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»Bis Sie die Herrin sind«, stellte Jericho fest. »Nun gut, betrachten wir die Dinge nüchtern, Inez. Don Carlos will, dass Sie Sastre heiraten, ehe Sie volljährig sind. Damit würde Sastre der ganze Besitz Ihres Vaters gehören – oder besser, Don Carlos hätte ihn sich über Sastre gesichert. Hat Ihr Onkel jemals den Gedanken geäußert, Sie täten gut daran, den Besitz zu verkaufen?«
»Ja, er wollte es«, bestätigte Inez Ramirez, Jericho verwundert ansehend. »Er sagte mir schon vor zwei Jahren, die Hazienda hätte durch den Bürgerkrieg zu sehr gelitten. Warum fragen Sie, Señor Graves?«
»Ich zähle nur zwei und zwei zusammen«, brummte Jericho griesgrämig. »Hätten Sie verkauft, hätte er die Verwaltung des Geldes gehabt. Das wollten Sie nicht, oder?«
»Natürlich nicht«, antwortete Inez entrüstet. »Dieses Land nahmen einmal meine Vorfahren in Besitz vor sechs Generationen, Señor Graves. No, ich hätte niemals verkauft, es wäre auch gar nicht möglich gewesen. Das Testament meines Vaters verbietet jeden Verkauf, solange ich nicht volljährig bin.«
»Aber es untersagt keine Heirat, oder?«
»No, die nicht«, gab Inez verwirrt zurück. »Señor Graves, was denken Sie?«
»Dass der Vetter Ihres Vaters ein ausgemachter Schuft und Halunke ist«, knurrte Jericho vor sich hin. »Inez, Sie können mir später, wenn wir nach Wagon Creek fahren, alles ausführlich erzählen. Eigentlich reicht das schon, was Sie mir bisher gesagt haben. Dieser verschlagene Bursche Carlos hat nichts weiter vor, als Sie auf irgendeine Art um den Besitz zu bringen und ihn dann zu verkaufen, um sich ein herrliches Leben zu machen. Ich wette, Mike hat ihn genauso durchschaut. Was hat Mike über ihn gesagt?«
»Dasselbe wie Sie, Señor Graves, und …, und noch etwas mehr.«
»Und was?«, fragte Jericho.
»Dass er mich nie…, niemals heiraten würde«, stammelte Inez, während ihre Augen sich wieder mit Tränen füllten. »Er …, er ist so stolz, er will keine reiche Frau, hat er gesagt, denn eines Tages könnte ich ihm vorwerfen, er hätte mich nur wegen meines Geldes …, oh, Señor Graves, ich würde ihm das doch nie vorwerfen, ich liebe ihn doch wie mein Leben und …«
»Ja, ja«, sagte David Jericho und kratzte sich am Hinterkopf. »Sicher tun Sie das, Lady Inez. Aber jetzt hole ich den Wagen.«
David Jericho hastete davon und dachte mit einiger Besorgnis an Doc Alec Sheppard. Heute war der zweite Tag des Monats. Der Doc musste neben seiner spärlichen Armee-Rente auch jene wenigen Dollar erhalten haben, die ihm die mit Kindern gesegneten Leute in Wagon Creek dafür zahlten, dass er ihre Ableger unterrichtete.
Einen Tag nach Monatsanfang, dachte Jericho beklommen, wenn das nur gutgeht mit dem Doc. Alec teilt sich zwar sein Geld ein, aber gewöhnlich ist er die ersten drei, vier Tage eines jeden Monats betrunken. Ist das auch heute der Fall, könnte ich gleich mit Mike nach Prescott weiterfahren. Der Teufel soll den Fusel holen, den der Doc in sich schüttet, als hätte er Wasser im Glas.
David Jericho Graves seufzte einmal.
Er hatte das Gefühl, dass er Alec Sheppard völlig dunkelblau vorfinden würde. Um Don Carlos machte sich Jericho jetzt keine Sorgen. Der Wüstensturm musste jede Spur von Shannon und Inez gelöscht haben. Zudem hatte Shannon die Richtung geändert.
»Er hat alles getan, was er noch tun konnte – und hoffentlich ist es genug gewesen«, brummte Jericho, als er sich dem Wagen näherte. »Wenn ich Glück habe, ist Alec ausnahmsweise halbwegs nüchtern. Und was tue ich, wenn er voll wie eine Haubitze ist?«
Genau das wusste Jericho nicht. Was sollte er machen, wenn der Doc nicht vernehmungsfähig war?
