Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen. Manfred Vogt

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Psych. Anpassungsreaktionen von Kindern und Jugendlichen bei chronischen körperlichen Erkrankungen - Manfred Vogt Störungen systemisch behandeln

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wenn auch verzögert und langsamer fortschreitend. Etwa 30 % der Betroffenen sind außerdem intelligenzgemindert. Die Gehfähigkeit geht meist nach dem 16. Lebensjahr verloren. Im Jugendalter entwickeln sich nächtliche Hypoventilationszustände. Auch hier ist die durchschnittliche Lebenserwartung auf das junge Erwachsenenalter begrenzt.

      Im Rahmen der Diagnostik finden neben der Anamnese und einer Beobachtung der sinkenden Creatinkinase-Werte im Blut eine EMG-Untersuchung und die Histologie einer Muskelbiopsie statt. Eine DNA-Analyse kann Aufschluss über hereditäre Faktoren geben. Eine kausale Therapie zur Heilung der Krankheit gibt es nicht. Zur Linderung der Symptome und zur Verbesserung der Lebensqualität kommen Physiotherapie, Atemtherapie, orthopädische Verfahren mit dem Ziel der Stabilisierung der Wirbelsäule, nächtliche Sauerstoffgabe sowie bei einigen Krankheitsbildern die Gabe von Prednisolon zur längeren Erhaltung der Gehfähigkeit zum Einsatz (Muntau 2011).

       Psychische Folgen

      Von Patienten mit Muskeldystrophien ist bekannt, dass sie im Vergleich zu Gleichaltrigen Defizite in ihren intellektuellen Fähigkeiten aufweisen können, insbesondere in den Bereichen Gedächtnis und Lernen sowie bei exekutiven Funktionen (Wicksell et al. 2004).

      Betroffene einer Muskeldystrophie leiden darunter, dass die Krankheit fortschreitet, ohne dass es eine ursächliche Therapie für die Erkrankung gibt. Ein kritischer Moment ist der Verlust der Gehfähigkeit, der bei Duchenne-Erkrankten im Durchschnitt mit knapp elf Jahren eintritt (Mirski a. Crawford 2014). Weitere Symptome wie Atemschwierigkeiten, meist zu Beginn der Pubertät, infolge kardiopulmologischer Schädigung werden bewusst miterlebt (Heap et al. 1996). Gerade in der Adoleszenz ist es problematisch, dass Jugendliche mehr und mehr auf Hilfe und körperliche Pflege durch Bezugspersonen angewiesen sind, was ihrer Autonomieentwicklung entgegensteht (Daut 2005). Familien sehen sich damit konfrontiert, medizinische Entscheidungen zu treffen, um die Lebensqualität möglichst lange aufrechtzuerhalten. Etwa die Hälfte der Betroffenen leidet regelmäßig an mindestens mäßigen Schmerzen, die wiederum Einfluss auf das Aktivitätsniveau sowie die Stimmung haben (Lager a. Kroksmark 2015). Depressionen und Aggressionen sind in dieser Patientengruppe weitverbreitet (Müller-Felber 2009).

      Erschwerend kommt hinzu, dass in vielen Schulen Unsicherheit darüber besteht, wie mit der Beeinträchtigung umgegangen werden kann. Hilfreich wären etwa Nachteilsausgleiche in Form verlängerter Arbeitszeit, da die Kinder mit abnehmender Muskelkraft in ihrem Arbeitstempo eingeschränkt sind (Daut 2005). Eine berufliche Tätigkeit ist v. a. aufgrund der sehr verkürzten Lebenserwartung auf 18 bis 25 Jahre (Schubert et al. 2004) nur begrenzt möglich. Es mangelt an Werkstattplätzen für Menschen mit körperlichen Einschränkungen, die Betroffenen eine befriedigende und sinnerfüllende Tätigkeit anbieten können (Müller-Felber 2009).

       1.6.3Krebserkrankungen mit infauster Prognose

       Klinisches Krankheitsbild

      Die Überlebensraten vieler pädiatrischer Krebserkrankungen konnten in den vergangenen Jahrzehnten deutlich gesteigert werden. Obwohl maligne Neubildungen im Kindesalter relativ selten sind, bilden sie in Deutschland die zweithäufigste Todesursache von Kindern nach dem Säuglingsalter (Eppinger u. Müller 2016). Etwa 16 % der Betroffenen versterben innerhalb der ersten fünf Jahre nach Diagnosestellung (Kaatsch et al. 2015). Die 5-Jahres-Überlebensprognose für die einzelnen Krankheitsbilder variiert mit Werten von beinahe 0 bis 98 % deutlich und ist abhängig von der Art des Tumors, dessen Lokalisation und Ausbreitung sowie dem Ansprechen auf die Therapie. Es gibt Krankheitsbilder wie hochgradige und nicht oder nur unvollständig operable Gliome, die von Beginn an als lebensverkürzende Erkrankung betrachtet und damit palliativ behandelt werden (Yiallouros 2018). Bei anderen Erkrankungen wiederum wird zunächst eine Heilung angestrebt, die aufgrund eines Progresses der Tumorerkrankung unter Therapie, eines nicht behandelbaren Rückfalls oder eines schlechten Ansprechens auf die Therapie jedoch nicht erreicht werden kann.

