Metamorphosen. Ovid

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Metamorphosen - Ovid Reclam Taschenbuch

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am Himmel. »Undankbarer Iuppiter!« Sie kann es nicht sagen, aber sie denkt es. Ach, wie oft scheute sie sich, im einsamen Walde zu ruhen, [490] und irrte vor ihrem Hause und auf ihrem früheren Grund und Boden umher! Ach, wie oft jagte Hundegebell sie über Stock und Stein! Und die Jägerin floh in panischer Angst vor den Jägern! Oft hielt sie sich versteckt, wenn sie wilde Tiere gesehen hatte, und vergaß, was sie war. Die Bärin schauderte, wenn sie im Gebirge Bären erblickte, [495] und hatte Angst vor Wölfen, obwohl ihr Vater einer war.

      Siehe, da kommt der Sohn Arcas, der seine von Lycaon stammende Mutter nicht kennt. Er ist jetzt etwa fünfzehn Jahre alt. Während er wilde Tiere jagt, während er geeignete Bergwälder aussucht und die erymanthischen Wälder mit geknüpftem Garn umstellt, [500] stößt er auf seine Mutter. Sie blieb beim Anblick des Arcas stehen und schien ihn zu erkennen. Er wich zurück und erschrak, nichts ahnend, vor ihr, die fest den Blick auf ihn gerichtet hielt und sich nicht satt sehen konnte; und als sie Verlangen zeigte, sich ihm zu nähern, schickte er sich an, ihr die Brust mit der verletzenden Waffe zu durchbohren. [505] Doch der Allmächtige hielt ihn zurück und hob die beiden auf – und zugleich damit auch die Freveltat: Zusammen entrückte er sie in einem Sturmwind durch den leeren Raum, versetzte sie an den Himmel und machte sie zu benachbarten Sternbildern.

      Da schwoll in Iuno der Zorn, nachdem die Nebenfrau im Kreise der Gestirne glänzte, und sie stieg hinab ins Meer zur altersgrauen Tethys [510] und zum greisen Oceanus, denen Götter oft ehrerbietig gehorchen. Auf die Frage, was sie hierher führe, hebt sie an: »Wollt ihr wissen, warum ich, die Götterkönigin, von meinen Wohnsitzen im Äther hierher komme? An meiner Stelle beherrscht eine andere den Himmel! Nennt mich eine Lügnerin, wenn ihr nicht, sobald die Nacht die Welt verdunkelt hat, [515] ganz oben am Himmel die neu geadelten Sterne seht, die mich kränken, dort, wo sich der letzte und engste Kreis um den obersten Pol der Himmelsachse legt! Gibt es überhaupt noch einen Grund für jemanden, Iuno nicht verletzen zu wollen, davor zu zittern, mich zu beleidigen, da ich doch, wenn ich schaden will, nur nütze? [520] O wieviel habe ich ausgerichtet! Wie gewaltig ist meine Macht! Ich verbot ihr, ein Mensch zu sein, und sie wurde zur Göttin! So darf ich Schuldige bestrafen, so weit geht meine Befugnis! Soll er doch wenigstens nur das frühere Aussehen für sie beanspruchen und ihr die Tierfratze nehmen, wie er es einst bei der Phoronis aus Argolis tat! [525] Warum heiratet er sie nicht auch noch, verstößt mich, seine Iuno, richtet ihr mein Ehegemach ein und nimmt Lycaon zum Schwiegervater? Doch wenn euch der Schimpf, der eurer gekränkten Pflegetochter angetan wurde, nicht gleichgültig läßt, dann haltet die Große Bärin, die Sieben Dreschochsen von der blauen Meerestiefe fern, verjagt das Sternbild, das zum Lohn für Hurerei in den Himmel aufgenommen wurde, [530] und laßt die Nebenfrau nicht in eurem reinen Meer baden.«

      Die Meeresgötter nickten zustimmend; in wendigem Wagen durchzieht Saturnia den klaren Äther mit ihrem bunten Pfauengespann.

      Apollo und Coronis (I)

      Wie die Pfauen erst vor kurzem, nach der Ermordung des Argus, bunt geworden waren, so waren deine Flügel, [535] geschwätziger Rabe, früher strahlend weiß, erst kürzlich schwarz geworden. Dieser Vogel hatte nämlich einst schneeweiße Federn, so silberglänzend, daß er völlig fleckenlosen Tauben gleichkam und nicht den Gänsen nachstand, die später mit wachsamer Stimme das Capitol retten sollten, und nicht dem Schwan, der die Flüsse liebt. [540] Die Zunge wurde ihm zum Verhängnis; sie, die geschwätzige Zunge, bewirkte, daß seine Farbe, die weiß war, jetzt ins Gegenteil verkehrt ist.

