunten im Hof war ein Mann, der hat mich angepackt, und Augen hat er gemacht ...«
»Was muss ich hören?« rief die Schlossherrin, indem sie sich an den Diener wandte, der damit beauftragt war, über den jungen Grafen zu wachen. »Ich hatte Euch verboten, zu gestatten, dass je ein fremder Mann meinen Sohn berühre, und sollte es auch ein großer Heiliger sein ... Ihr werdet meinen Dienst verlassen.«
»Hohe Frau«, erwiderte der gescholtene Stallmeister, »der da unten hatte keine bösen Absichten. Er küsste den Knaben, und die Tränen standen ihm in den Augen.«
»Er hat geweint?« rief sie aus. »Es ist der Vater.«
Sprach's und ließ das Haupt hängen, tief über den Sessel hinab, auf dem sie saß und welcher der nämliche war, auf dem sie einst zusammen gesündigt hatten.
Bei dem unvorsichtigen Wort der Schlossherrin sahen sich die Damen an und bemerkten erst gar nicht, dass die arme Seneschallin tot war; wirklich, sie war tot, ohne dass man je erfahren konnte, ob sie aus Schmerz gestorben, weil ihr Geliebter, treu seinem Gelübde, davongeritten war, ohne sie zu sehen, oder aus plötzlicher Freude über seine Heimkehr und die Aussicht, das Interdikt lösen zu lassen, das der Abt von Marmoustiers über ihre Liebe verhängt hatte.
Ihr Tod brachte viel Trauer und Klage, der Herr von Jallanges verlor ganz den Kopf bei dem Anblick, wie man seine Dame in die Erde senkte; er nahm zum Kreuz die Tonsur und wurde Mönch im Kloster von Marmoustiers, von einigen auch Großmünster genannt, maius Monasterium, weil es die größte und schönste Abtei war im ganzen Lande.
Das Königsliebchen
War da in dieser Zeit ein Goldschmied bei der Brücke zu den Wechselbänken, dessen Tochter in ganz Paris als eine außerordentliche Schönheit galt und die mit ihrer anstelligen Art jedermann entzückte. Es wurde ihr darum hofiert von allen Seiten, und manch einer hätte dem Vater noch Geld gegeben,