Heimische Exoten. Mareike Milde

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Heimische Exoten - Mareike Milde marix Sachbuch

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bereichern könnten. »Ein Schaden an der heimischen Natur durch die insektenfressenden Tiere ist mehr als unwahrscheinlich«, sagte Berlepsch und setzte sich so über kritische Stimmen wie etwa jene von Heinrich Hagenbeck, Tierparkdirektor von Hagenbecks Tierpark, hinweg. Berlepsch erhielt nach einigem Hin und Her die Genehmigung von der preußischen Landesjagdbehörde. Ob dies alles wirklich unter persönlichem Einsatz des Behördenleiters, Reichsjägermeister und späterer Reichsluftmarschall Hermann Göring, geschah, ist nicht einwandfrei nachzuweisen. Fakt ist, dass auf diesem Wege zwei aus Pelztierfarmen befreite Waschbärenpärchen in der Revierförsterei Asel am Edersee in Hessen ausgesetzt wurden und sich fortan artig vermehrten. In den Kriegswirren ließ die Aufmerksamkeit, die den Bären einst galt, nach, und hier und da sorgten Bombenabwürfe dafür, dass Pelzfarmen neuen Waschbären die Wälder eröffneten – wie im Edersee-nahen Wolfhagen. Die Aufmerksamkeit für die Waschbären nahm dann erst in den 1950er-Jahren wieder zu, als immer mehr wilde Waschbären immer beharrlicher die Nähe zum Menschen suchten, die diese Gesellschaft fortan als Belästigung wahrnahmen.

      Natürliche Feinde wie Wölfe oder Luchse gab es damals nicht mehr. Daher durften die bis dahin unter Naturschutz stehenden Tiere 1954 erstmals mit spezieller Jagdlizenz geschossen werden, um dem wilden Treiben Einhalt zu gebieten. Doch der Schuss ging – wie man so schön sagt – nach hinten los. Denn durch sein behändes Eingreifen schoss der Mensch die Bestände in ungeahnte Höhen: Mit steigender Zahl an getöteten Waschbären stieg die Geburtenrate rapide an – cleverer Evolution sei Dank. Lag der Bestand 1956 gerade bei 285 Bären, stieg er in den Siebzigerjahren bereits auf über 20 000 Exemplare. 2005 schätzten Experten die Waschbären-Population schon auf 200 000 bis 400 000 Tiere deutschlandweit.

      Noch immer wird der Waschbär gejagt. 2016 wurden trotz Schonfrist ca. 28 000 Tiere erlegt. Allerdings wird der Bestand mit mehr Umsicht dezimiert als in den letzten Jahrzehnten. Mittlerweile haben die Verantwortlichen begriffen, dass die beste Bekämpfung nicht Töten, sondern Prävention heißt. Es gilt, Gebäude gegen eine Eroberung der cleveren Kletterer hinreichend abzusichern und darüber hinaus etwaige Fressquellen in und an den Häusern (wie Komposthaufen und Müllbeutel, die über Nacht an die Straße gelegt werden) auszutrocknen. Aktuell werden Zwangssterilisation oder das Auslegen von Anti-Baby-Pillen diskutiert. Derweil haben sich die Waschbären weit über Mittel- und Ostdeutschland ausgebreitet. Eine Ausrottung ist längst nicht mehr möglich.

      Seit dem 13. Juli 2016 steht der Waschbär auf der EU-Liste der invasiven Arten. Das bedeutet, dass er heimische Tierarten gefährdet oder in ihrer Population stören kann. Hin und wieder kommt es tatsächlich vor, dass Waschbären Füchse aus ihren Bauten vertreiben und sich dort selbst einrichten. Oder dass sie Graureiher in ihrer Brutzeit stören, weil deren Eier eine Delikatesse für sie darstellen, für die sie die Nester plündern. So manches Mal haben sie auch schon freilaufende Hunde angefallen, sobald diese zu nah an die Aufzuchtverstecke der Waschbärenmütter herangekommen waren.

      Waschbären werden in der Regel nicht zahm. Sie können es aber effektiv vortäuschen: Die jahrelange Nähe zur Zivilisation hat sie zutraulich gemacht und längst haben sie den Menschen als nahrungsspendende Quelle entdeckt. Mittlerweile sind sie Allesfresser. Egal, ob ordinärer Haushaltsmüll, Kompostabfälle, Kartoffeln aus dem Vorgarten oder eben das Dämmmaterial unter den Dachgiebeln: Alles wird verwertet! Und der freudigen Verwüstung sind dabei keine Grenzen gesetzt. Allerdings kamen der Wolf und in einigen Gebieten auch der Luchs zurück, was für die Zukunft eine natürliche Dezimierung der Bestände vermuten lässt.

      Aus heutiger Sicht lässt sich sagen: Der Plan von Freiherr von Berlepsch ist voll aufgegangen. Die Waschbären sind aus unserer heutigen Fauna nicht mehr wegzudenken.

