Strategie als Beruf. Maximilian Terhalle
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Im intellektuellen Milieu, das qua Denomination dem Gegenstand am nächsten steht, der Internationalen Politik, zeigen sich ähnlich unstrategische Grundzüge. Nach dem Zweiten Weltkrieg entfernte sich das von Max Horkheimer marxistisch ausgerichtete Fach schnell vom antitotalitären Konsens der jungen Bundesrepublik und richtete sich konsequenterweise betont antiamerikanisch aus. Deutschjüdische Emigranten wie Hans Morgenthau, die wesentlich zum Aufbau einer weltweiten realistischen Schule von den USA aus beitrugen, wurden hierzulande nicht rezipiert. Folgenschwer war dann der Einfluss von Jürgen Habermas, der sich als Philosoph in die Politik(wissenschaft) einmischte. Indem er sich mittels seiner Kommunikationstheorien von jeglichen machtorientierten Ansätzen abgrenzen wollte, goss er eine spezifisch deutsche Schlussfolgerung aus dem Zweiten Weltkrieg in seinen generalisierenden Ansatz. Im Kern wollte er Interessenkonflikte jedweder Natur innerhalb eines Staates (ausschließlich westlicher Demokratien, wie er unterschlug) und darüber hinaus international immer kommunikativ auflösen. Dass Konflikte inhärenter Bestandteil des Zusammenlebens sozialer Gruppen waren und Macht dabei jedwede soziale Beziehungen (mit-)bestimmte, auch nach dem Zweiten Weltkrieg, dem verschloss er sich. Genau dies zwang den Doyen der Oxforder Politikwissenschaft, Andrew Hurrell (2011, S. 150), kürzlich festzustellen: „Habermas’s work is inexplicable outside of the social, political and historical consciousness of Germany“.
Trotz des Endes des Kalten Krieges hat das Fach das machtfremde Muster Habermas’ tradiert. Entsprechend einer realistischen Schule hat die sich selbst so bezeichnende professionelle Politikwissenschaft seitdem fast exklusiv die mit Kommunikationstheorien eng verzahnten Kooperationstheorien zur Analyse von Global Governance-Aspekten genutzt. Gleich geblieben sind der axiomatisch strategie- und machtfremde Charakter der Fachdebatten (sowie der Lehre) und die oft als nebensächlich betrachtete Rolle des Nationalstaates in Zeiten der Globalisierung.6 Dass seit Habermas’ Zeiten die gleichsam extreme Spezialisierung des Faches (wie anderswo) unzählige Experten hervorgebracht hat, denen die Synthese größerer internationaler Zusammenhänge im Widerspruch zu ihren häufig engen, professionellen Sichtweisen steht, hat damit eine weitgehende, kosmopolitisch unterzeichnete Außerachtlassung von Fragen bewirkt, die die Grundlagen von Strategie und internationalen Ordnungen betreffen (Terhalle 2015, 2016). Nicht ganz zu Unrecht haben führende US-Vertreter des Fachs deshalb frühzeitig jenen „Flight from Reality“ (Shapiro 2007) beklagt, der hierzulande tiefe Spuren hinterlassen hat. Deutlichster Ausdruck dessen ist bis heute die Absenz von Lehrstühlen, die sich dem ganzheitlichen Studium von Strategie widmen.
Teile der politischen und intellektuellen Eliten stehen damit jenen Bevölkerungsgruppen und Medien nah, die besonders in Konfliktfällen weiterhin pazifistische Zurückhaltung aus dem Zweiten Weltkrieg ableiten. Aber die Niederlage, die Reinhart Koselleck (1988, S. 13–61) den Deutschen just noch ein Jahr vor dem Mauerfall als Reflektionsfolie für die „Historie der Besiegten“ anbot, ist längst in bester deutscher Manier gründlichst aufgearbeitet – und durch die Verankerung im westlichen Bündnis praktisch umgesetzt. Als Tugend missverstandene, teils verinnerlichte Selbstzweifel und auch instrumentalisierter Vergangenheitserhalt sind habituelle Restbestände einer gleichsam provinziellen Moralistik in einem weltweit respektierten Land, die innergesellschaftlich erodieren, weil sie den gärenden Paradigmenwechsel mit Ideenlosigkeit kaschieren, jedoch außenpolitisch ohne Resonanz bleiben.7 Dabei hatte Joachim Gauck noch in einer seiner letzten Reden 2017 auf „das Wichtigste“ hingewiesen, auf das Deutschland sich längst verlassen kann, „eine Haltung“ nämlich, die „durch Vertrauen zu uns selbst, das Vertrauen in die eigenen Kräfte“ geprägt ist (Mangasarian und Techau 2017, S. 163).8
Die Konsequenzen für das strategische Denken in Deutschland sind demgemäß nicht vorteilhaft gewesen: Obwohl die Chefplaner von der Strategiebildung der Weltpolitik praktisch weitestgehend entkoppelt waren und weil das intellektuelle Milieu jegliche Neugierde an Strategie eo ipso negiert hat (und damit auch vorhandene Wissensbestände im westlichen Ausland) haben sich die deutschen Planer genauso pragmatisch wie schlicht bar analytischen Rüstzeugs an ihre Arbeit gemacht. Unweigerlich hat das taktisch sozialisierte, Apparat-interne Nachdenken damit über Jahrzehnte eine antiintellektuelle Position entwickelt, die die Vielfalt und systematische Reflektionsfähigkeit externer Denktraditionen vernachlässigt hat.
