Metamorphosen. Ovid

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Metamorphosen - Ovid Reclam Taschenbuch

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an, ich hätte dir den Wagen gegeben. Was wirst du tun? Wirst du dich der Drehung der Himmelspole entgegenstemmen können, [75] so daß dich die schnelle Achse des Alls nicht mit sich fortreißt? Vielleicht stellst du dir vor, daß dort Haine und Städte der Götter sind und Heiligtümer, reich an Weihegaben? Nein, die Fahrt geht mitten durch Orte, an denen Schreckbilder von Tieren lauern. Und auch wenn du auf dem rechten Weg bleibst und dich von nichts beirren läßt, [80] wirst du doch zwischen den Hörnern des Stieres hindurchfahren, der sich dir entgegenstellt, vorbei am Bogen des haemonischen Schützen, am Rachen des reißenden Löwen, am Skorpion, der die unbarmherzigen Scheren in weitem Bogen krümmt, und am Krebs, der sie in anderer Richtung krümmt. Und du kannst nicht ohne weiteres die Rosse lenken; mit wildem Stolz beseelt sie das Feuer, [85] das sie in der Brust tragen und aus Maul und Nüstern ausstoßen; selbst mich dulden sie kaum, wenn einmal ihr heftiger Mut entflammt ist; und ihr Nacken widerstrebt den Zügeln. Du aber, nimm dich in acht, mein Sohn, daß ich dir nicht ein verhängnisvolles Geschenk geben muß, und solange du noch darfst, berichtige deinen Wunsch. [90] Natürlich, ein sicheres Unterpfand verlangst du, damit du glauben kannst, daß du Blut von meinem Blute bist. Ich gebe dir ein sicheres Unterpfand durch meine Furcht, und meine väterliche Angst um dich beweist, daß ich dein Vater bin. Hier: Sieh mein Gesicht! O könntest du in mein Herz blicken und darin die väterlichen Sorgen entdecken! [95] Und schau dir schließlich ringsum alles an, was die reiche Welt besitzt, und verlange irgendeines der so zahlreichen und großen Güter im Himmel, auf der Erde und im Meer! Du wirst keine Zurückweisung erfahren. Nur dies eine nimm, bitte, aus, das eigentlich eine Strafe, keine Ehre ist; eine Strafe erflehst du dir, Phaethon, als Geschenk. [100] Was umschlingst du meinen Hals, Ahnungsloser, mit schmeichelnden Armen? Zweifle nicht, du wirst alles bekommen, was du dir wünschst (ich habe bei den stygischen Fluten geschworen) – aber wähle einen vernünftigeren Wunsch!«

      Er hatte seine Warnung beendet, doch Phaethon sträubt sich gegen die Worte, beharrt auf seinem Vorsatz und brennt vor Begierde nach dem Wagen. [105] Solange er durfte, hat der Vater gezögert. Nun führt er den Jüngling also zu dem hohen Wagen, einem Geschenk Vulcans. Golden war die Achse, die Deichsel golden, golden die Felge außen am Rad; die Reihe der Speichen war silbern. Am Joch spiegelten Chrysolithe und aufgereihte Edelsteine den Phoebus [110] und warfen sein strahlendes Licht zurück. Während der hochgemute Phaethon dies bewundert und das Kunstwerk betrachtet – siehe, da hat die wachsame Aurora im hellen Osten die purpurnen Tore und die rosengefüllten Hallen geöffnet: Die Sterne fliehen, ihren Zug beschließt [115] Lucifer und verläßt als letzter seinen Posten am Himmel. Als er sah, daß dieser sich der Erde zuwandte, die Welt sich rötete und die Ränder der Mondhörner sich gleichsam verflüchtigten, gebietet Titan den flinken Horen, die Pferde anzuschirren. Rasch führen die Göttinnen den Befehl aus, holen die feuerspeienden Rosse, [120] die sich an saftiger Ambrosia gesättigt haben, von den hohen Krippen herbei und legen ihnen das klirrende Zaumzeug an. Dann bestrich der Vater das Gesicht seines Sohnes mit einem heiligen Zaubermittel und feite es gegen die zehrenden Flammen, setzte ihm den Strahlenkranz aufs Haar und sprach, indem er [125] wiederholt aus tief besorgter Brust aufseufzte – denn er ahnte Schmerzliches –:

      »Kannst du wenigstens diesen Ermahnungen deines Vaters gehorchen: Geh, Knabe, mit dem Stachel sparsam um und gebrauche kräftiger die Zügel! Aus eigenem Antrieb eilen die Rosse; die Arbeit besteht darin, ihren Eifer zu bändigen. Und wähle nicht den Weg, der geradlinig durch die fünf Zonen führt! [130] Schräg geschnitten verläuft in weitem Bogen die Bahn; sie gibt sich mit dem Bereich dreier Zonen zufrieden und meidet den Südpol und den Großen Bären mit seinen Nordwinden. So sei dein Weg! Deutlich wirst du die Radspuren sehen. Und damit Himmel und Erde gleichmäßig erwärmt werden, [135] drücke den Wagen nicht zu weit hinab und lenke ihn nicht durch den obersten Äther. Steigst du zu hoch empor, wirst du die himmlischen Hallen verbrennen, gehst du zu tief, die Erde; in der Mitte wirst du am sichersten fahren. Möge dich auch das Rad nicht zu weit nach rechts tragen zur Schlange, die sich ringelt, und auch nicht zu weit nach links zu dem tief am Himmel stehenden Altar! [140] Halte dich zwischen beiden! Das Weitere überlasse ich dem Schicksal. Es möge dir helfen und besser für dich sorgen als du selbst! Während ich rede, hat die feuchte Nacht die Wendemarken am Hesperischen Strand berührt. Länger dürfen wir nicht warten: Wir werden verlangt. Aurora glüht, und die Finsternis ist vertrieben. [145] Nimm die Zügel in die Hand – oder, wenn dein Sinn sich noch ändern kann, dann mache dir meinen Rat, nicht meine Räder zu eigen, solange du noch kannst, solange du auf festem Boden und nicht unerfahren auf der Achse stehst, die du dir zu deinem Unheil gewünscht hast. Laß mich der Erde das Licht spenden, damit du es in Sicherheit schauen kannst.«

