Der Landdoktor Classic 39 – Arztroman. Christine von Bergen
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Der Landdoktor Classic 39 – Arztroman - Christine von Bergen страница 5
Ob ich die Krankenschwester nach ihrem Namen fragen soll?, überlegte er einen Moment lang. Dann jedoch fiel ihm jäh wieder seine gegenwärtige berufliche Situation ein, und er schüttelte energisch den Kopf. Nein, zurzeit hatte er andere Sorgen. Mit der Kündigung in der Tasche und ohne eine neue Anstellung war jetzt ganz bestimmt nicht der richtige Zeitpunkt, eine Beziehung zu beginnen. Erst einmal musste er seine wirtschaftliche Existenz sichern. Wenn ihm das gelungen war, konnte er sich wieder mit der Liebe beschäftigen.
*
Eine Woche nach dem Besuch Johann Waldeckers in der Landarztpraxis konnte Schwester Gertrud ihrem Chef den gleichen Patienten verkünden.
»Er will ein Blutbild machen lassen«, sagte der Praxisdrache zu Matthias mit verärgertem Blick. »Als ob er das so einfach bestimmen könnte, was hier bei uns gemacht wird. Darüber haben doch immer noch Sie zu entscheiden.«
»Ich hatte dies bereits entschieden«, erwiderte der Landarzt lächelnd. »Und ich freue mich, dass Herr Waldecker einsichtig geworden ist. Schicken Sie ihn bitte zu mir.«
Nur wenige Sekunden später hörte Matthias bereits schwere Schritte auf dem Gang, der von der Rezeption den Gang hinunter zum Behandlungszimmer und Büro führte. Ein kurzes hartes Klopfen folgte, und nach seinen »Herein» betrat sein Lieblingspatient den Raum. Er begrüßte den Unternehmer freundlich und bat ihn, Platz nehmen.
»Nein, danke«, erwiderte Johann Waldecker. »Ich bleibe lieber stehen, Wir müssen wahrscheinlich sowieso in Ihr Labor gehen.«
Matthias musste leise lachen.
Und wieder wollte Waldecker die Situation beherrschen.
»Nein, Herr Waldecker, wir bleiben hier im Behandlungszimmer«, widersprach er seinem Patienten in munter klingendem Ton. »Setzen Sie sich erst einmal, entspannen Sie sich und erzählen Sie mir, wie es Ihnen geht.«
Es folgte ein bedeutungsvolles Räuspern, Waldecker straffte sich und erwiderte immer noch im Stehen: »Nicht gut, Herr Doktor. Ich fühle mich immer noch müde und abgeschlagen, Trotz des Mittagsschlafes und der Spaziergänge. Was mich neuerdings zudem auch noch beunruhigt, sind die blauen Flecken auf meiner Haut. Ich weiß gar nicht, woher die kommen. Klar, dass man sich mal irgendwo stößt, aber so etwas habe ich früher danach nie bekommen.« Nun ging er auf den Patientensessel zu und ließ sich hinein fallen, sodass dieser unter seinem Gewicht unwillig ächzte.
»Ich habe im Internet recherchiert, was es mit diesen Flecken auf sich haben könnte, und bin darauf gestoßen, dass sie ein Anzeichen von…« Er hielt inne, biss sich so fest auf die Lippe, dass diese weiß wurde, bevor er weitersprach: »Bei Leukämie kommt so was vor.«
Matthias hatte ihm überrascht zugehört. Als sein Patient den schweren Kopf auf die Brust fallen ließ, räusperte er sich ebenfalls und sagte: »Bei ihrem ersten Besuch vor einer Woche habe ich Ihnen schon gesagt, dass einzelne Symptome wie Müdigkeit, Kurzatmigkeit oder auch blaue Flecken auf der Haut nicht eindeutig ein Krankheitsbild bestimmen. Um eine eindeutige Diagnose erstellen zu können, müssen viele Puzzleteile zusammengefügt werden, die dann ein einheitliches Bild ergeben.« Er legte eine Pause ein, beobachtete seinen Patienten, der ihn jetzt ansah und matt sagte: »Im Internet konnte ich selbst meine Diagnose erstellen. Es passt alles zusammen, um bei mir Leukämie zu diagnostizieren. Ich brauche nur noch das Blutbild, das meine Blutarmut beweisen wird, die die Ursache meiner auffälligen Blässe ist.«
Wie fast alle seine Kollegen hielt auch der Landdoktor nichts davon, wenn sich seine Patienten ihre Diagnose mit Hilfe des Internets in ihrem stillen Kämmerlein zusammenbasteln. Dies führte nur zur Belastung der Psyche. Andererseits zollte er Johann Waldecker jedoch einen gewissen Respekt, dass dieser sich nun ernsthaft mit seinen Beschwerden auseinandersetzte und seine Ängste vor der Wahrheit überwunden hatte, statt nach der chemischen Keule zu verlangen.
