Die Abenteuer des Sherlock Holmes. Arthur Conan Doyle

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Die Abenteuer des Sherlock Holmes - Arthur Conan Doyle Reclam Taschenbuch

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irre.«

      Er hatte sich von seinem Sitz erhoben, stand zwischen den geteilten Vorhängen und spähte auf die langweilige, farblose Londoner Straße hinunter. Ich schaute über seine Schulter und sah, dass auf dem Bürgersteig gegenüber eine hochgewachsene Frau stand, mit einer schweren Pelzboa um den Hals und einer großen geringelten roten Feder an einem breitrandigen Hut, der nach der koketten Herzogin-von-Devonshire-Mode schräg übers Ohr gezogen war. Unter dieser prächtigen Umrahmung blickte sie nervös und zögernd zu unseren Fenstern herauf, während ihr Körper vor- und rückwärts schwankte und ihre Finger an den Knöpfen ihrer Handschuhe herumspielten. Plötzlich, mit einem Sprung wie ein Schwimmer, der das Ufer verlässt, eilte sie über die Straße, und wir hörten den scharfen Klang der Glocke.

      »Ich habe solche Symptome schon früher gesehen«, sagte Holmes und warf seine Zigarette ins Feuer. »Schwanken auf dem Bürgersteig weist immer auf eine affaire du cœur hin. Sie möchte gern einen Rat haben, aber sie ist keineswegs sicher, ob die Sache für ein Gespräch nicht zu heikel ist. Und dennoch dürfen wir auch hierin scharf unterscheiden. Wenn einer Frau von einem Mann ernstlich Unrecht geschehen ist, schwankt sie nicht länger, und das Symptom ist üblicherweise ein ruinierter Klingeldraht. Hier können wir annehmen, dass es eine Liebesangelegenheit ist, aber das Mädchen ist nicht so sehr ärgerlich wie verwirrt oder traurig. Aber hier kommt sie persönlich, um unsere Zweifel zu beseitigen.«

      Während er sprach, klopfte es an der Tür, und der Diener trat ein, um Miss Mary Sutherland zu melden, indessen die Dame selbst hinter der schmalen schwarzen Figur wie ein Handelsschiff unter vollen Segeln hinter einem Lotsenboot aufragte. Sherlock Holmes begrüßte sie mit seiner bemerkenswert ungezwungenen Höflichkeit, und nachdem er die Tür geschlossen und sie in einen Lehnstuhl komplimentiert hatte, musterte er sie in der ihm eigenen, zugleich peniblen und zerstreuten Art.

      »Finden Sie nicht«, sagte er, »dass bei Ihrer Kurzsichtigkeit so viel Schreibmaschineschreiben ein bisschen anstrengend ist?«

      »Zunächst dachte ich das«, sagte sie, »aber jetzt weiß ich, wo die Buchstaben sind, ohne hinzuschauen.« Dann, als ihr plötzlich die volle Bedeutung seiner Worte klar wurde, erschrak sie heftig und schaute hoch, mit Furcht und Erstaunen auf ihrem breiten, gutmütigen Gesicht. »Sie haben von mir gehört«, rief sie, »wie könnten Sie sonst all dies wissen?«

      »Regen Sie sich nicht auf«, sagte Holmes lachend, »es ist mein Geschäft, Dinge zu wissen. Vielleicht habe ich mich geschult, Dinge wahrzunehmen, die andere übersehen. Wenn dem nicht so wäre, warum sollten Sie zu mir um Rat kommen?«

      »Ich kam zu Ihnen, weil ich durch Mrs. Etheredge von Ihnen hörte. Sie fanden ihren Ehemann ganz leicht, als die Polizei und alle ihn schon für tot gehalten hatten. Oh, Mr. Holmes, ich wünschte, Sie würden für mich genauso viel tun. Ich bin nicht reich, aber noch kann ich über hundert Pfund im Jahr verfügen, neben dem wenigen, was ich mit der Maschine verdiene, und ich würde alles geben, um herauszubekommen, was aus Mr. Hosmer Angel geworden ist.«

      »Warum brachen Sie in solcher Eile auf, um mich zu konsultieren?«, fragte Sherlock Holmes, die Fingerspitzen aneinandergelegt, die Augen zur Decke gewandt. Wieder ging ein Erschrecken über Miss Mary Sutherlands etwas ausdrucksloses Gesicht. »Ja, ich habe schlagartig das Haus verlassen«, sagte sie, »weil mich die leichtfertige Art ärgerte, mit der Mr. Windibank – das ist mein Vater – alles aufnahm. Er wollte nicht zur Polizei gehen, und er wollte nicht zu Ihnen gehen, und weil er nichts tun wollte und dabei blieb, es sei ja nichts Schlimmes geschehen, wurde ich schließlich wütend: also nichts wie in meine Sachen und geradewegs zu Ihnen.«

      »Ihr Vater?«, sagte Holmes. »Ihr Stiefvater sicherlich, weil er anders heißt?«

      »Ja, mein Stiefvater. Ich nenne ihn Vater, obwohl es lächerlich klingt, denn er ist nur fünf Jahre und zwei Monate älter als ich.«

