Die Eimannfrau. Erich Wimmer

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Die Eimannfrau - Erich Wimmer

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mich, «danken wir Ihnen für die Geduld und die Ausführlichkeit, mit der Sie unsere Fragen beantwortet haben, und wünschen Ihnen noch eine angenehme Heimreise nach Österreich.»

      «Ich danke Ihnen auch für die Fragen und die Lebenszeit, die Sie mir gewidmet haben», sage ich und erhebe mich aus dem Sessel. Die Sekretärin steht ebenfalls auf und begleitet mich nach draußen.

      «Sobald eine Entscheidung gefallen ist», erklärt sie mir im Vorraum, «werde ich mich bei Ihnen melden.»

      Sie drückt meine Hand, aber, kommt mir dabei vor, nicht mehr ganz so zuversichtlich wie bei meiner Ankunft. Dann huscht sie zurück in das Sitzungszimmer.

      Die folgende Woche fühlt sich an wie ein Schiffbruch. Ohne Ruder und Kompass treibe ich auf einer glitschigen Planke über das tückische Meer der Ungewissheit. Leise, hoffnungsvolle Strömungen im steten Wechsel mit den gefährlichen Abwärtsspiralen laut gurgelnder Selbstzweifel. Am achten Tag meiner Odyssee ruft die Sekretärin tatsächlich an. Das diesjährige Stipendium, erklärt sie mir, wird erstmals geteilt. Zwischen einer Zürcher Autorin und mir. Jeder von uns bekommt ein halbes Jahr.

      OKTOBER

       Die süße Maus

      «Philippa», sagt Frau Krczal-Gozani mit massiver Betonung der Vokale. Gleichzeitig schwingt ihre rechte Hand auf mich zu. Wahrscheinlich verbirgt sich darin ein Brandeisen, wie es Cowboys benutzen, um Kuhschenkel zu markieren. Mir wird sie jetzt ein großes E in die Haut brennen, um klarzustellen, dass ich ab heute zum Inventar der Eymann-Villa gehöre.

      Wir stehen im Eingangsbereich, direkt am breiten Fuß der steilen Eichenholztreppe. Frau Krczal-Gozani ist soeben aus dem Keller aufgetaucht. Sie ist hier die burschikose Haushälterin und hält tatsächlich einen Teil des Hauses, nämlich den Wäschekorb. Beiläufig stemmt sie ihn an ihre mächtige Hüfte und schenkt mir den streng vorwurfsvollen Blick eines Piraten, der hier seinen Schatz verstecken möchte und dabei von einem Unbekannten gestört wird. Bis jetzt bin ich ihr noch nicht persönlich begegnet, weiß aber von der Stiftungssekretärin, dass Frau Krczal-Gozani die Dinge nicht nur im Griff hat, sondern manchmal auch im Schwitzkasten. Sowohl im Haus, als auch ums Haus herum und überhaupt.

      «Bei uns ist das alles eher unkompliziert», fährt Frau Krczal-Gozani fort, mit einer Lautstärke, die prophylaktisch darauf Rücksicht nimmt, dass ich in meinem Alter schon mein Hörrohr vergessen habe könnte. «Verstehen Sie den Schweizer Dialekt oder soll ich Hochdeutsch mit Ihnen reden?»

      «Hochdeutsch, bitte», ersuche ich, «vom Schweizer Deutsch hab ich bis jetzt nur verstanden, dass etwas kleiner wird, wenn man ein -li anhängt … und wenn das für Sie nicht zu aufdringlich wirkt, dann können wir auch gerne Du zueinander sagen. Wir werden hier ja immerhin ein halbes Jahr gemeinsam leben. Ich heiße Erich.»

      «Philippa», wiederholt Frau Krczal-Gozani so laut, als solle eine weitere Philippa von der Straße hereingerufen werden. «Und mein Mann heißt Pavel, mein Sohn Reto und meine Tochter, die süße Maus, Sarah.»

      Als sie von ihrer Tochter spricht, ändert sich der Klang von Frau Krczal-Gozanis Stimme. Ein plötzliches Leuchten überzieht die harten Ecken der Konsonanten mit dem weichen Schutzfilm einer unbedingten Liebe. Die Strahlen dieser Sonne perforieren meine Smalltalkschicht. Dort, wo sich meine unverlierbaren Erinnerungen sammeln, bekommt Sarah schon einen Platz, obwohl ich sie noch gar nicht gesehen habe. Ich werde sie auch später nicht oft sehen, weil sich der Kontakt zwischen dem Stipendiaten und der Haushälterfamilie in einer freundlich-unverbindlichen Distanz einpendeln wird. Aber jedes Mal, wenn ich Sarah zufällig treffen werde, wird sie mir mitteilen, dass sie jetzt zum Kunstturnen fährt oder vom Kunstturnen kommt. Sie wird das große Wort mindestens zwei Mal verwenden und sich damit zum ersten Mal etwas geben, das mir immer mehr abhandenkommt: Identität.

