Heimische Exoten. Mareike Milde

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Heimische Exoten - Mareike Milde marix Sachbuch

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der Schwarzmundgrundel, der wir uns etwas später noch widmen werden, in einem Donaualtarm klassifiziert hat. Und er war es, der letztes Jahr mit dem Berufsfischer Michael Höllein den neuen tierischen Zugezogenen aufgefunden hatte, der medial für einiges Aufsehen sorgte und wegen dem ich nun hier bin.

      Die Rede ist vom Gelben Drachenwels, der erstmals im Mai 2018 in der Donau als Tachysurus fulvidraco identifiziert wurde. Zu diesem Zeitpunkt hatte er natürlich noch gar keinen deutschen Namen. Als gefangener Fisch in der deutschen Wildnis musste somit flugs eine Bezeichnung her, und da fulvidraco auf Deutsch ›Gelber Drache‹ bedeutet, war diese schnell gefunden. Mit etwas Fantasie und zusammengekniffenen Augen sieht er ja auch fast so aus wie der Drache Fuchur aus Michael Endes Die Unendliche Geschichte. Überregional regierten noch andere Assoziationen: Yellow catfish oder Korean bullhead lauten seine Namen in anderen Ländern. Eigentlich ist der Drachenwels nämlich in Korea, Vietnam, China und Sibirien beheimatet. Und seit dem Jahr 2018 auch zwischen Straubing und Regensburg.

      Im Zeitraum von Ende Mai bis Anfang Juni herrscht Laichzeit, dann legen die Männchen in stillen Flussarmen Gruben am Boden an, in die die Weibchen ablaichen können. Das Männchen betreibt die Brutpflege und bleibt noch eine Weile vor Ort, bis die Larven geschlüpft sind und sich alleine fortbewegen können. In dieser Zeit sind die Herren so auf ihre Kinder fokussiert, dass sie keine Augen für alltägliche Gefahren wie Fischreusen, die Fangnetze der Fischer, haben. Und falls die Laichzeit nicht durch die zwei sehr heißen Wochen im April vorgezogen wurde, stehen die Chancen gut, heute einen Drachenwels »persönlich« anzutreffen. Wenn nicht, war mein Ausflug wohl umsonst.

      Wir trinken aus und fahren zu einem der Donaualtarme unterhalb der kleinen Ortschaft Frengkofen. Hier treffen wir nun auch auf Michael Höllein von der Fischerei Maier. Mit beiden Michaels steige ich in ein sehr langes, hölzernes Fischerboot, welches mich an eine venezianische Gondel erinnert. Unter dem lauten Röhren des Benzinmotors schippern wir damit über den Altarm und wollen einen Blick in die dort von Maier ausgelegten Fischreusen werfen.

      Als die ersten Einzelfunde im Mai und Juni 2018 auftauchten, wurde schnell klar, dass sich der Gelbe Drachenwels in den Altarmen der Donau gut etabliert. Eigentlich fangen die Fischer hier Zander, Aale und Barsche. Im Herbst 2018 wurde dann ein Fund von Hunderten der ockerfarben-braun gestreiften Stachelwelse gemeldet.

      Doch wie konnten sich die asiatischen Neubürger innerhalb von nur einem halben Jahr verhundertfachen? Das ist selbst bei einer sehr brutfreudigen Spezies doch gewaltig. »Streng genommen haben wir die Drachenwelse schon seit 2014 immer wieder mal hier gefangen«, sagt Michael Höllein. »Wir haben sie jedoch für einen amerikanischen Katzenwels gehalten, der in deutschen Gewässern schon lange vertreten ist.« Die tatsächliche Klassifizierung erfolgte also erst im Mai 2018. Und erklärt somit auch die heimliche Vermehrung dieser asiatischen Art, die bis dato quasi unter dem Radar der Öffentlichkeit möglich gewesen war.

      Wenn sie 2014 schon die ersten Male ins Netz gegangen waren, könnte es auch sein, dass sie bereits 2013 in die Donau gelangt waren. Dort waren nämlich weite Teile der Region unterhalb von Regensburg von der Jahrhundertflut betroffen und große Areale Land unter Wasser verschwunden. Es ist möglich, dass dabei auch Zierteiche überschwemmt wurden und damit Fische aus der Zucht in die freien Gewässer überschwappten. Eine andere, wenn auch unwahrscheinlichere Möglichkeit: Überforderte Aquarianer setzten einige Tiere im Bereich um die Gmünder Au aus. Das wäre nicht nur falsch verstandene Tierliebe, sondern auch sehr verantwortungslos: Immer wieder werden wir in diesem Buch über Exoten stolpern, die von ihrer überdrüssig gewordenen Tierhaltern in die Freiheit entlassen worden sind und das penibel austarierte Ökosystem dadurch durcheinanderbringen. Es hätte allerdings eine sehr große Anzahl von Drachenwelsen ausgesetzt werden müssen, um auf den heutigen Bestand zu kommen. So oder so: Der wahre Grund wird wohl auf dem Grund der Gmünder Au bleiben.