      [150] Phaethon besteigt den leichten Wagen mit seinem jugendlich schlanken Körper. Schon steht er oben, freut sich, mit den Händen die leichten Zügel zu berühren, und dankt von dort aus dem widerstrebenden Vater. Inzwischen erfüllen die vier geflügelten Sonnenrosse Feurig, Morgenschein, Brand und Lohe die Lüfte [155] mit flammendem Wiehern und schlagen mit den Hufen an die Schranken. Schon hatte Tethys diese aufgestoßen, ohne vom Schicksal ihres Enkels etwas zu ahnen, und den Rossen stand der unermeßliche Himmel offen: Da stürmen sie los, bewegen die Beine durch die Luft, zerreißen Nebelschleier, die ihnen im Wege stehen. [160] Von den Flügeln emporgetragen, überholen sie die Ostwinde, die aus derselben Richtung kommen. Aber das Gewicht war leicht, so daß es die Sonnenrosse nicht wiedererkennen konnten, und dem Joch fehlte die vertraute Schwere. Wie gebogene Schiffe ohne den rechten Ballast hin und her schwanken und, weil sie zu leicht sind, unstet über das Meer fortgetragen werden, [165] so macht der Wagen, frei von der gewohnten Last, Sprünge in der Luft und wird in die Höhe geschleudert, als wäre er leer. Sobald das Viergespann dies bemerkt hat, stürzt es los, verläßt die ausgefahrene Bahn und läuft nicht mehr geordnet wie sonst. Phaethon ist erschrocken und weiß nicht, wohin er die ihm anvertrauten Zügel lenken soll, [170] auch weiß er den Weg nicht, und selbst wenn er ihn wüßte, könnte er den Pferden seinen Willen nicht aufzwingen. Damals erwärmte sich zum ersten Mal das eisige Gestirn der Sieben Dreschochsen am Strahl der Sonne, und sie versuchten vergebens, in dem verbotenen Meer zu baden; und die Schlange, die ganz nahe am eisigen Pol wohnt, vor der sich bisher niemand zu fürchten brauchte, weil sie durch den Frost träge geworden war, [175] wurde warm und bekam durch die Hitze neue Angriffslust. Man sagt, sogar du, Bootes, seist verwirrt geflohen, wenn du auch noch so träge warst und dein Karren dich aufhielt. Doch als Phaethon von der höchsten Höhe des Äthers hinabblickte, der Unglückliche, auf die Lande, die weit, weit unten hingebreitet waren, [180] erbleichte er, in plötzlicher Angst erzitterten ihm die Knie, und ungeachtet all des hellen Lichtes senkte sich Finsternis über seine Augen. Schon hätte er lieber die Rosse des Vaters nie angerührt, schon reut es ihn, seine Herkunft erfahren und seine Bitte durchgesetzt zu haben, schon wünscht er sich sehnlich, ein Sohn des Merops zu heißen. [185] Er wird fortgetragen wie vom rasenden Nordwind ein fichtenes Schiff, dessen Lenkung der verzweifelte Steuermann aufgegeben und das er Göttern und Gebeten überlassen hat. Was tun? Eine große Himmelsstrecke liegt bereits hinter ihm, eine größere vor ihm. Im Geiste schätzt er beides ab; bald blickt er voraus gen Sonnenuntergang – wohin zu gelangen ihm nicht beschieden ist –, [190] bald zurück zum Sonnenaufgang. Wie betäubt weiß er nicht, was er tun soll. Weder läßt er die Zügel los, noch kann er sie anziehen, noch kennt er die Namen der Pferde. Auch sieht er, bunt über den weiten Himmel verstreut, Wunderwesen und die Bilder riesiger Tiere, die ihm Angst einjagen. [195] Es gibt einen Ort, an dem der Skorpion seine Scheren in zwei Bögen krümmt und mit seinem Schwanz und den beiderseits gebogenen Armen seine Glieder über den Raum von zwei Tierkreiszeichen ausdehnt. Sobald ihn der Knabe sah, wie er von schwarzem Gift troff, das er ausschwitzte, und ihn mit seinem krummen Stachel zu verwunden drohte, [200] verlor er die Besinnung, eisig packte ihn die Angst, und er ließ die Zügel los. Diese liegen schlaff auf dem Rücken der Pferde; durch die Berührung geraten die Rosse außer Rand und Band und jagen, ohne daß jemand sie zurückhält, durch unbekannte Luftregionen. Regellos rasen sie, wohin ihr Ungestüm sie treibt, [205] stoßen an die Sterne, die am hohen Himmelsgewölbe befestigt sind, reißen den Wagen durchs Unwegsame, steigen bald zu den höchsten Höhen empor, bald stürzen sie abwärts auf halsbrecherischen Wegen in der Nähe der Erde dahin. Luna wundert sich, daß die Rosse ihres Bruders auf einer tiefer gelegenen Bahn laufen als die ihren, und versengt dampfen die Wolken. [210] Überall dort, wo die Erde am höchsten ist, wird sie

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