Der Landdoktor Classic 39 – Arztroman. Christine von Bergen
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Matthias bereitete es ein kleines Vergnügen, die Reaktion seines Patienten abzuwarten. Er war in diesen Augenblicken auf alles gefasst, sogar darauf, dass Johann Waldecker nun die Beherrschung verlieren würde. Doch weit gefehlt. Ein Zug von Verlegenheit machte sich nun vielmehr auf dem grob geschnittenen Gesicht breit, bevor ihm sein Patient hörbar kleinlauter als vorher gestand: »Ich habe höllische Angst vor einer solchen Blutentnahme. Nicht, weil es weh tun könnte, sondern vor dem Ergebnis.«
Diese Antwort überraschte ihn.
»Aber alles andere gleicht doch der sprichwörtlichen Vogelstraußpolitik, dem Kopf-in-den-Sand-Stecken«, erwiderte er erstaunt.
Der Unternehmer zog die Luft scharf ein. Während er durchs Fenster in den Sonnenschein blickte, sagte er leise: »Wenn man seine Krankheit kennt, ist nichts mehr wie vorher. Und das will ich nicht.«
»Wenn man seine Krankheit kennt, kann man sie bekämpfen«, verbesserte Matthias ihn ruhig.
»Nicht alle sind zu bekämpfen.«
Irgendwie passt diese Einstellung zu ihm, sinnierte der Landdoktor, während er den schwergewichtigen Mann betrachtete, der immer noch nach draußen schaute und mit einem Mal sehr verletzlich wirkte. Er ist gewohnt, alles zu steuern. Eine Krankheit dagegen würde ihn steuern, und damit käme er nicht klar. Er holte tief Luft, machte einen Schritt auf seinen Patienten zu und meinte in versöhnlichem Ton: »Lassen Sie unsere Unterhaltung auf sich wirken und besprechen Sie sich mit Ihrer Frau. Vielleicht stimmen Sie ja doch einer Blutentnahme zu. Ich würde mich freuen.« Er reichte Johann Waldecker die Hand, die dieser fest drückte. Er erwiderte: »Danke, Herr Doktor.«
*
An diesem Abend hielt der Tag, was er seit dem Morgen versprochen hatte. Die Brunners saßen auf der Terrasse und beobachteten, wie sich die Sonne hinter den Baumwipfeln versteckte und sich violette Schatten in den Talsenken ausbreiteten. Ganz langsam krochen sie die bewaldeten Hügel hinauf. Ein gläserner Himmel spannte sich über der Landschaft, an dem sich, einer nach dem anderen, die Sterne entzündeten. Zuerst nur wie schwache Punkte, doch je dunkler sich das Firmament färbte, desto leuchtender wurden sie.
»Welch ein Schauspiel«, sagte Ulrike in andächtigem Ton, während sie ihre Hand in die ihres Mannes schob.
So blieben die beiden eine Weile in harmonischem Schweigen sitzen und beobachteten den Einbruch der Nacht. Der laue Südwind wehte den Duft von Fichtenholz von oberhalb der Schwarzwaldpraxis herunter auf die Terrasse. Ein Käuzchen rief, und unter dem lang gezogenen Schindeldach kreuzten ein paar Fledermäuse. Am Ende der Veranda machte sich das Kätzchen, das zum Grundstück gehörte, auf den Weg zur nächtlichen Jagd. Lump, der zu Füßen seines Herrchens friedlich schlief, störte sich nicht an ihm. Er wusste, dass auf dem alten Schwarzwaldhof jedes Lebewesen in Frieden leben konnte.
»Heute Nachmittag war Johann Waldecker in der Praxis«, erzählte Matthias nach einer Weile seiner Frau.
Der Besuch des Unternehmers wollte ihm nicht aus dem Kopf gehen.
»Ja?« Ulrike sah ihn überrascht von der Seite an. »Was hat er denn?«
Matthias schilderte ihr die Symptome seines Patienten.
»Und?«
»Nichts und. Er verweigerte die Erstellung eines großen Blutbildes. Aus Angst, er könnte etwas Ernstes haben.« Der Landarzt setzte sich aufrecht hin und sah sein Lockenköpfle intensiv an. »Weißt du, wie man sich in solchem Fall als Arzt fühlt? Man kann nichts machen und weiß, dass man etwas machen müsste. Dieser Waldecker hindert mich daran, meiner ärztlichen Pflicht nachzukommen. Dabei befürchte ich, dass seine Symptome nicht nur Zeichen von Überarbeitung sind. Seine extreme Blässe, die blauen Flecken am Oberköper, seine Kurzatmigkeit … Ich brauche diese Blutuntersuchung, um ihm helfen zu können, und er arbeitet nicht mit.« Wütend schnaubte er durch die Nase.
