Karin Bucha Classic 43 – Liebesroman. Karin Bucha
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Germaine Chapu zuckt mit den Schultern. »Es gibt nichts, was ich meiner Tochter noch beibringen könnte.«
Beatrix errötet bis unter das schwarzblaue Haar. Noch nie hat sie jemals von ihrer Mutter ein Lob in dieser Form gehört.
»Waas?« Die Fürstin ist ehrlich erstaunt. »Das sagen Sie so einfach dahin?« Und noch lebhafter setzt sie hinzu: »Jetzt haben Sie mich so neugierig gemacht, daß ich Ihre Tochter unbedingt singen hören muß. Wollen Sie, mein Kind?« wendet sie sich direkt an Beatrix.
»Sehr gern, Durchlaucht«, versichert sie eifrig und macht eine kleine einladende Handbewegung zum Nebenzimmer.
Der Flügel singt und klingt unter Germaine Chapus Händen, und dann setzt Beatrix mit ihrer glockenreinen Stimme ein. Sie hat das Gebet aus der Oper »Tosca« gewählt. Schon bei den ersten Tönen neigt die Fürstin-Mutter sich interessiert vor, als könne sie dadurch das junge Mädchen besser in Augenschein nehmen. Und von Minute zu Minute wächst ihr Erstaunen.
Die Fürstin-Mutter lehnt sich zurück und schließt die Augen. Die Wände des Zimmers scheinen zurückzutreten, und sie sieht eine andere Frauengestalt und ein anderes Frauenantlitz vor sich. Sie hört eine andere Stimme, die auch so rein, so warm und so voll Innigkeit war. Nein! Es ist nur eine Erinnerung.
Allmählich kehrt die Fürstin in die Wirklichkeit zurück. Sie mißt Beatrix mit einem langen, eingehenden Blick und sagt spontan in einem Ton, der keinen Widerspruch duldet:
»Madame, Sie werden am 6. Februar Ihre Tochter in das Palais zum Fürstenball begleiten. Eine Sondereinladung erhalten Sie noch.«
»Und Renata Orgon?« entfährt es Germaine Chapu.
»Sie wird ebenfalls zum Fürstenball erscheinen und sich einmal anhören müssen, wie sie nicht einmal zu ihrer Glanzzeit gesungen hat. Auf Wiedersehen. Es war mir eine große Freude.« Sie reicht Germaine die Hand und Beatrix fährt sie über die heißglühende Wange. »Sie werden singen dürfen, mein Kind. Dafür lassen Sie mich sorgen. Eine passende Balltoilette lasse ich Ihnen zugehen.«
»Aber, Durchlaucht!« wirft Ger-
maine scheu ein.
»Sie sind sozusagen meine Entdeckung und mit dieser will ich auf der ganzen Linie glänzen, verstanden?«
»Vielen Dank, Durchlaucht!« Beatrix verneigt sich vor der Fürstin. Sie findet erst wieder in die Gegenwart zurück, als ihre Mutter neben ihr auftaucht, die der Fürstin-Mutter das Geleit bis zu ihrem Wagen gegeben hat.
Germaine Chapu sinkt erschöpft in den nächsten Sessel, und dann kniet
Beatrix vor ihr und umarmt sie.
»Oh, Mutti, ich weiß gar nicht, was ich vor Freude machen soll. Stell dir vor, ich darf im Palais singen. Keiner wird es mir verbieten dürfen, selbst eine Renata Orgon nicht. Die Fürstin-Mutter selbst hat es so bestimmt.«
Germaine kann sich der Umarmungen kaum erwehren. Als sie endlich Luft schnappen kann, sagt sie trocken:
»An deiner Stelle würde ich ins nächste Mauseloch kriechen, wenn die Orgon hier aufkreuzt und ich ihr sagen muß… nein! Das gibt eine Katastrophe. Sie wird dich und mich in der Luft zerreißen und niemals glauben, daß ich am Zustandekommen dieser Einladung völlig unschuldig bin.«
Beatrix springt auf. Unternehmungslustig blitzt sie ihre Mutter an.