      Die Drachenwelse scheinen sich auf jeden Fall prächtig zu vermehren und haben aktuell noch keine wirklichen Fressfeinde zu verzeichnen. Im Durchschnitt dauert es sechs bis acht Jahre, bis andere Tiere sich auf den Geschmack einer neuen Art einstellen. Nun hat der Drachenwels auf den Bauch- und Rückenflossen Stacheln, sogenannte Hartstrahlen, die an der Spitze kleine Widerhaken haben, und diese können sehr effektiv im Körper eines Feindes stecken bleiben. Auch an Menschenhänden können sie schmerzhafte, entzündliche Stichwunden verursachen. »Ist das ein so cleverer Schachzug, seinen Feind an sich zu binden, damit er einen nicht frisst?«, frage ich die beiden Michaels. – Nein, aber es spreche sich in der Tierwelt schnell herum, wie schmerzhaft so etwas sein kann. Der Drachenwels ist ein sehr wehrhafter Fisch und ein zappelnder Widerhaken in der Haut ist in jedem Fall unschön. Da hat nach kurzer Zeit keiner mehr Lust, zuzubeißen.

      Seine Stacheln kann der Wels übrigens ausfahren und umherbewegen. Die bis zu 35 Zentimeter großen Fische werden dadurch noch ein wenig größer und imposanter, als sie eigentlich schon sind. Am Kopf sitzen vier Paar Barteln. Diese braucht der Drachenwels im trüben Wasser, um sich »zurechtzutasten« und den Geschmack seines Futters zu testen. Mit sauerstoffarmem Wasser scheint er ebenso gut zurechtzukommen. Damit ist er eigentlich perfekt ausgerüstet für ein Leben im Altarm der Donau.

      Am erstaunlichsten für mich ist, dass diese Fischart keine Schuppen, sondern glatte Haut hat. Das habe ich noch nie gesehen. Tatsächlich kommt es aber öfters vor in der Tierwelt; Pangasius und Steinbutt zum Beispiel sind ebenfalls schuppenlos.

      Die Altarme der Donau gelten als Kinderstube für die meisten heimischen Donaufische. Noch. Denn die Qualität des Wassers nimmt von Jahr zu Jahr ab. Dadurch, dass die Altarme meist nur unzureichend mit frischen Wassermengen aus dem nebenan strömenden Main-Donau-Kanal versorgt werden, sinkt der Sauerstoffgehalt stetig, sodass sich auch die Pflanzenfauna verringert. Wo keine Pflanzen, da sind auch keine Kleintiere, und wo keine Kleintiere, da macht es dem Fisch keinen Spaß, zu wohnen. Zumal er immer schlechter Luft bekommt. Und das fällt auch mir auf, als wir eine Weile über das Wasser schippern: Je mehr wir in die Sackgasse des Altarms hineinfahren, umso modriger und stiller wirkt das Wasser. Um nicht zu sagen: eher tot.

      Seit über einer Stunde sind wir nun schon hier draußen. Es ist mittlerweile brütend heiß, die Luft flirrt, mehrere Reusen haben wir bereits aus dem Wasser gehoben, hin und wieder kommen Fische zutage, allerdings kein Drachenwels. Wir alle schwitzen. Doch keine Mücke weit und breit. Wie kann das sein?

      Im Jahr 2014 wurde in dieser Gegend über mehrere Tage BTI per Helikopter versprüht: Bacillus thuringiensis israelensis. Vermarktet als biologisches Schädlingsbekämpfungsmittel, welches für andere Arten ungiftig ist, sollte es Niederbayern von den riesigen Zuckmückenschwärmen befreien, die seit einigen Wochen durch die Gegend gezogen waren. Durch das Hochwasser im Jahr zuvor mitsamt den vielen überschwemmten Wiesen und Wäldern schlüpften Mückenlarven aus jahrealten Eiern, die halbvertrocknet an den Gräsern hingen. So waren deutlich größere Populationen als üblich mit vielleicht doppelt oder dreimal so vielen Mücken entstanden. Teilweise waren die hellen Hauswände der umliegenden Ortschaften vollgekleistert mit ihren roten Körpern. So was kommt hin und wieder vor, gerade in von Hochwasser geplagten Landschaften. Das ist ärgerlich, tatsächlich aber natürlich. Aber ist es dann auch natürlich, fünf Jahre später keiner einzigen Mücke mehr zu begegnen?

      Wir verlassen den Altarm zur einzigen Öffnung hin und stoßen auf den Main-Donau-Kanal, zu dessen Gunsten die ursprünglichen Donauwindungen abgeschnitten worden waren. Dadurch entstanden viele Altarme. Hier ist es mit der trügerischen Idylle vorbei; mit monotonem Rauschen pflügt der einbetonierte und reißende Wasserstrom durch die Landschaft. Der Kontrast ist hart, es ist ein hässlicher Anblick. Welch irreparabler Übergriff an der Natur, welch Verbrechen am Ökosystem, schießt es mir durch den Kopf. Als Dieter Hildebrandt den umstrittenen Kanalbau 1982 zum Mittelpunkt einer seiner Scheibenwischer-Folgen machte (eine Kabarettsendung, die von 1980 bis 2008 im Ersten ausgestrahlt wurde), war dies ein Skandal. Er benannte neben der Vernichtung von Millionen Quadratmetern Naturschutzgebiet die irritierend große Anzahl bayerischer Regierungsmitglieder in den Chefetagen der entsprechenden Betreibergesellschaften.

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