Die Eimannfrau. Erich Wimmer

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Die Eimannfrau - Erich Wimmer

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ihr Namensgeheimnis. «Ich heiße Chantal.»

      Sie spricht es wie Schau Tal aus, mit einer erstaunlich langen Pause zwischen den Silben. Eine Aufforderung ins Tal zu schauen habe ich so noch nie bekommen, aber es passt schön in dieses Land, das ja nicht gerade an Talarmut leidet. Auch ich nenne meinen Namen und weise auf die Verwandtschaft mit Kehricht hin, was Schau Tal so zum Lachen bringt, dass sie sich den Mund zuhalten muss. Sie will Alains seespiegelschöne Yoga-Atmosphäre auf keinen Fall noch mehr aufwühlen. Sie will aber auch die Gunst dieser einen Minute melken und aus ganzem Herzen lachen. Wir liegen beide vor der Quadratur des Kreises. Dezenz und Ekstase, Apoll und Dionysos. Schau Tal findet noch etwas Entzückendes, das sie unbedingt gleich loswerden muss.

      «In Linz habe ich auch Verwandte und bin immer froh, wenn ich den österreichischen Slang höre. Das hat sowas … Vertrautes.»

      «Du hast ja in ganz Österreich Verwandte», stelle ich fest. «Vielleicht sagst du mir einfach, wo du keine Verwandten hast. Ich glaube, das würde alles vereinfachen.»

      Sofort muss sich Schau Tal wieder die Hand vor den Mund halten und prusten. Und weil sie zu platzen droht, versuche ich, ihr mit einer Versachlichung entgegenzukommen.

      «Ich habe noch keinen Schweizer kennengelernt, der Linz nicht kennt», wispere ich, weil Alains Geduldsfäden erste Haarrisse bekommen und er schon Blicke in unsere Richtung wirft, die einen Anflug von regulativer Strenge transportieren, «aber ich kenne nur Österreicher, die Langenthal nicht kennen. Wieso ist das so?»

      «Das … das darfst du nicht vergleichen», empfiehlt mir Schau Tal, während sie gleichzeitig mit der Beruhigung ihres Atems ringt, «Linz ist eine der größten österreichischen Städte. Aber Langenthal gehört nicht zu den Schweizer Metropolen.»

      «Welche sind das?»

      «Bern, Basel, Zürich, Genf, Luzern.»

      Schau Tal hat sich jetzt endlich wieder halbwegs im Griff. Mit gutem Gewissen frage ich nach. «Und dort steppt der Bär?»

      «Aber ganz sicher.»

      «Und was geht ab in Langenthal», frage ich flüsternd, «zirpt da wenigstens der Zeisig?»

      Schau Tal muss sich erneut den Mund zuhalten. Mit der anderen Hand gibt sie mir unmissverständlich zu verstehen, dass ich den meinen endlich halten soll. Sie ist so weichgelacht, dass sie alles lustig findet. Würde ich eine Socke ausziehen und ihr damit winken, müsste Alain wahrscheinlich die Rettung rufen.

       Die Fänger im Gebüsch

      «Achtung, in maximal zwei Minuten kommt eine Frau mit Hund!»

      Pergynti registriert meine Warnung mit einem beiläufigen Nicken und duckt sich ein wenig. Was genau gar nichts bringt. Sollte die Frau wirklich an dieser Stelle des Uferwegs stehenbleiben und ihrem herumschnüffelnden Hund nachgehen, falls er durch den schmalen Streifen aus Haselnussstauden und Fichten trottet, dann sind wir ihrem Blick ausgeliefert. Und ihrem Handy. Und den Fotos, die dieses Handy machen könnte. Und den Betrachtern, denen diese Fotos in den sogenannten sozialen Medien vor Augen kommen. Im letzten Winkel meiner Vorstellungsbühne nimmt sogar schon der Stiftungsrat Platz, um – aus gegebenem Anlass – eine außerordentliche Sitzung abzuhalten. Jemand hat ein Bild vom Stipendiaten gesehen, das, gelinde gesagt, irritierend war. Deshalb die Sitzung und ihre Dringlichkeit.

      «Zieh die verdammte Schnur raus», zische ich ihm leise und eindringlich zu. «Wenigstens vorübergehend. Die beiden kommen immer näher und der Hund ist von der virulenten Sorte. Der verschwindet alle paar Meter im Wald.»

      «Einmal lasse ich ihn noch runter», antwortet Pergynti ignorant, ohne sich nach mir umzublicken. Er hockt auf dem schmalen Sandstreifen des Ufers, so nahe an der Langete, dass seine schwarzen Lederschuhe immer wieder von den Ausläufern der Wellen umspült werden. Aber selbst wenn das kein kaltes Wasser wäre, sondern ein Strom glühend heiße Lava, Pergynti wiche keinen Schritt zurück. Das war schon immer so. Sobald ihn das Fischfieber ergreift, ist er nur noch äußerlich ein wohlbeleibter Hundertkilomann mit Topffrisur. Innerlich hat er längst die Transformation in einen Werwolf vollzogen, von dessen Reißzähnen der Will-haben-Speichel tropft.