»Sie soll nur kommen, Muschi. Jetzt werde ich ihr etwas von ihrem Hochmut und ihrer Arroganz heimzahlen.«
»Nichts wirst du tun, du unmögliches Mädchen«, herrscht Germaine ihre Tochter an. »Du wirst wie immer unsichtbar bleiben.«
Erstaunt mißt Beatrix die Mutter aus großen Augen. Diesen Ton ist sie nicht gewohnt.
»Nun gut, Mutti«, sagt sie recht kleinlaut und ungewöhnlich ernst. »Ich werde also wieder einmal unsichtbar bleiben, weil du es wünschst.«
»Beatrix!« flüstert Germaine Chapu tonlos. Aber der Ruf ist viel zu schwach, um Beatrix’ Ohr zu erreichen. Leise klappt die Tür hinter der schmalen Mäd-chengestalt ins Schloß.
»Mein Gott!« raunt Germaine Chapu. »Habe ich alles falsch gemacht?«
Beatrix ahnt nicht, daß sie eine völlig verwirrte Frau zurückgelassen hat, die mit der Vergangenheit nicht fertig werden kann.
In großer Niedergeschlagenheit betritt Beatrix ihr kleines Reich, das liebevolle Mutterhände zu einem trauten Heim gestaltet haben. Sie öffnet den Wandschrank. An der Innentür ist jedes Plätzchen mit Fotografien bedeckt. Sie zeigen alle verschiedene Aufnahmen eines einzigen Mannes, den Beatrix verehrt, bewundert und heimlich anbetet. Es sind aus Zeitschriften ausgeschnittene Aufnahmen des Fürsten Alexander von Thorsten-Thorn.
*
Wie in jedem Jahr herrscht in jedem Haus, das eine Einladung zum »Fürsten-Ball« erhalten hat, erhebliche Aufregung.
Es wird entworfen und verworfen. Ratschläge werden erteilt, wenn man zuviel des Guten tun will.
Diese Sorgen quälen Beatrix Chapu nicht. Ihr ist von der Fürstin- Mutter mit einem Handschreiben versehen, ein Kleid ins Haus gebracht worden, das einfach überwältigend ist. Fasziniert steht Beatrix vor diesem Wunderwerk, das sie zum »Fürsten-Ball« tragen soll.
Aber einmal gehen die Wogen der Erregung im Hause Chapus, in die Höhe, nämlich als Renata Orgon, der bisher unerreichte Star des Hoftheaters zwar zum »Fürsten-Ball« eingeladen ist, jedoch nicht singen wird.
Wie eine Gewitterwolke braust sie in das kleine Haus Germaine Chapus und ihr Temperament entlädt sich wie ein Unwetter über dem unschuldigen Haupt der Musiklehrerin.
Renata Orgon, deren Figur in den letzten zwei Jahren, sehr zum Leidwesen der Sängerin, in die Breite gegangen ist und den Verlust ihrer entschwundenen Jugend nur noch deutlicher macht, steht wie eine Rachegöttin vor Ger-
maine.
»Sie wünschen, gnädige Frau?« Germaine weist dabei auf die Sesselgruppe. Renata Orgon zittert vor Wut.
»Sie wissen natürlich, daß ich dieses Jahr nicht zum Singen aufgefordert worden bin?« zischt sie Germaine an.
»Ja, gnädige Frau.«
»Und wer wird an meiner Stelle singen?« fragt sie, sich mühsam beherrschend.
Germaine spürt ihr Herz bis zum Halse herauf klopfen. Gerade diese Frage zu beantworten bereitet ihr das größte Unbehagen. Aber sie kann nicht mehr zurück.
Nicht ohne Stolz sagt sie:
»Meine Tochter Beatrix wird singen.«
Renata Orgons Züge verzerren sich. »Das haben Sie wunderbar eingefädelt. Sie sind sehr heimtückisch. Sie haben mein Vertrauen sehr schmählich miß-braucht und hinter meinem Rücken gegen mich intrigiert. Das soll Ihnen teuer zu stehen kommen. Das letzte Wort wird die Fürstin-Mutter sprechen.«
»Sie hat es bereits