Dr. Daniel Classic 39 – Arztroman. Marie Francoise
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»Zeitpunkt des Todes…« Dr. Scheibler warf einen Blick zu der großen Wanduhr. »Drei Uhr fünfundvierzig.«
Die OP-Schwester notierte die Uhrzeit für das Operationsprotokoll, dann sah sie mitleidig zu Dr. Metzler, der jetzt völlig gebrochen wirkte. Sie wußte, wie schlimm ein Exitus für jeden Chirurgen war, und auch sie selbst empfand den Tod eines Patienten im Operationssaal immer als besonders schlimm. Irgendwie hatte man danach das Gefühl, nicht wirklich alles versucht zu haben.
Jetzt legte Dr. Scheibler einen Arm um die Schultern seines Schwagers.
»Komm, Wolfgang«, bat er leise. »Wir haben getan, was wir konnten.«
»Es war nicht genug«, entgegnete Dr. Metzler. »Vielleicht…«
»Hör auf, dir Vorwürfe zu machen, Wolfgang«, erklärte Dr. Scheibler eindringlich und bemühte sich dabei um einen festen,
energischen Ton, obwohl es ihm absolut nicht leichtfiel, so zu sprechen. Dieser Exitus nahm ihn ebenso mit wie alle anderen, die bei der Operation zugegen gewesen waren. »Die Verletzungen dieser Frau waren einfach zu schwer, und du machst dich kaputt, wenn du versuchst, dir etwas anderes einzureden. Wolfgang, wir sind Chirurgen, wir müssen mit dem Tod leben. Es tut verdammt weh, einen Patienten auf dem Tisch sterben zu sehen, und ich selbst könnte jedesmal heulen, wenn es passiert, aber wir können es nicht ändern.«
Dr. Metzler nickte, dann raffte er sich auf. »Danke, Gerrit.« Er seufzte. »Ich muß nach dem Mädchen sehen. Teirich operiert mittlerweile auch schon fast vier Stunden.«
»Ich komme mit«, meinte Dr. Scheibler entschlossen.
Sie zogen die Operationskittel aus und wuschen sich die Hände, dann eilten sie zu dem kleinen Operationssaal der Gynäkologie hinüber, wo Dr. Teirich noch immer damit beschäftigt war, das verletzte Mädchen zu retten.
»Robert assistiert«, stellte Dr. Scheibler überrascht fest, als er durch die Scheiben des Operationssaals blickte, dann schüttelte er fassungslos den Kopf. »Er ist wirklich einmalig.«
»Das kann man wohl sagen«, stimmte Dr. Metzler zu, dann wandte er sich dem Waschraum zu. »Ich werde jetzt die Assistenz übernehmen.«
»Nein, das wirst du nicht«, entgegnete Dr. Scheibler mit Nachdruck. »Die schaffen das auch ohne dich. Robert ist exzellent, das sehe ich sogar von hier aus, und außerdem haben er und Franz sich in den vergangenen Stunden aufeinander eingespielt. Es wäre Unsinn, wenn du jetzt dazwischengehen würdest.«
»Hör mal, Gerrit, ich bin der Chefarzt hier…«, begann Dr. Metzler ärgerlich, doch sein Schwager ließ ihn gar nicht aussprechen.
»Richtig, und dieser Chefarzt hat gerade eine Patientin verloren. Ich kenne dich, Wolfgang, du steckst so etwas nicht innerhalb von fünf Minuten weg – niemand könnte das. Und deshalb wirst du keinen Fuß in diesen Operationssaal setzen. Haben wir uns verstanden?«
Dr. Metzler seufzte tief auf. »Ja, Herr Oberarzt.« Dann fuhr er sich mit gespreizten Fingern durch die dichten dunklen Locken. »Ich sehe ja ein, daß du recht hast, Gerrit. Wir beide sollten uns wirklich ein paar Minuten Ruhe gönnen.« Sein Blick wanderte zu dem Mädchen auf dem OP-Tisch. »Für die Kleine können wir ohnehin nichts tun. Wenn Franz Teirich ihr nicht helfen kann, dann könnte es niemand.«
*
Währenddessen kämpfte Dr. Franz Teirich mit einer beispielhaften Verbissenheit um das Leben der jungen Claire Buschmann. Es grenzte schon fast an ein Wunder, daß der eingedrungene Glassplitter das Gehirn der knapp Sechzehnjährigen nicht verletzt hatte, aber dieses spitze, rasiermesserscharfe Etwas nun herauszuoperieren, ohne bei dem Mädchen eine Hirnschädigung zu verursachen, erforderte das ganze Können und die außerordentlich große Erfahrung des Neurochirurgen.