Diese Tradition hat im sicherheitspolitischen Milieu die ungute Tendenz vieler politischer Praktiker (nicht aller) verstärkt, schlicht Lösungen für konkrete Probleme zu suchen. Und dies ohne zunächst die ihnen eigenen Herangehensweisen und Weltbilder, selbst angesichts weltpolitischer Umbrüche, auf den Prüfstand zu stellen. Die Unbestimmtheit ihres Pragmatismus ist dabei ja, entgegen eigener Überzeugung, immer von unausgesprochenen Annahmen geprägt, die in die Entscheidungsfindung einfließen.9 Deshalb ist mangelnde, ernsthafte Reflektion über die Parameter dieses stets funktionierenden Pragmatismus ein schwerwiegender Grund, warum Umbrüche der Gegenwart nicht angemessen zu fassen sein mögen. Darüber hinaus hat diese Tradition ein Denken dahingehend vertieft, dass viele Praktiker die Grenze der Kunst des Möglichen dort ziehen, wo das Heute aufhört, weil sie amtierenden Bundesregierungen in strategischen Fragen nicht vorgreifen wollen. Ihr Räsonieren endet mithin dort, wo das innenpolitisch Durchsetzbare angeblich endet und internationales Recht Grenzen setzt. Indem sie damit den Status quo während der Entscheidungsfindung als unabänderlich akzeptieren, übersehen sie gleichwohl das Konflikten innewohnende Potential zur Neuerung und, zuweilen, die Notwendigkeit, dem Status quo mit Chuzpe zu begegnen, um die Zukunft zu gestalten, anstatt auf sie (spät) zu reagieren. Zentral bleibt deshalb die Forderung des ehemaligen Bundespräsidenten Joachim Gauck (2014, S. 78), Deutschland „in schwierigen Zeiten […] vor allem geistige Ressourcen“ anzubieten, die das Land bei seiner Strategiebildung unterstützen. – Mit welchen Grundannahmen untermauert nun eine solche Lehre Strategie?
2. Antagonistische Natur
Die Strategielehre begreift das Politische des internationalen sozialen Lebens als antagonistisch. Die ineinandergreifenden Wurzeln dieses antagonistischen Ansatzes, der keine deterministische Konnotation besitzt, sind systemischer und anthropologischer Natur.10 Das systemische Grundbedürfnis der militärisch stärksten Mächte einer historischen Episode besteht in dem Maß an Sicherheit, das die jeweils spezifische Lebensart und die dafür notwendigen Voraussetzungen erhält (Gilpin 1981; Clark 2005). Die Sättigung dieses fundamentalen Bedürfnisses erfordert deshalb eine historisch seltene, von allen zentralen Akteuren perzipierte Zufriedenheit mit dem Status quo. Unschwer wird dadurch deutlich, dass dem Politischen aus der Sicht des Strategen Konflikte immanent sind, da einige den Status quo als benachteiligend empfinden, während andere ihre privilegierte Position herausgefordert sehen und darauf zielen, diese entweder defensiv zu erhalten oder vorhandene Vorteile weiter auszubauen. Zusammengefasst: Internationale Ordnungen sind für gewöhnlich einige Zeit lang stabil; just weil sie aber keine abstrakten Strukturen sind, sondern von, naturgemäß nie objektiven, Strategen im Sinne einer zu einem bestimmten Zeitpunkt stärksten Gruppe erdacht wurden (traditionell während/nach Kriegen) und in deren Machtverständnis