Fiona - Gefühle. Zsolt Majsai
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„Was ist passiert?“, erkundige ich mich. Ich stehe nun mit Jack im Wohnzimmer. Es sieht wild aus. Und als ich erkenne, dass eins der Beweisstücke, das neben dem Sessel liegt, ein Teil von einem Fuß ist, halte ich kurz den Atem an, sonst würde selbst mir schlecht werden.
„Soweit wir rausgefunden haben, sind sie durch das Fenster gekommen. Es gab wohl einen kurzen Kampf. Dann haben sie den Freund – er hieß George Wilson – ausgeweidet, vermutlich, als er noch lebte. Und sind wieder durch das Fenster gegangen.“
„Durch das Fenster? Wir sind im zweiten Stock.“
„Das scheint sie nicht gestört zu haben“, erwidert Jack trocken.
Ich trete zum Fenster, bleibe aber in einiger Entfernung stehen, um die Spurensicherung nicht zu stören. Die Scheiben liegen vor dem Fenster, in Tausenden von Scherben. Sie sind nicht durch das Fenster gekommen, sie sind durch das Fenster gesprungen. Bloß wer?
„Gibt es Zeugen? Irgendwelche Hinweise, mit wem oder was wir es zu tun haben?“
Jack schüttelt den Kopf. „Das Ganze hat vielleicht zehn Minuten gedauert, wenn überhaupt. Mehrere Bewohner haben was gehört, es hat ja auch ordentlich gerumst. Bei uns gingen zwei Notrufe ein. Als wir eintrafen, war es schon vorbei. Als unsere Leute die Tür aufbrachen, hat George noch gezuckt.“
„Wie bitte? Er hat doch kein Gehirn mehr!“
Jack zuckt die Achseln. „Anscheinend hatten sie es ihm erst kurz zuvor entfernt. Sein Körper bewegte sich jedenfalls noch.“
Ich erschaudere. Erinnerungen kommen plötzlich hoch. Erinnerungen, die ich gut verschlossen wähnte. Dann merke ich nur noch, dass Jack mich auffängt.
„Fiona? Fiona, was ist los?“
Ich klammere mich an Jack fest und warte darauf, dass die Welt um mich herum sich beruhigt. Das Ganze dauert sicher nicht länger als ein paar Sekunden, aber das reicht, um Jack einen panischen Ausdruck auf sein Gesicht zu zaubern.
„Fiona??“
Ich atme ein paarmal tief durch und richte mich langsam auf. „Sorry … ich … ich habe mich an etwas Unangenehmes erinnert.“
Jack mustert mich, dann nimmt er meinen Arm und zieht mich fort, fort von den neugierigen Blicken seiner Leute, in das Bad, und er schließt die Tür.
„Fiona, das ist das erste Mal, dass ich eine solche Reaktion bei dir erlebe“, sagt er dann langsam.
„Puuh ...“ Ich setze mich auf den Wannenrand und fische meine Zigaretten hervor. „Du auch?“ Und als er den Kopf schüttelt, zünde ich mir eine an. „Das Bild vom zuckenden Kerl … ließ die Frage in mir hochkommen, ob und wie er sich dabei fühlte … und das wiederum in mir mit Urgewalt die Erinnerung daran erwachen, wie sich so was anfühlt.“
„Was anfühlt?“
„Seinen Körper in Stücken zu verlieren.“ Ich ziehe an der Zigarette und bin wieder halbwegs bei mir. „Du weißt doch, wer ich bin.“
„Ja. Aber wir haben uns noch nie über Details unterhalten. Ich wusste zum Beispiel nicht, dass du auch schon ...“
„Ausgeweidet wurde? Nun, es lief etwas anders. Aber am Ende konnte ich die einzelnen Teile meines Körpers auf dem Boden zerstreut rumliegen sehen, bevor ich endlich das Bewusstsein verlor. – Wie auch immer. Ich habe nicht mit diesem Flashback gerechnet.“
„Vielleicht sollte jemand anderes den Fall übernehmen? Schon allein, weil du persönlich befangen bist.“
„Willst du bei Gott anrufen? – Nein, so läuft das nicht, Jack. Du wirst mit mir vorliebnehmen müssen. Wir sind keine Behörde, bei uns gibt es keinen Notruf, keinen Dienstplan, keine Zuständigkeiten. Ich bin Fiona und zufällig in dieser Wohnung, zufällig in diesem Bad und sitze nur zufällig auf dieser Wanne und rauche zufällig diese scheißverdammte Zigarette!“
„Schon gut, ich habe verstanden.“
„Tut mir leid.“ Ich drücke die Zigarette aus und erhebe mich. „Ich will mir die Spuren draußen ansehen.“
Allerdings nicht die in der Wohnung. Um die kümmern sich schon die Fachleute, die das besser können als ich. Ich gehe vorsichtig nahe an das Fenster heran, während unter meinen Sohlen Glas knirscht. Unter dem Fenster ein größerer Gemüsegarten. Pech für die Hobbygärtner, aber gut für mich, denn zwischen den Tomaten und der Paprika ist sehr gut zu erkennen, wo die Angreifer herkamen.