      Oder wie die vielzitierte Pionierin der deutschen Waschbärforschung, Dr. Walburga Lutz, schon 1981 in ihrer Dissertation schrieb: »Es ist müßig zu fragen, ob die Einbürgerung zu begrüßen oder zu verurteilen war, nachdem nahezu das gesamte Gebiet der Bundesrepublik Deutschland besiedelt ist. Die Einbürgerung selbst ist erfolgreich verlaufen und nicht mehr rückgängig zu machen. Wir sollten deshalb mit dem Waschbären zu leben lernen.«

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      Die Gefahrenfracht aus der Latrine:

      Wie sich der Waschbärenspulwurm seine Wirte sucht

      Genauso, wie wir uns an den räuberischen Waschbären in unserem Land gewöhnen sollten, ist es gut damit getan, sich der Gefährdung bewusst zu werden, die er uns im Gepäck mitgebracht hat. Denn wie ich schon erwähnte, gibt es da diese Spulwürmer. Im Darm eines Waschbären können bis zu 200 dieser niedlichen Tierchen vor sich hinleben. Bei einer Länge von bis zu 50 Zentimetern ist da schon einiges los im Bauch. Und während es die Waschbären selbst meist nicht so wirklich tangiert, wird es für andere gefährlich, sobald der Waschbär »austritt«. Und das tut er regelmäßig und gern in seinen hierfür extra eingerichteten Latrinen. Mit dem Waschbärenkot gelangen etwa 10 000 bis 20 000 Spulwurmeier in die Freiheit. Und diese überleben – im Gegensatz zum kompostierbaren Kot – ewig lange, bis sie ihre Chance gekommen sehen, sich in hochinfektiöse Larven zu verwandeln und als solche zu schlüpfen. Das passiert, wenn sie zuvor gefressen werden, zum Beispiel von kleineren Vögeln oder Mäusen, die nun als Zwischenwirt fungieren. Die mickrigen Larven warten in ihren Eiern zunächst noch geduldig ab, bis die Eierschale durch die Magensäure ihrer Fresswirte zersetzt wird. Gut verdaut und frisch freigelegt kriechen sie dann von hier aus quer durch das Gewebe und die Darmwand. Das passiert oft zum Leidwesen ihrer Zwischenwirte, denn die dadurch entstehenden Verletzungen führen zu inneren Blutungen, Störungen des vegetativen Nervensystems mit Ausfall der Sehkraft oder der Gleichgewichtsorgane und können Verhaltensänderungen bis hin zu ihrem Tod zur Folge haben.

      Diese Beeinträchtigungen betreffen vorwiegend die als Zwischenwirte auserkorenen Tierarten. Größere Tiere oder »falsche« Fressfeinde, auch Fehlwirte genannt, scheiden die Spulwürmer mitunter unbekümmert wieder aus. Während die befallenen Fehlwirte also öfters hinforttraben oder -flattern, bewegen sich die befallenen Zwischenwirte nicht mehr viel. Begegnen Sie so, entkräftet und fluchtunfähig, auch noch einem Waschbären – und wie wir wissen, ist diese Gefahr aufgrund der Waschbärendichte in manchen Gebieten Deutschlands nicht gerade gering – ist ihnen zwar ein erlösendes Ende sicher, für die innewohnenden Larven jedoch beginnt nun das prächtige Leben. Denn erst im Körper des Waschbären können die Waschbärenspulwürmer ihr adultes Stadium erreichen.

      Die Larveneier sind übrigens gar nicht zwingend auf einen Zwischenwirt zum Heranwachsen angewiesen. Sie können auch direkt über den Kot in den Organismus der Waschbären gelangen; die gemeinsam genutzten Latrinen sind hierfür die ideale Verbreitungsstelle. (Da sich diese verkürzte Version aber nicht so rasant liest, sei sie hier nur kurz erwähnt.)

      Nicht hintanstellen darf man in diesem Kontext die tödliche Gefährdung, die vom Spulwurm auch auf den Menschen ausgehen kann: Eine Ansteckung mit den hochinfektiösen Erregern kann bereits erfolgen, wenn man mit Hand und Schaufel eine Latrine der Waschbären aushebt, die beispielsweise auf dem heimischen Dachboden des Geräteschuppens im Garten angelegt wurde (Waschbärenlatrinen sind immer an erhöhten Stellen zu finden). Wir erinnern uns: Still und heimlich können sie sich dort ausbreiten, während wir des Winters noch im Häuschen kuscheln und keine Ahnung haben, welche Party da in unserem zugefrorenen Garten gefeiert wird.

      Mit dem menschlichen Auge lassen sich die Spulwurmeier nicht erkennen. Somit reicht schon die Berührung einer verkoteten Stelle an der Schaufel mit der Hand, die irgendwann – sofern sie nicht sorgsam desinfiziert wurde, vielleicht Stunden später – zum Mund geführt wird. Das passiert schnell und unbeabsichtigt, bei Kindern noch viel häufiger als bei Erwachsenen. Nun wurde der Mensch als Zwischenwirt markiert. Und auch, wenn er nicht im Spulwurmkreislauf der Natur vorgesehen wurde, er also ein Fehlwirt ist, besteht die Gefahr, dass sich die Larven im Menschen festsetzen und durch ihre Wanderung im menschlichen Gewebe Nerven beschädigen

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