      »Und Ihre Mutter lebt noch?«

      »O ja, Mutter lebt und ist wohlauf. Ich war nicht gerade hocherfreut, Mr. Holmes, als sie so bald nach Vaters Tod wieder heiratete, und zwar einen Mann, der fast fünfzehn Jahre jünger ist als sie. Vater war Klempner in der Tottenham Court Road, und er hinterließ ein hübsches Geschäft, das Mutter mit dem Vorarbeiter, Mr. Hardy, weiterführte. Aber als Mr. Windibank auftauchte, veranlasste er sie, das Geschäft zu verkaufen; denn er war sehr überheblich – als Reisender in Weinen. Sie bekamen viertausendsiebenhundert für den Kundenstamm und den Geschäftsanteil, was bei weitem nicht so viel war, wie Vater zu Lebzeiten erzielt hätte.«

      Ich hatte erwartet, bei dieser weitschweifigen und wenig folgerichtigen Schilderung einen ungeduldigen Sherlock Holmes zu sehen, aber im Gegenteil: Er hatte mit äußerst konzentrierter Aufmerksamkeit zugehört.

      »Was Ihr eigenes kleines Einkommen anbetrifft«, sagte er, »erhalten Sie dies aus dem Geschäft?«

      »O nein, Sir, das läuft getrennt und wurde mir von meinem Onkel Ned in Auckland hinterlassen. Es ist in Neuseeland-Papieren angelegt und bringt viereinhalb Prozent. Der Betrag war zweitausendfünfhundert Pfund, aber ich komme nur an die Zinsen.«

      »Sie interessieren mich sehr«, sagte Holmes, »und da Sie eine so große Summe von hundert pro Jahr einnehmen plus das, was Sie dazuverdienen, so reisen Sie zweifellos ein bisschen und verwöhnen sich auf jede Art. Ich glaube, eine alleinstehende Dame kann ganz gut mit Einnahmen von etwa sechzig Pfund auskommen.«

      »Ich könnte mit weit weniger auskommen, Mr. Holmes, aber Sie verstehen, solange ich zu Hause lebe, möchte ich ihnen keine Last sein, und so haben sie den Nutzen des Geldes, während ich bei ihnen bleibe. Natürlich gilt das nur eben für diese Zeit. Mr. Windibank zieht alle Vierteljahre meine Zinsen ein und gibt sie an Mutter weiter, und ich finde, dass ich ganz gut mit dem zurechtkomme, was ich mit Maschineschreiben verdiene. Es bringt mir zwei Pence pro Blatt, und ich kann oft zwischen fünfzehn und zwanzig Blatt pro Tag schaffen.«

      »Sie haben mir Ihre Lage sehr deutlich dargelegt«, sagte Holmes. »Dies ist mein Freund, Dr. Watson, vor ihm können Sie so offen reden wie vor mir selbst. Erzählen Sie uns freundlicherweise jetzt alles über Ihre Verbindung zu Mr. Hosmer Angel.«

      Erröten stahl sich in Miss Sutherlands Gesicht, und sie zupfte nervös am Saum ihrer Jacke. »Ich traf ihn zum ersten Mal auf dem Gasinstallateur-Ball«, sagte sie. »Gewöhnlich schickten sie meinem Vater Eintrittskarten, solange er lebte, und später dann erinnerten sie sich an uns und schickten sie an Mutter. Mr. Windibank wünschte nicht, dass wir hingingen. Niemals wünschte er, dass wir irgendwohin gingen. Er wurde immer ganz wütend, wenn ich nur mal an einem Ausflug der Sonntagsschule teilnehmen wollte. Aber diesmal bestand ich darauf auszugehen; und ich würde gehen, denn welches Recht hatte er, es zu verhindern? Er sagte, es schicke sich nicht für uns, diese Leute zu kennen, wo doch Vaters sämtliche Freunde dort sein würden. Und er sagte, dass ich nichts Passendes anzuziehen hätte, wo ich doch mein purpurrotes Plüschkleid hatte, das ich niemals auch nur aus der Schublade genommen hatte. Schließlich, als alles nichts nützte, reiste er geschäftlich für seine Firma nach Frankreich, und wir gingen hin, Mutter und ich, mit Mr. Hardy, unserem früheren Vorarbeiter, und dort traf ich Mr. Hosmer Angel.«

      »Ich vermute«, sagte Holmes, »dass Mr. Windibank, als er aus Frankreich zurückkam, sehr ärgerlich war, weil Sie auf den Ball gegangen waren.«

      »Er nahm es eigentlich ganz gelassen auf. Ich erinnere mich, dass er lachte, die Schultern zuckte und sagte, es habe keinen Sinn, einer Frau irgendetwas abzuschlagen, sie würde doch ihren Willen durchsetzen.«

      »Ich verstehe. Dann trafen Sie also auf dem Ball der Gasinstallateure, soviel ich verstanden habe, einen Herrn namens Hosmer Angel.«

      »Ja, Sir, ich traf ihn an jenem Abend; und am nächsten Tag rief er an, um zu fragen,

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