»Seit ein paar Tagen spüre ich einen Druck in der linken Seite«, sprach der Unternehmer weiter. »Zuerst dachte ich an Seitenstechen, aber inzwischen tut mir die ganze Brust weh.«
Geschwollene Milz?, fragte sich Matthias stumm.
»Wie sieht es mit Fieber aus?«, erkundigte er sich.
Johann Waldecker hob die Schultern. »Manchmal fühle ich mich, als ob ich eine Grippe bekommen würde. Leichte Temperatur, würde ich sagen.«
»Nachtschweiß?«
»Hat man den nicht immer, wenn man sich grippig fühlt?«
Da kommt ja eine Menge zusammen, dachte der Landdoktor bei sich. Er nickte entschlossen.
»Legen Sie sich bitte auf die Untersuchungsliege. Ich möchte Ihren Oberkörper abtasten.«
Tatsächlich spürte er deutlich eine Vergrößerung der Milz, welche viele Ursachen haben konnte, von Infektionskrankheiten angefangen bis zum Blutkrebs.
»Ihre Milz ist vergrößert, daher das Druckgefühl in der Brust«, sagte er knapp.
»Was auch ein Symptom von Leukämie ist«, murmelte sein Patient, während er das Hemd zuknöpfte.
»Krempeln Sie bitte den Ärmel hoch. Ich nehme Ihnen jetzt Blut ab«, sagte Matthias, ohne auf diese Bemerkung einzugehen.
Ohne mit der Wimpern zu zucken ließ der Unternehmer die Blutabnahme über sich ergehen, sodass Matthias problemlos all die Kanülen füllen konnte, die er zur Erstellung eines großen Blutbildes brauchte.
»Ich werde das Blutbild hier im Labor der Miniklinik auswerten und sage Ihnen morgen Bescheid«, teilte er Johann Waldecker mit aufmunterndem Lächeln mit. »Ich werde es eigenhändig erstellen«, fügte er mit vielsagendem Blick hinzu.
Da stand sein Patient auf. Ein Zucken lief über sein Gesicht, bevor er leise sagte: »Danke.«
Matthias blieb noch einige Sekunden im Behandlungszimmer stehen, nachdem der Unternehmer es verlassen hatte.
Johann Waldecker hatte Angst, Angst um sein Leben. Diese Angst machte ihn demütiger, nahm ihm die Arroganz, mit der er sonst den Menschen begegnete. Wie würde er auf die mögliche Diagnose Blutkrebs reagieren? Ein solcher Schicksalsschlag veränderte die Menschen. Manche zerbrachen, andere erstarkten daran. Er wagte im Fall des Unternehmers keine Prognose zu stellen. Oftmals waren gerade die Menschen, die nach außen hin stark erschienen, in Wirklichkeit schwach. Entschlossen schüttelte er den Kopf, um sich von diesen Gedanken zu befreien. Noch stand die Krankheit seines Patienten nicht fest. Nach der Nachmittagssprechstunde würde er sich ins Labor verziehen und das Blutbild manuell auswerten. Dann würde man weitersehen.
Er drückte auf den Knopf der Gegensprechanlage und wies seine Helferin an: »Bringen Sie mir bitte den nächsten Patienten.«
Den Rest des Nachmittags beschäftigte er sich wieder mit den alltäglichen Dingen wie Impfungen zu verabreichen, Aufzeichnungen von Herzkurven auszuwerten und Rezepte auszustellen. Dabei begleitete ihn jedoch das beunruhigende Gefühl, am Ende dieses Tages vor einer Aufgabe zu stehen, die jeder Mediziner nur ungern erledigte: Einem seiner Patienten ein Todesurteil überbringen zu müssen.
*
Charlotte und Pauline Waldecker hätten nicht gegensätzlicher sein können. Obwohl der beste Schneider in Baden-Baden seit Jahrzehnten für die Familie Waldecker