       Psychische Folgen

      Inwieweit Kinder mit einer terminalen Krebsdiagnose weiter die Schule besuchen, scheint bisher noch nicht erforscht zu sein. Erfahrungsgemäß ist dies eine sehr individuelle und von vielen Faktoren abhängige Entscheidung. Kinder mit nicht behandelbaren Erkrankungen, etwa primär behandelten Hirntumoren im Rezidiv, wünschen sich häufig viel Normalität und Alltag und besuchen weiterhin die Schule, bis die Krankheit voranschreitet und die Symptomatik zunimmt.

       1.6.4Folgen für die betroffenen Patienten und ihre Familie

      Die Diagnose einer lebensverkürzenden Krankheit ist für die betroffenen Kinder und Jugendlichen eine große Belastung. Je nach Alter des Kindes gilt es zu differenzieren, wie die notwendigen Informationen vermittelt werden können. Gerade Jugendliche können die Tragweite einer infausten Prognose kognitiv erfassen, haben aber aufgrund ihres Alters rechtlich gesehen oft keinen Einfluss auf weitere Behandlungsentscheidungen (Stillion a. Papadatou 2016).

      Zu beachten ist, dass gerade depressive Episoden häufig mit einer verminderten Therapieadhärenz assoziiert sind (Quittner, Saez-Flores a. Barton 2016). Ein Großteil der Betroffenen erreicht trotz der zusätzlichen Herausforderungen alterstypische Entwicklungsstufen wie die Unabhängigkeit vom Elternhaus und den Eintritt in die Erwerbstätigkeit (Besier a. Goldbeck 2012). Als besonders belastend wird das Wissen um das Fortschreiten der Krankheit und den bevorstehenden Tod wahrgenommen. Mit steigendem Alter der Erkrankten sinkt deren Lebenszufriedenheit, vermutlich weil sich die Symptome verstärken und vermehrte bzw. invasivere therapeutische Maßnahmen vonnöten sind (Besier a. Goldbeck 2012). Große Sorge bereiten der Vergleich mit ebenfalls erkrankten Wegbegleitern, deren Zustand sich akut verschlechtert hat, und der Gedanke daran, dass das Sterben möglicherweise mit großen Schmerzen und Unwohlsein verbunden ist. Patienten nehmen die Erkrankung als unvorhersehbar und folglich beängstigend wahr. Ein Großteil der Betroffenen wünscht sich, schnell und ohne Leid sterben zu dürfen (Higham, Ahmed Ahmed 2013). In der Realität tritt der Tod aber bei den meisten Erkrankten in der Klinik ein, wobei 75 % von ihnen in den letzten zwölf Stunden noch Antibiotika und weitere Medikamente verabreicht werden (Robinson et al. 1997).

      In der finalen Phase lebensverkürzender Erkrankungen ist der Kontakt zu Gleichaltrigen häufig eingeschränkt, zum einen aufgrund der Symptome der Kinder oder Jugendlichen, zum anderen aufgrund der Sorge, dass im Falle enger Beziehungen mit anderen diese nach dem Versterben verletzt und traurig sein könnten (Stillion a. Papadatou 2016).

      Die Diagnose einer lebensverkürzenden Erkrankung eines Kindes bedeutet für die Familie eine massive Traumatisierung. Erhöhte Angstsymptome und eine verringerte Lebensqualität (Besier et al. 2011), Schuldgefühle bei genetisch begünstigten Erkrankungen (Kappler u. Griese 2009), Unsicherheiten hinsichtlich des weiteren Verlaufs der Krankheit und Gedanken über das unausweichliche Lebensende des Kindes (Holroyd a. Guthrie 1986) begleiten die Familie fortan. Neben der emotionalen Belastung muss der Familienalltag oft komplett neu strukturiert werden: Die Versorgung eines Kindes mit zystischer Fibrose mit täglicher Physiotherapie, Atemtherapie, hochkalorischer Diät, Inhalation, Medikamentengabe, Abklopfen der Brust, Enzymkapseln etc. bedeutet einen immensen zusätzlichen Zeitaufwand für alle Beteiligten (Foster et al. 2001). Eltern sind häufig dazu gezwungen, ihre Anstellung zu beenden oder zu wechseln bzw. Karrierechancen aufzugeben, um ihre Kinder zu den vielen Therapien begleiten zu können (Neri et al. 2016). Resultierende finanzielle Engpässe stellen ein weiteres Problem dar. Für Geschwisterkinder ist die Situation ebenfalls eine große Herausforderung. Die Behandlung findet oft im häuslichen Umfeld statt, und die Aufmerksamkeit der Eltern

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