      In ganz Haemonien gab es kein schöneres Mädchen als Coronis aus Larissa: Dir, Gott von Delphi, gefiel sie ganz gewiß, solange sie entweder treu oder unbeobachtet war; aber der Vogel [545] des Phoebus bemerkte ihren Treubruch. Gerade war er unterwegs zu seinem Herrn, um ihm die heimliche Verfehlung als unerbittlicher Kläger zu enthüllen. Ihn holt, heftig mit den Flügeln schlagend, die geschwätzige Krähe ein, um alles auszukundschaften. Nachdem sie gehört hatte, was ihn zu seinem Fluge bewog, sprach sie:

      Die Krähe – Nyctimene

      »Deine Reise bringt dir keinen Nutzen. [550] Verachte nicht, was meine Zunge dir voraussagt. Halte dir vor Augen, was ich war und was ich bin. Frage dich dann, ob ich’s verdient habe. Du wirst finden, daß mir meine Gewissenhaftigkeit zum Verhängnis wurde. Denn einst hatte Pallas den Erichthonius, ein Kind, das ohne Mutter entstand, in ein Körbchen aus attischer Weide eingeschlossen [555] und den drei Töchtern des doppelgestaltigen Cecrops mit dem strengen Gebot übergeben, keinen Blick auf ihr Geheimnis zu werfen. Versteckt unter dem leichten Blätterwerk einer dichtbelaubten Ulme, kundschaftete ich aus, was sie tun würden. Zwei von ihnen, Pandrosos und Herse, bewahren das Anvertraute ohne Falsch. Aglauros allein nennt ihre Schwestern feige, [560] schiebt mit der Hand das Geflecht auseinander, und sie sehen darin ein Kind und eine Schlange, die sich emporreckt. Ich berichte der Göttin das Geschehene. Dafür ernte ich folgenden Dank: Ich werde ausdrücklich aus Minervas Gefolge verstoßen und muß hinter der Nachteule zurückstehen. Meine Bestrafung kann den Vögeln [565] zur Warnung dienen, sich nicht durch Geplapper Gefahren einzuhandeln. Aber ist sie nicht etwa seinerzeit von sich aus auf mich zugekommen, ohne daß ich sie um irgend etwas Derartiges gebeten hätte? Du kannst Pallas selbst fragen: Zürnt sie mir auch noch so sehr – selbst im Zorn wird sie das nicht bestreiten können. Mein Vater war nämlich Coroneus, der in Phocis berühmt war [570] – ich sage dir damit nichts Neues –, und ich war eine Prinzessin. Reiche Freier umwarben mich; denke nicht gering von mir! Meine Schönheit wurde mir zum Verhängnis. Denn als ich mit gemächlichen Schritten, wie gewohnt, ganz außen am Strand über den Sand hinschlenderte, sah mich der Meergott und fing Feuer. Und nachdem er mit Bitten [575] viel Zeit und Schmeichelworte unnütz vertan hat, will er es mit Gewalt versuchen und folgt mir. Ich fliehe, verlasse den festen Strand, und vergebens mühe ich mich in dem lockeren Sande ab. Dann rufe ich Götter und Menschen zu Hilfe; doch meine Stimme erreicht keine Menschenseele. Aber die Jungfrau ließ sich bewegen, für die Jungfrau einzutreten, [580] und sie kam mir zu Hilfe. Ich streckte die Arme zum Himmel; die Arme färbten sich schwarz von leichten Federn. Ich mühte mich, das Kleid von den Schultern abzuwerfen, doch es war schon zu Flaum geworden und hatte tief in der Haut Wurzeln geschlagen. Ich versuchte, mit der flachen Hand an die entblößte Brust zu schlagen, [585] doch ich hatte keine Hände mehr, und meine Brust war nicht mehr entblößt. Ich lief; und der Sand hemmte meine Füße nicht mehr, sondern ich erhob mich von der Erdoberfläche. Bald fliege ich im Schwung durch die Luft davon. So wurde ich Minervas unbescholtene Gefährtin. Doch was nützt mir das alles, wenn jetzt Nyctimene, die durch ein grausiges Verbrechen zum Vogel wurde, [590] als Nachfolgerin meinen Ehrenplatz eingenommen hat? Oder hast du etwa noch nicht gehört, was auf ganz Lesbos die Spatzen von den Dächern pfeifen, daß Nyctimene das Ehebett ihres Vaters geschändet hat? Sie ist zwar jetzt ein Vogel, aber schuldbewußt entzieht sie sich den Blicken, meidet das Tageslicht, verbirgt ihre Schande im Dunkeln, [595] und darum verjagen alle sie aus dem weiten Himmelsraum.«

      Apollo und Coronis (II)

      Während sie solches sprach, sagte zu ihr der Rabe: »Dein Versuch, mich zurückzurufen, möge dir selber Unheil bringen! Was scheren mich nichtige Vorzeichen!« Und er läßt sich nicht von der begonnenen Reise abbringen und erzählt seinem Herrn, daß er Coronis in den Armen eines jungen Mannes aus Thessalien sah. [600] Als der Liebende von dem Vergehen hörte, entglitt ihm der Lorbeer; und der Gott verlor zugleich die Fassung, das Plectrum und die Gesichtsfarbe. Zornig aufbrausend, greift er zu den gewohnten Waffen, spannt den Bogen, dessen Hörner er zurückbiegt, und durchbohrt mit seinem unentrinnbaren Geschoß die Brust, [605] die so oft an der seinen ruhte. Getroffen, stieß Coronis einen Seufzer aus, zog sich das Eisen aus der Wunde, benetzte dabei ihre schneeweißen Glieder mit purpurrotem Blut und sprach: »Du hättest mich ja bestrafen können, Phoebus, aber erst nachdem ich Mutter geworden wäre. Jetzt wird mein Tod zweier Menschen Tod sein.« [610] Sprach’s, und zugleich mit dem Blute entschwand ihr das Leben. Und in den Leib, aus dem die Seele entflohen war, kroch die Kälte des Todes. Ach, zu spät bereut der Liebende die grausame Bestrafung, und er

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