Strategie als Beruf. Maximilian Terhalle

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Strategie als Beruf - Maximilian Terhalle

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Er hinterfragte einfache Ziel-Wirkung-Annahmen, die sich auf seinerzeitige (und auch heute anzutreffende) rationalistische Kalkulationen der vorhandenen Mittel in Bezug zur Erreichung von Zwecken beriefen. Er formulierte dadurch einerseits ein Verständnis für die Akzeptanz von Zufällen und für die reziproke Dynamik diplomatisch-militärischer Konfliktentwicklungen sowie andererseits die begrenzte Steuerungsmöglichkeit beider durch eine exakte politische Zielbestimmung im Sinne eines Plans. Friktionen werden vielmehr qua natura von eben dieser Trinität generiert und erschweren in erheblichem Maße die kognitive Greifbarkeit und analytische Beantwortung ihrer diffusen und komplexen Dynamik untereinander durch den Strategen (Freedman 2013, Kap. 7; Herberg-Rothe 2017, Kap. 7).

      Clausewitz war sich somit des unweigerlichen Problems strategischer Unvorhersehbarkeit in Konflikten bewusst, verneinte aber stringent, dass dies zu einer tabula rasa führen müsste. Er insistierte vielmehr, dass (Donald Rumsfelds) unkown unknowns immer nur ein Teil der Planung waren. Auch Gegner (und Feinde) waren – und sind – gleichermaßen der Logik jener Friktionen ausgesetzt, die der Trinität von Konfliktdynamiken innewohnten. Er sah deshalb Erschütterungen der Zielplanung als gegeben an und inkorporierte Planungen für Eventualitäten in sein Denken. Trotz dieser manifesten Ungewissheit, so wies er Strategen an, waren übergeordnete Ziele mit Beharrlichkeit zu verfolgen, indem Einschränkungen des Handelns durch adaptives Verhalten aufzulösen war. Ein deutscher General (Moltke, der Ältere) sollte dies später so fassen: „Die Strategie ist die Fortbildung des ursprünglich leitenden Gedankens entsprechend den stets sich ändernden Verhältnissen“ (zit. in Herberg-Rothe 2017, 180). Kissinger würde anstatt des ‚leitenden Gedankens‘ seine Konzeption der Zukunft setzen.

      Lawrence Freedman: Strategie als Entscheidungsprozesse der Kognitionspsychologie

      Die moderne Strategielehre setzt hier an und analysiert Entscheidungsfindungen in weitgehend, aber nicht vollständig unwägbaren Kontexten. Sie erkennt die für Entscheider unausweichliche Schwierigkeit an, im Jetzt dieser Unsicherheit Strategien für das unklare Morgen liefern und adaptiv implementieren zu müssen. Spannungen zwischen kurz- und langfristiger Planung für komplexe Kontexte sind dabei dem Blick auf die kognitiven Anforderungen an Strategen immanent.

      Freedman argumentiert, dass politische Strategen ihre Entscheidungen für eine Option und gegen andere auf einer dualen Logik aufbauen. Er importiert die wissenschaftliche Disziplin der Kognitionspsychologie in die Strategic Studies und zeigt, dass zwei Logiksysteme im Entscheider miteinander rivalisieren. Das erste sind tief sitzende Stereotype, die von lebensalterbedingten Erfahrungen, Perzeptionen und Interessen individuell geprägt sind und eine zumeist feste Weltsicht hervorgebracht haben, die die Sicht auf die Zukunft wesentlich bestimmt (System 1). Diese Stereotype brechen intuitiv und sekundenschnell komplexe strategische Situationen kognitiv herunter und projizieren sie durch die eigene Weltsicht als konkretes Handeln in die Zukunft. Das zweite System kann als Korrektiv fungieren, indem es die Angemessenheit des Stereotyps für den akuten Kontext prüft. Dieses System betont das rationale Element der Strategieauswahl, wobei es neuronal auf die simultane Kontextualisierung von höchstens sieben Faktoren begrenzt ist (Freedman 2013, 601). Nicht nur, aber auch deshalb dominiert es das erste System keineswegs verlässlich. Im Gegenteil, das erste Logiksystem prägt die unmittelbare Perzeption und lässt sich, nicht zuletzt unter Zeitdruck, nur mühsam durch das zweite revidieren. Im günstigen Fall, dass es sich durchsetzt, kann es ein visionäres Narrativ für die Zukunft schaffen, das den Charakter der Gegenwart kennt und die jeweilige Anhängerschaft innerhalb des bürokratischen Apparats erreicht sowie in der Bevölkerung mobilisiert. Falls die Korrektivfunktion misslingt, kann die intuitive Anwendung des hergebrachten Stereotyps trotzdem vollkommen treffsicher sein – oder aufgrund veränderter Kontexte zu potenziell nachteiligen Analogieschlüssen führen (Freedman 2013, Kap. 38; Kahneman 2011).