„Sie scheinen von da unten hier hochgesprungen zu sein“, bemerke ich. „Hm.“
„Hochklettern kommt nicht infrage?“
„Dann hätten sie die Scheibe eingeschlagen, und dann lägen die Scherben ganz anders.“
„Das stimmt“, gibt Jack zu. „Aber wer springt mal eben in ein Wohnung im zweiten Stock durch ein geschlossenes Fenster?“
„Sehr gute Frage.“ Ich schaue mich draußen um. Niemand zu sehen. Bevor Jack reagieren kann, springe ich durch das Fenster und lande im Gemüsebeet. Da ich mich dabei darum bemühe, nicht die Spuren der Entführer zu zerstören, müssen weitere Tomaten dran glauben. Das ist blöd, denn der sich verteilende Saft erschwert etwas die Spurenlese. Während ich mich über die Spuren der Entführer beuge, denke ich flüchtig darüber nach, ob Tomatensaft gut aus Baumwolle rausgeht. Wir werden sehen.
Ich konzentriere mich auf das Riechen. Meinem Anderssein verdanke ich unter anderem wesentlich höher auflösende Sinneswahrnehmungen als normale Menschen. Was normal auch immer sein mag. Neben dem brutal intensiven Geruch der zerstörten Tomaten rieche ich als erstes Angst. Todesangst. Ich rieche Bens Angst.
Und dann ist da ein vertrauter Geruch, nur viel, viel intensiver. Der Geruch von Dämonen. Er ist sehr spezifisch, für geübte Nasen wie meine gut erkennbar. Auch Katharina hat diesen Geruch, allerdings nur dezent. Hier jedoch, in diesem Gemüsegarten, waren Vollblutdämonen unterwegs. Damit ist jeder Zweifel ausgeräumt – es waren keine Menschen. Wie konnte ich das auch nur annehmen? Dieser Geruch hätte mir auffallen müssen in der Bank, wäre er auch ohne den allgegenwärtigen Gestank toter Seelen. Fiona! Ich korrigiere, nicht die Seelen stanken, sondern ihr brutaler Tod.
In der Zwischenzeit sind Jack und zwei Polizisten auch da. Jack sieht mich vorwurfsvoll an, spart sich aber jede Bemerkung bezüglich meiner Stunteinlage.
„Hast du was rausgefunden?“
Ich mustere kurz die beiden Polizisten und deren mitleidigen Gesichtsausdruck, dann wende ich mich Jack zu. „Ja.“ Statt einer weiteren Erklärung folge ich der gut sichtbaren und noch besser riechbaren Spur. Ziemlich eindeutig verließen die Entführer das Grundstück auf demselben Wege, auf dem sie gekommen waren. Der riesengroße Gemeinschaftsgarten des Mietshauses grenzt an einen öffentlichen Erholungspark, durch einen mindestens zwei Meter hohen Maschendrahtzahn davon abgetrennt.
„Auf der anderen Seite geht es weiter“, stellt Jack lakonisch fest.
Ich betrachte den Park. Etwas weiter südlich fließt die Labe, spätestens darin würde ich die Spur verlieren. Außerdem sind in dem Park zu viele Leute unterwegs.
„Manchmal