      «Blpps», machen der Haken, der Wurm und das Blei, als sie von Pergynti geworfen etwas stromaufwärts in den Wellen landen. Er fischt mit dem Handzeug, einer auf das Wesentliche reduzierten Schwarzfischermethode, die ohne Stange und Rolle auskommt und nur mit Schnur, Haken und Köder operiert. Theoretisch lässt sich dieses Zeugs schnell und rückstandslos verstecken. Aber in der Praxis haben wir uns bei allzu hektischen Abgängen und Fluchten mehr als einmal den offenen Haken durch die Hosentasche in den Oberschenkel gerammt. Und da wir immer mit Widerhaken fischen, kann man das Entfernen eines gut im eigenen Muskelfleisch sitzenden Hakens schon als maßgeblichen Teil der Sühne betrachten, deren Rest uns im Jenseits erwartet. Der Imre, unser Codewort für Wurm, trudelt wie ein schwereloser Astronaut durch das Universum des Wassers und sinkt langsam aus der sichtbaren in die unsichtbare Zone. Während ich schräg über Pergynti auf den Wurzeln einer Fichte knie, versuche ich, sowohl seine Aktionen wie auch die Bewegungen draußen am Gehweg im Auge zu behalten.

      Die Stelle, an der wir uns befinden, liegt ungefähr einen Kilometer entfernt von der Langenthaler Stadtgrenze. Hier schlängelt sich der Fluss zwischen Feldern und dem Rand eines Waldes Richtung Aare. Bei meinen Erkundungsgängen habe ich diesen Ort zu unserem ersten Angriffspunkt erkoren. Die knietiefe Kehre ist fischereilich vielversprechend und liegt zumindest so weit vom Gehweg entfernt, dass die Spaziergänger, Jogger und Hundeausführer nicht ohne weiteres auf Gestalten aufmerksam werden, die im Schatten der Bäume am Ufer kauern.

      «Biss!», ruft Pergynti und zieht gleichermaßen hektisch wie umsichtig an der dünnen Nylonschnur. Es ist nicht leicht, die abfedernde Funktion einer Fischerstange mit der vergleichsweise kurzen und viel weniger reaktionsschnellen Aktion einer menschlichen Hand zu kompensieren. Besonders bei großen Fischen ist die Chance hoch, dass sie durch einen spontanen, heftigen Ruck vom Haken loskommen.

      «Die ist gar nicht so klein», kommentiert Pergynti das noch unsichtbare Gewicht, das in einigen Metern Entfernung panisch über den Sandboden pflügt. «Mindestens Speise!»

      Speise, unsere Abkürzung für Speisefischgröße. Ein Tier mit einer Länge von mindestens dreißig Zentimetern. Vor gut fünfundzwanzig Jahren, als wir beide noch in Linz studierten, hatten wir gemeinsam ein Jahr lang eine Fischzucht gepachtet. Von deren Besitzer, einem grobschrotigen Wicht, der, wenn er überhaupt sprach, nur mit Einzelworten oder Nennformgruppen operierte, stammt dieser Begriff. Mit Speise markierte er das endlich vertilgbare Ziel aller fischzüchterischen Bemühungen.

      «Wörff?», kläfft ein Hund, der plötzlich neben mir steht. Er ist zu überrascht, um richtig zu bellen, das sieht man an seinem Blick. Hier hinter den Bäumen hat er maximal ein ängstliches Karnickel erwartet. Aber jetzt, mit einem Schlag, steht er vor zwei ausgewachsenen Feuerkobolden, deren Aura in blauen Flammen steht.

      «Braver Hund», lobe ich ihn, während Pergynti noch immer damit beschäftigt ist, den Fisch zu drillen. Der Hund sieht nicht wirklich gefährlich aus, aber aus seinem Verhalten spricht der ehrliche Wille, sich hier und jetzt mit der Situation grundlegend vertraut zu machen und, wenn möglich, konstruktive Beiträge zu leisten. Mit seinem um Verständnis und Sachlichkeit bemühten Blick kommt er mir vor wie ein junger Lehrling, der zum ersten Mal im neuen Betrieb erscheint und noch nicht recht einordnen kann, was die beiden älteren Angestellten da tun. Aber er ist mit jeder Faser seines Herzens bereit, seinen Hund zu stellen und mitzuwirken, auch wenn das vorerst nur bedeutet, dass er hier stehenbleibt, mit dem Schwanz wedelt und herzhaft hechelt.

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