      Philippa packt die Gelegenheit am Schopf und erklärt mir den Hausbrauch. Dass man in der Schweiz gelbe Streifen auf die vollen Müllsäcke klebt, ist mir neu. Aber es leuchtet mir ein. Durch den kostenpflichtigen Klebestreifen entsteht so etwas wie eine persönliche Beziehung zwischen dem Sack und seinem Befüller. Ich beschließe, meinen ersten Müllsack Horst zu nennen. Horst tritt aus seiner Anonymität, während ich mir als Befüller genauer überlege, was ich wegwerfe und wie ich das Weggeworfene besser falte oder dichter presse, um Platz zu gewinnen, Geld zu sparen und nebenbei die Umwelt zu schonen.

      Nach dem richtigen Umgang mit dem Müll nimmt sich Philippa die Waschmaschine im Keller vor (alt und gut), das Postfach (flach aber tief, immer ganz nach hinten schauen), die Küche (alles da bis auf einen großen Spaghettitopf, da gab’s einen mittelschweren Anbrennunfall mit Reis, aber der neue Topf ist schon im Anmarsch), und schließlich das Rad (immer absperren), das den Stipendiaten zur Verfügung steht. Ein altes, neu bereiftes, mattweißes, da und dort rostiges, einfach sympathisches Damenfahrrad, auf das mich auch die Sekretärin schon hingewiesen hat. Es steht neben dem Hauseingang im Eck zwischen Gartenzaun und Stiege und wird meinen Erlebnisradius deutlich erweitern. In der Schweiz heißen Räder Velos. Soviel habe ich schon mitbekommen. Außerdem sagt Philippa nicht Müll, sondern Kehricht. In diesem Wort steckt Erich, mein Name. Das gibt mir zu denken. Womöglich ist Erich eine Kurzform von Kehricht. Bring den Erich raus und wasch dir die Hände, wir essen gleich. Wahrscheinlich bin ich näher mit dem Müllsack Horst verwandt, als mir lieb ist. Alles, was die Welt nicht mehr braucht, fällt in uns beiden zusammen. Und wir sortieren und entsorgen es dann. Horst, indem er sich später einmal über die Müllhalde ergießt, ich, indem ich aus meiner Wirklichkeit Essenzen sammle, sie in virtuellen Räumen zwischenlagere, von wo aus sie, gebunden als Bücher, wieder eintreten in den kleinen Kreislauf aus Gelesen-und-vergessen-Werden.

      Bis jetzt habe ich sieben Bücher veröffentlicht. Bei sogenannten Kleinverlagen, die ihre Bezeichnung dem Umstand verdanken, dass alle ihre Autoren literarisch betrachtet Zwerge sind. Nicht einmal mit einer hohen Zipfelmütze würde einer von uns so weit in die literarische Landschaft hinaufragen, dass uns ein maßgeblicher Kritiker wahrnähme. Gelesen werden meine Werke, wenn überhaupt, nur von ganz wenigen, zumeist etwas schrulligen Menschen. Mindestens einer dieser Menschen ist eine alleinstehende, altersmäßig indifferente Bibliothekarin. Sie trägt dicke Brillen und hat einen bandoneonartigen Hund, der es lieber gemütlich angeht, weshalb sein Frauchen nicht so oft Gassi gehen muss und deshalb genug Zeit findet, sogar derart unbekannte Schreiberlinge wie mich zu lesen.

      Vom Schreiben könnte ich fünf Stunden lang leben. Von nach dem Frühstück bis vor dem Mittagessen. Das ist die Zeit, in der ich kein Geld ausgebe und nichts esse, sondern nur schreibe und atme. Nahrung, Gewand und ab und zu ein paar Blumen für meine Frau Rita kann ich mir nur deshalb kaufen, weil ich einen Knäckebrotberuf habe. Ich bin Geigenlehrer. Das würde Herr Liebisch, einer meiner geistigen Mentoren, nicht so flapsig formulieren. In seiner Stilschicht bin ich ein Violinpädagoge. Zum Ausgleich nennt mich Margarita, meine Nürnberger Freundin, Wimmerholzquetscher. Sie findet das deshalb besonders lustig, weil das wimmernde Holz so schön mit meinem Nachnamen korrespondiert. Ihren Humor hat sie direkt aus der Hölle, wo sie nach eigenen Angaben auch zur Welt gekommen ist. Bei ihrer nächsten Wiedergeburt möchte sie einfach in einer emotional funktionalen Familie aufwachsen. Zum ersten Mal sind wir uns in der Drehbuchwerkstatt München begegnet. Dort ist das passiert, was Wilhelm Busch in eine wunderbare Kurzformel gefasst hat: Freunde erwirbt man nicht, Freunde erkennt man.

      Momentan quetsche ich keine Töne aus meiner Geige. Dafür, dass ich im Verlauf von fünf Unterrichtsjahren auf ein Jahresgehalt verzichte, habe ich das letzte dieser fünf Jahre frei bekommen. Ein sogenanntes Sabbatical. Zwei Junglehrer vertreten mich und können erste Unterrichtserfahrung sammeln. Derweil sammle ich schon einen Vorgeschmack auf das nachberufliche Nirwana, das Gefühl, nicht mehr gebraucht zu werden und von ehemaligen, noch im Beruf stehenden Kollegen bei zufälligen Begegnungen milde Lächler geschenkt

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