Das Schweizer EU-Komplott. Carl Baudenbacher
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Angesichts der grundsätzlich integrationsfreundlichen Praxis des Bundesgerichts mögen einige in der Schweiz gehofft haben, dass der EuGH von der Anwendung seiner Polydor-Rechtsprechung auf das FZA absehen würde. Wie ausgeführt, ist die Ähnlichkeit des Wortlauts laut Polydor kein ausreichender Grund, die Auslegung der Regeln des EU-Rechts auf die parallelen Bestimmungen der Freihandelsabkommen mit den EFTA-Staaten von 1972 zu übertragen. Entsprechend kann es im Verhältnis zu Drittstaaten wie der Schweiz zu Diskriminierungen kommen, die im Unionsrecht ausgeschlossen wären.8 In den Rechtssachen C-351/08 Grimme, C-541/08 Focus Invest AG und Hengartner und C-70/09 Gasser enttäuschte die Vierte Kammer des EuGH die genannten Erwartungen. Sie verwies auf das Schweizer Nein zum EWR und wandte Polydor auf das FZA an. Bestimmte Diskriminierungen sind daher im Rahmen dieses Abkommens möglich, die nach dem Unionsrecht und dem EWRA rechtswidrig wären. Die ausdrückliche Feststellung, wonach die Schweiz das EWRA abgelehnt hat, welches den Weg für die gleiche Auslegung wie im EU-Recht geebnet hätte, zeigt, dass der EuGH daran Anstoss nimmt, dass es im Rahmen des FZA keinen Überwachungs- und Gerichtsmechanismus gibt. Und wie oben erwähnt, hat das Bundesgericht seine Rechtsprechung Stanley Adams und Omo nie revidiert.9 Hier wird ein Mangel an Präjudizienbewusstsein offenbar.
Aus der Sicht der Mehrheit des Bundesrates und der Bundesverwaltung lag eine politische Funktion des FZA darin, dass ein weiterer PNR auf dem Weg zu einem EU-Beitritt geschaffen wurde. Überdies wurde betont, dass die Personenfreizügigkeit bei einer künftigen EU-Beitrittsabstimmung keine Probleme mehr bereiten würde. Dasselbe gilt natürlich für das Landverkehrsabkommen.
2Vgl. unten, Kapitel 9, VI. 2.
4Vgl. z.B. GATT Panel Report, United States Section 337 of the Tariff Act of 1930, L/6439, BISD 36S/345 (7. November 1989).
Kapitel 2
Distanz zur EWG
I.Traditionelle Abwehrhaltung gegen supranationale Strukturen
Die Schweiz ist eines der wenigen europäischen Länder, die vom Zweiten Weltkrieg verschont geblieben sind. Laut lang herrschender offizieller Doktrin war dies eine Folge der bewaffneten Neutralität. Tatsächlich waren auch andere Gründe ausschlaggebend. Ob so oder anders: Hätte die Schweiz das Schicksal der Benelux-Länder geteilt, deren Neutralität von den Armeen Adolf Hitlers missachtet wurde, so hätte sie wahrscheinlich eine aktive Rolle im europäischen Aufbauwerk gespielt. Da dies aber nicht der Fall war, beschlossen die Schweizer, sich aus dieser Entwicklung herauszuhalten. Die Haltung der Bevölkerung gegenüber der politischen Integration in Europa war eine defensive. Das Land verblieb lange Zeit in einem selbstgewählten geistigen «Réduit». Historisch war das «Réduit Suisse» eine militärische Verteidigungsstrategie, bei der sich die Schweizer Armee, wenn ein Feind nicht an der Grenze aufgehalten werden könnte, relativ schnell in die Alpen zurückgezogen, aber mit einer Art Guerilla-Taktik von dort aus Widerstand geleistet hätte. Das Konzept wurde während des Zweiten Weltkrieges berühmt, aber der Bau von Befestigungsanlagen aller Art begann in den 1880er Jahren.
Nach dem Zweiten Weltkrieg blieb die Idee des Réduit in den Köpfen. Die Schweiz war in der Überzeugung gefangen, dass die Neutralität und das Konzept des Réduit sie vor einer Invasion der deutschen Wehrmacht bewahrt hätte. Sie betrachtete sich als Sonderfall. Die Dinge, die sich ausserhalb des Landes abspielten, wurden einseitig aus schweizerischer Perspektive beurteilt. Auch die geistige Landesverteidigung, die vor und während des Krieges gepredigt worden war, wirkte weiter. All dies führte zu Denkmustern wie der Petitpierre-Doktrin, wonach die Neutralität die Mitgliedschaft in einer «politischen» internationalen Organisation ausschloss. Max Petitpierre war der Schweizer Aussenminister der Jahre 1945–1961. Als wichtigste Prinzipien beim Eingehen internationaler Vereinbarungen wurden angesehen: Wahrung der Neutralität und Souveränität, zwischenstaatlicher (intergouvernementaler) Charakter, Fehlen supranationaler Entscheidungsstrukturen wie zentrale Überwachung und übergeordnetes Gericht, Zustimmungserfordernis der Schweiz zu Änderungen, Kündbarkeit, Kontrolle des Personenverkehrs und Schutz der Schweizer Landwirtschaft. Aufgrund dieser Einschränkungen war die schweizerische Aussenpolitik weitgehend Aussenwirtschaftspolitik. Zentrales Element war und ist das Bestreben der Schweiz, den freien Zugang ihrer Wirtschaft zu ausländischen Märkten zu sichern und, wenn nötig, ihre Wirtschaft auch international zu integrieren, solange damit kein politisches Engagement verbunden war. Kommentatoren sprechen von einer Entpolitisierung und Ökonomisierung der Aussenpolitik. Der St. Galler Politikwissenschaftler Alois Riklin hat diese Haltung als «wirtschaftliche Integration ohne politische Partizipation» bezeichnet.
Auf globaler Ebene führte die genannte Haltung dazu, dass die Schweiz der UNO und dem GATT verspätet beitrat. Aufgrund ihrer Neutralitätspolitik hatte die Schweiz weder Deutschland vor dem 1. März 1945 den Krieg erklärt noch die Erklärung der Vereinten Nationen vom 1. Januar 1942 zur Formalisierung und Bekräftigung der zuvor beschlossenen Atlantik-Charta unterzeichnet. Das Land erhielt daher keine Einladung zur Teilnahme an der Gründungskonferenz der Vereinten Nationen. Aus Gründen der Neutralität unternahm das Land auch keine Anstrengungen, den Vereinten Nationen beizutreten. Der Bundesrat versuchte jedoch, das Abseitsstehen durch den Beitritt zu einer Reihe von Sonderorganisationen