Strategie als Beruf. Maximilian Terhalle

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Strategie als Beruf - Maximilian Terhalle

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executive authority“.

      6. Definition Strategie

      Nur aus dem Vorgesagten wird nun deutlich, warum dieser Aufsatz eine Definition von Strategie erst an diesem letzten Punkt, durch den die prinzipielle Zweiteilung von Strategie deutlich wird, liefern kann und will. Denn: Es ist ein weitverbreiteter Irrtum der Wissenschaft, Strategie vornehmlich, wenn nicht ausschließlich, durch das Element der langfristigen Planung zu charakterisieren. Natürlich kann dies durch Clausewitz’ Insistieren auf die Wichtigkeit des Planungsprozesses bereits zu Friedenszeiten gerechtfertigt werden; und auch dadurch, dass Regierungsapparate über Jahre und Jahrzehnte ein Maß an Erfahrung und Wissen ansammeln, das im Entscheidungsfall eines Konflikts, falls entsprechend präpariert, organisatorisch eine zentrale Rolle bei der Sondierung von Optionen spielen kann. Diese Funktion hat grundsätzlich auch die Strategielehre, wenn sie in der Lage ist, in der Konfliktphase analytische Denkräume parat zu halten, die Entscheidungen beeinflussen können. Gleichwohl, und dies ist das wahrscheinlich größte Defizit der Wissenschaft, die qua natura langfristig angelegt ist, ist dieses auf Langfristigkeit zielende Element inhärent durch die Strategiebildung begrenzt, sofern sie vom Entscheider her gedacht wird. Dieses oben sogenannte System 1 gerade nicht als das dem System 2 faktisch überlegene System zu verstehen, das per Intuition (und zuweilen unter Zeitdruck) versucht, komplexe Sachverhalte zu verstehen und Entscheidungen fällen und dafür Verantwortung übernehmen muss, ist die Achillesferse jener Forschung, die Strategie nur durch die Linse Langfristigkeit betrachtet. Wenn es zum Schwur kommt und Komplexität wie im Brennglas kognitiv heruntergebrochen werden muss, dann zeigt sich die Einseitigkeit des noch immer vorwaltenden Verständnisses von Strategie als langfristige Konfliktplanung. Ohne Kenntnis des Weltbilds der wichtigsten Entscheider bleibt das Verständnis von und für Strategie in stärkstem Masse eingeschränkt. Solche Weltbilder spiegeln die Verarbeitung zentraler Lebenserfahrungen und wertebezogene Wesenszüge einer Person wider, die in kritischen Situationen das Entscheidungsverhalten dominieren. Der biographische Zweig der Strategie-Forschung (mindmaps) hat dies griffbereit aufgearbeitet.

      Daraus ergibt sich folgende Definition von Strategie, die der Lehre von Strategie in Zukunft zugrundeliegen sollte: Strategie ist langfristige Konfliktplanung und akute konfliktangetriebene Entscheidungsfindung in einem. Langfristige Konfliktplanung kann Konflikt verhindern. Exekutive Entscheidungsfindung kann aber aufgrund ihrer stärker kurzfristigen Natur zu Friedenszeiten die Unmittelbarkeit langfristiger Planung bestreiten und zurückweisen. Im tatsächlichen Konfliktfall obliegt es Strategen, Situationen intuitiv, planerisch oder mittels einer Kombination beider Elemente entgegenzutreten. Nicht lineare Adaptionsfähigkeit entscheidet im Verlauf eines Konflikts darüber, ob die eigene Sicherheit vollständig erhalten werden kann. Strategien verstehen sich als existentiell ausgerichtet, weil sie sich gegen Herausforderungen an die eigene Existenz stellen.

      7. Strategielehre und Deutschlands Strategiebildung

      Nach Clausewitz ist die (noch zu etablierende) Strategielehre dazu geeignet, „manchen Faltenkniff in den Köpfen der Strategen und Staatsmänner auszubügeln“ (zit. n. Heuser 2005, S. 14). Für die Lehre von der Strategie ergeben sich aus dem Gesagten mindestens sechs Möglichkeiten, die Formierung deutscher Strategiebildung analytisch zu unterstützen.

      Für die Nicht-Großmacht Deutschland bringt das antagonistische Prinzip erstens Klarheit bei der strategischen Prioritätensuche. Aus diesem Prinzip folgt, dass die Fundamente freiheitlichen Lebens konsequenterweise jene Inhalte sind, für deren Verteidigung Berlin ultimativ Macht einzusetzen bereit sein muss. Praktisch gewendet: Wenn die NATO, also auch Deutschland, nicht das Bündnis, also die Fundamente der politischen Freiheit und Lebenswelt schützen kann, dann muss Deutschland dies zur exklusiven Priorität des Bündnisses machen – und die Notwendigkeit nicht existentieller Einsätze wie Mali oder Afghanistan kritisch überdenken. Aus ihrer klassisch realistischen Grundierung heraus kann Strategielehre die für solche nicht vitalen Konflikte häufig angenommene Interessenharmonie zwischen der Interventionsmacht und den zu Befreienden hervorheben, die durch Reform verschiedener Politiksektoren und -strukturen umgesetzt werden soll. Dabei werden fundamentale Probleme der politischen Neukonstituierung ausgeblendet, ob nun die neuen Regierungen Patronage-Netzwerke etablieren, um ihre politische Klientel zu befriedigen, oder ob hohe Summen von Aufbaugeldern Korruption befördern, die sich negativ für die Interventionsmacht auswirken (Porter 2016, S. 248–249).