»Mein Schatz …« Ulrike beugte sich zu ihm hinüber und küsste ihn liebevoll auf die Wange. »Du bist wirklich ein verantwortungsbewusster Arzt«, flüsterte sie zärtlich.
»Schlimm?«
Sie lachte belustigt auf. »Im Gegenteil. Dein Verantwortungsbewusstsein kommt mir ja auch zugute. Und nicht nur mir, sondern unseren Kindern, unserem Enkel und all deinen anderen Patienten, die es zu schätzen wissen.«
Er sah seine Frau an, wie sie so nah neben ihm saß ihr Blick selbst nach den vielen Jahren immer noch mit Liebe und Zärtlichkeit auf ihm lag.
Wie gut tat es doch, mit ihr über alles reden zu können. Sein Lockenköpfle gab ihm die Kraft, die er für seinen Beruf brauchte, wenn er jeden Patienten so behandeln wollte, als wäre er der beste Freund.
Langsam beugte er sich zu Ulrike hinüber, zog ihr Gesicht zu sich heran und küsste sie lange und innig auf den Mund. Genauso innig gab sie ihm den Kuss zurück. Danach gingen die beiden eng umschlungen ins Haus. Lump trottete müde hinter ihnen her. Anders als sein Herrchen und Frauchen würde er sofort auf seiner Decke, die vor der Schlafzimmertür der beiden lag, weiterschlafen.
*
Wenn es in Freiburg regnete, versteckte sich die Stadt unter grauen Schleiern, die von den Schwarzwaldbergen auf sie herunter fielen. Von der heiteren Lebenslust, die Freiburg an sonnigen Tagen ausstrahlte, war dann nichts mehr zu spüren. Für Benjamin Rosen hätte das Wetter an diesem Tag ruhig noch schlechter sein können. Blitz und Donner hätten seiner gegenwärtigen Gemütsverfassung noch mehr entsprochen.
Während der junge Mann auf der Ausfahrtstraße im Stau stand, trommelte er mit den Fingern aufs Lenkrad. Er war auf dem Weg in die Uniklinik, um seinen Freund Thorsten Brunner zu besuchen, und er konnte kaum erwarten, ihm zu erzählen, was ihm vor einer Stunde in der Zeitungsredaktion widerfahren war.
Endlich kam wieder Bewegung in die Wagenkolonne. Benjamin gab Gas. Jetzt war es nicht mehr weit. Fünf Minuten später stellte er seinen alten Sportwagen auf dem Besucherparkplatz ab, fragte den Pförtner nach der Zimmernummer seines Freundes und eilte die Treppe hinauf in den zweiten Stock, indem er zwei Stufen auf einmal nahm. Er traf den Sohn der Brunners auf dem Stationsgang an, wo Thorsten mit Hilfe zweier Krücken seine ersten Gehversuche nach der Operation unternahm.
»Wie geht es dir?«, erkundigte sich Benjamin, während er in Thorstens Gesicht blickte, das sich bei jedem Schritt vor Schmerzen verzerrte.
»Na ja …«, erwiderte der Konzertdirigent mit einem tiefen Seufzer. »Die Operation ist gerade erst zwei Tage her. Aber ich will nicht klagen.« Er sah Benjamin an und zog die Stirn in Falten. »Aber so, wie du aussiehst, scheint es dir noch schlechter zu gehen als mir«, meinte er dann trocken. »Was ist passiert?«
»Du solltest dich setzen, bevor ich dir das erzähle«, erwiderte der Journalist mit düsterem Blick. »Sonst fällst du um, besonders in deinem jetzigen Zustand.«
Erstaunt hob Thorsten die dunklen Brauen und humpelte dann zurück ins Krankenzimmer. So aufgelöst hatte er seinen stets gelassenen und selbstbewussten Freund, der sich als Wirtschaftsjournalist einen Namen gemacht hatte, noch nie erlebt. Und die beiden kannten sich immerhin schon seit ihrer Zeit am Freiburger Gymnasium.
*
»Gekündigt? Dich?« Thorsten sah Benjamin ungläubig an. »Man hat dich gekündigt?«
»Ja, einfach so.« Benjamin nickte mit verbitterter Miene. »Zwar fristgerecht, aber gekündigt. Personaleinsparung heißt es.