      Während Freedman allerdings die Funktion der Strategic Studies ausschließlich aus der Perspektive des praxisnahen und auskunftswilligen Forschers betrachtet und andere Autoren zumeist die Sicht der häufig als – unausgesprochen – überlegenen, da reflektierteren Bürokraten im Sinne von System 2 annehmen, wählt dieses Buch einen dritten Weg. Und zwar aus folgendem Grund. Die Logiksysteme 1 und 2 interagieren, jedoch ist das erste eindeutig das stärkere Element, just weil es sich auch ohne und gegen den Rat von System 2 durchsetzen kann. Der Schlüssel liegt deshalb darin, vom Entscheider her zu denken, also das System 1 des jeweiligen Entscheiders minutiös zu kennen und es, wenn möglich, mit System 2 zu verknüpfen. Bei System 1 anzusetzen, das in der Person des Regierungschefs letztlich immer das schwerer zu beeinflussende aber entscheidende sein wird, und nicht bei System 2, scheint deshalb den realitätsnäheren Ansatz zu versprechen.

      Aufbau des Buches

      Der Band gliedert sich in vier Teile, die durch zwei Charakteristika zusammengehalten werden. Das erste Kennzeichen des Buches liegt darin, dass es die traditionell praktisch-empirische Herangehensweise der Strategic Studies wesentlich konzeptionell untermauert. Dies nicht, um das Fach unnötig zu akademisieren, als vielmehr die antizipierende Perzeptions- und Analyseschärfe des Entscheiders mittels konzeptioneller Grundlagen zu verbessern.

      Diese Einleitung und weitere sechs Kapitel sind bisher unveröffentlichte Ausarbeitungen, die übrigen Kapitel stellen Wiederabdrucke jüngerer Publikationen dar.

      Der erste Teil, „Grundbegriffe strategischen Denkens“, baut auf den Konzeptionen auf, die in dieser Einleitung gedrängt vorgestellt wurden. Es vertieft weitere wesentliche Konzeptionen der Strategic Studies und analysiert, wie sinnvoll über Handlungsspielräume praktischen strategischen Handeln nachgedacht werden kann. Dies erscheint angesichts der gängigen, für selbstverständlich gehaltenen Konstatierung der Verteidigung nationaler Interessen notwendig.

      Der zweite Teil, „Analytische Einzelaspekte der Strategic Studies“, behandelt vor dem Hintergrund der neuesten internationalen Forschung Themenkomplexe wie Cyber und AI, Containment, Revisionismus, internationale Ordnung, Realpolitik und geheimdienstliche Arbeit.

      Der dritte Teil, „Strategische Praxis und deutsche Sicherheitspolitik“, reflektiert die als staatsbürgerliche Pflicht des Wissenschaftlers angesehene Notwendigkeit, seine Forschungsergebnisse praxisnah publizistisch einzubringen. Dieser Teil bietet konkrete Vorschläge zu den gegenwärtigen Umbrüchen der Weltordnung. Die hierfür gewählten Formate sind internationale Policy-Journale und deutsche Tageszeitungen.

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