*
»Santa Clara de Cristobal«, kam es halberstickt über Inez’ Lippen. »Señor Graves, was ist mit dem alten Mann – ist er tot?«
»Tot nicht«, erwiderte Jericho finster. »Er ist nur noch stockbetrunken. Haymes, hilf mir mal, ihn auf den Rücken zu drehen – er ist schwer wie ein Klotz Blei.«
Bis jetzt hatte niemand Shannon erkannt, da kaum anzunehmen war, dass irgendwer in Prescott die Steckbriefe studiert hatte.
»Für einen Mann, der sich zu Tode saufen will«, grinste Haymes, der Waiter des Bloomefield-Saloons, breit, »ist er einfach zu gesund, Jericho. Hast du geglaubt, dass er von der Sauferei magerer werden würde? Ich sage dir, er wiegt eher dreißig Pfund mehr als letztes Jahr.«
Haymes stöhnte, als sie Doc Sheppard auf den Rücken legten.
»Himmel, er ist wirklich noch dicker geworden«, stellte Jericho schnaufend fest. »Haymes, wo hat er seine Handtasche?«
»Wo wird er sie haben – zu Hause, drüben«, antwortete der Waiter achselzuckend.
»Geh rüber und sieh zu, dass du seine Tasche findest, Haymes«, meinte Jericho knapp. »Wenn alles nichts hilft, muss ich versuchen, ob ich die Kugel herausbekomme. Mein Fiebermittel hat dem Verwundeten kaum geholfen. Irgendwie muss ich den Doc munter machen.«
»Das hat noch niemand geschafft, Jericho.«
Haymes hastete hinaus, während Inez verstört auf den wie tot auf der Bank liegenden Doc blickte. Das Mädchen hatte nicht alles verstanden, was gesprochen worden war und wandte sich nun an Jericho: »Señor Graves, dieser betrunkene alte Mann kann doch unmöglich Mikel operieren. Er würde ihn umbringen – por dios! Ich gehe zu Mikel. Vielleicht hilft ihm die Medizin doch noch?«
»Jedenfalls ist das Fieber nicht mehr gestiegen«, murmelte Jericho. Er setzte sich auf den Tisch und blickte auf Doc Sheppard hinab. »Gehen Sie nur, Inez. Es wird etwas dauern, ehe ich den Doc munter habe.«
Jericho starrte auf Sheppards rundes, bärtiges Gesicht, dem der Hängeschnurrbart das Aussehen eines Seehundes verlieh, und dachte an Sheppards Schicksal. Es gab kaum jemand in diesem Land, der mehr von Schusswunden verstand. Die Kugellöcher, die der Doc während seiner Armeezeit und der Apachenkriege zu flicken gehabt hatte, konnte niemand zählen. Vor acht oder neun Jahren hatte Sheppard Frau und Tochter von Fort Verde aus nach Fort Yuma vorausfahren lassen, wohin er versetzt worden war. Er hatte von dort aus nach Kalifornien ziehen und dort seine Pension verleben wollen. Aber alles war anders gekommen, als es sich Sheppard erträumt hatte.
Die Stagecoach, in der Missis Sheppard mit der Tochter gesessen hatte, war nördlich von Wagon Creek von streunenden Apachen überfallen und sämtliche Insassen samt Kutscher und Beifahrer umgebracht worden.
Jetzt gab es auf dem Hügel über Wagon Creek nur noch das Doppelgrab, und Sheppard war in Wagon Creek geblieben, weil er nichts mehr auf dieser Welt als jenes Doppelgrab zu besitzen glaubte.
Haymes kam schnaufend mit der Arzttasche herein, schüttelte den Kopf und brummte: »Alle Wetter, weißt du, wo ich das Ding gefunden habe? Unter dem Bett inmitten von zweihundert leeren Flaschen. Das sieht aus in seinem Bau. Gerechter! Da hast du sie – und was kann ich noch tun?«
»Heißes Wasser machen«, erwiderte Jericho, die Tasche aufklappend, in der ein unbeschreibliches Durcheinander herrschte. »Mal sehen, ob ich etwas finde, was einen Fuselscheintoten lebendig machen könnte. Wann legte er sich hin und schlief ein?«
»Vor gut zwei Stunden etwa«, meinte Haymes grinsend. »Ich sage dir, versuche es wie McDunn. Nur haben wir kaum Wasser im Creek, aber da ist noch