      Die letztliche Prioritätensetzung wird zweitens wesentlich dadurch erleichtert, dass sich die Strategielehre, gerade weil sie den von Thukydides geprägten, langfristig angelegten Blick für formativ hält, an seiner Trias orientieren kann. Durch die sensible Beobachtung geringerer Konflikte gelingt so die größere Kontextualisierung eines Großmachtantagonismus in einer internationalen Ordnung durch die Kategorien Status quo- und revisionistische Mächte. Drittens kann die Strategielehre die Grundannahmen, die die Weltbilder und kognitive Intuition von deutschen und führenden nicht europäischen Entscheidungsträgern prägen, systematisch aufbereiten und damit potentiell fehlerhafte Analogieschlüsse im Vorfeld sich abzeichnender Konfliktkontexte frühzeitig aufzeigen. Dies schafft u.U. (Denk-)Raum für offiziell politisch nicht gewollte und zunächst undenkbare Entscheidungsoptionen. Strategie hat wesentlich mit Entscheidungsfindung zu tun; so betont Freedman (2013, S. xiv): „reasoning behind them […] worthy of careful examination“.

      Die Lehre von der Strategie schärft viertens das Verständnis für die Nichtlinearität politischer Entwicklungen (Jervis 2017, S. 234–260). Damit macht sie einerseits deutlich, dass sich aus einer bestimmten Strategie nicht zwingend eine Dynamik entwickelt, die das gewünschte Ziel, sofern erreicht, selbständig untermauert. Der Automatismus, der dieser Domino-Theorie zugrunde liegt, ist meist strategisches Wunschdenken (z.B. Irakkrieg 2003). Andererseits kann solches Denken auch dazu führen, dass politisch nicht gewollte Strategievorschläge mit Domino-Effekten in Verbindung gebracht werden, deren logische Konsequenz keineswegs ausgemacht ist (etwa die nukleare Bewaffnung Deutschlands als Proliferationsgrund für andere). Fünftens kann sie zeigen, wie trügerisch der szientistische Verlass auf die richtige Analyse von big data in strategischen Angelegenheiten ist (Tetlock und Gardener 2015). Die geglaubte Vorhersehbarkeit scheitert sowohl an der Nichtlinearität politischer Entwicklungen als auch an der intuitiven, durch Weltbilder und Analogien geformten Komplexitätsreduktion seitens der Entscheidungsträger. Sie scheitert ebenso an der Generierung von Friktionen im Konfliktverlauf, die nur adaptiv im Sinne des übergeordneten Ziels adressiert, aber nicht im Vorfeld geplant werden können. Strategielehre kann, sechstens, analytisch die politischen Widersprüche zwischen Großmächten wie China und Russland herausarbeiten und sollte sich dann nicht scheuen, Strategen Optionen für die praktische Manipulation dieser Gegensätze anzubieten, um zur Schwächung solcher Allianzen beizutragen.

      8. Zusammenfassung

      Die vorgelegte Analyse zielte darauf, den eklatanten Mangel an Strategielehre in Deutschland nachzuvollziehen. Und darauf, diesem folgenreichen Desideratum erstmalig durch einen Überblick über zentrale Aspekte des Gegenstands zu begegnen. Es wurde deshalb zunächst gezeigt, warum dieser Mangel in Deutschland grundsätzlich besteht. Sodann wurde darauf verwiesen, dass systemische und anthropologische Elemente wesentlich das antagonistische Bild der Strategielehre von Politik formen. Dem schloss sich die Darlegung an, weshalb Strategielehre Konflikte als Ausgangspunkt ihrer Beobachtungen nimmt und warum gleichzeitig die politische Natur von Konflikten häufig bereits vor dem Ausbruch von Gewalt erkenn- und adressierbar ist. Die klassischen, bis heute gültigen Einsichten Clausewitz’ wurden danach herangezogen, um die prinzipielle Notwendigkeit des Verständnisses für nicht lineare, ungleichzeitige und reziproke Wirkungsdynamiken in der Entwicklung von Konflikten zu veranschaulichen. Die moderne, im Wesentlichen im angelsächsischen Raum geformte Strategieforschung baut auf den vorgenannten Fundamenten auf und hat sich seit geraumer Zeit der systematischen Analyse strategischer Entscheidungsfindung zugewendet. Dieser Abschnitt der Analyse zeigte die kognitionspsychologisch hergeleiteten Entscheidungshilfen, die zentral bei der jeweils zu treffenden Auswahl von Entscheidungsoptionen sind. Daraus erschloss sich die erste, die neueste Forschung und praktische Aspekte des Themas kombinierende Definition des Begriffs Strategie. Der Überblick zum Thema

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