»Ich glaube, wir haben’s geschafft«, meinte Dr. Teirich nach einer schier endlos dauernden Operation. Durch die Fenster drang bereits das Licht des anbrechenden Tages, und Dr. Daniel hatte das Gefühl, als könne er keinen Schritt mehr gehen. Allerdings war nicht nur er völlig erschöpft. Dr. Teirich und seine Frau Gabriela, die die Anästhesie gemacht hatte, waren ebenfalls am Ende ihrer Kraft.
Dr. Teirich ordnete noch an, welche Medikamente Claire bekommen mußte, dann verließ auch er hinter Dr. Daniel und Gabriela den Operationssaal.
»Das war ein hartes Stück Arbeit«, meinte er, während er sich die Hände wusch.
Dr. Daniel nickte. »Das kann man wohl sagen. Aber ich bin nur froh, daß es Ihnen gelungen ist, das Mädchen zu retten.«
Obwohl er vor Müdigkeit kaum noch aus den Augen sehen konnte, brachte Dr. Teirich jetzt ein Lächeln zustande.
»Mit Ihrer tatkräftigen Unterstützung«, ergänzte er.
Doch Dr. Daniel winkte ab. »Was habe ich schon groß getan? Das bißchen Assistenz…«
»Sie sind wirklich zu bescheiden, Robert«, fiel Dr. Teirich ihm ins Wort. »Ich glaube, Sie hätten auch einen guten Neurochirurgen abgegeben.«
Auch Dr. Daniel mußte nun lächeln. »Bei aller Freude über dieses Kompliment muß ich doch gestehen, daß mir die Gynäkologie lieber ist.« Er warf einen Blick auf die Uhr. »Schon gleich sechs. Meine Güte, in drei Stunden beginnt ja meine Vormittagssprechstunde.«
»Dann würde ich mich an Ihrer Stelle jetzt ganz schnell aufs Ohr hauen«, riet Dr. Teirich. »Ich werde das auch tun. Mein Dienst in der Thiersch-Klinik beginnt glücklicherweise erst heute mittag.«
Dr. Daniel nickte. »Trotz Müdigkeit muß ich erst noch nach Frau Buschmann sehen. Nach allem, was ich mitbekommen habe, war sie äußerst schwer verletzt, aber Wolfgang und Gerrit sind ja erstklassige Chirurgen.«
Er verabschiedete sich von Gabriela und Franz Teirich, dann eilte er zur Chirurgie hinüber. Auf dem Flur begegnete ihm Dr. Scheibler, und an seinem Gesicht erkannte Dr. Daniel sofort, daß etwas Schreckliches geschehen sein mußte.
»Nein«, stieß er hervor. »Bitte, Gerrit, sagen Sie nicht, daß…« Er brachte es nicht fertig, den Satz zu beenden.
»Es tut mir leid, Robert«, entgegnete Dr. Scheibler niedergeschlagen. »Wir konnten nichts mehr für die Frau tun. In ihrem Körper gab es kaum noch einen Knochen, der nicht gebrochen war. Dazu die inneren Verletzungen… Wir haben fast vier Stunden operiert, bis es zum Herzstillstand kam. Und sogar dann hat Wolfgang noch alles versucht, um sie wiederzubeleben, aber es war vergeblich.«
Dr. Daniel war von dieser Nachricht zutiefst betroffen. Er hatte Margot und Peter Buschmann gut gekannt. Schon vor Jahren war Margot bei ihm in Behandlung gewesen, weil sie und ihr Mann sich sehnlichst ein Baby gewünscht hatten, doch es hatte einfach nicht klappen wollen. Als sie dann die damals sechsjährige Claire hatten adoptieren können, schien ihr Glück vollkommen. Und nun dieser schreckliche Unfall…
»Peter… ihr Mann… war sofort tot«, erklärte Dr. Daniel stockend. »Das allein war eigentlich schon ein Schock für mich. Aber Margot auch… meine Güte…«
»Sie haben sie gekannt?« fragte Dr. Scheibler mitfühlend.
Dr. Daniel nickte. »Sehr gut sogar. Als meine Frau noch lebte…« Er stockte, weil auch die Erinnerung an Christine noch immer schmerzte, obwohl seit ihrem