Strategie als Beruf. Maximilian Terhalle

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Strategie als Beruf - Maximilian Terhalle

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style="font-size:15px;">      Die Interessenlage potentieller strategischer Antagonisten wird weiter kompliziert durch die historisch ungleichzeitige, variierende Zu- und Abnahme materieller Stärke einer zentralen Macht sowie Veränderungen ihrer ideologischen Ausrichtung. Russland und China demonstrieren diese Unzufriedenheit mit dem Status quo heute durch ihren Revisionismus. Der russische Präsident Wladimir Putin will jene geopolitische Tiefe zurückgewinnen, die er mit dem Ende des Kalten Kriegs verloren hat. Weil die Ziele seiner Strategie bisher unerreicht sind, war die Krim-Eroberung auch nicht der letzte Zug. China will seine historische Größe als Vormacht Ostasiens wieder erlangen. Seine maritime Salami-Taktik dient der langsamen Unterminierung des Vertrauens der benachbarten, kleineren Länder in die Sicherheitsgarantien der USA. Donald Trumps Revisionismus zielt darauf, dass die USA ihre von anderen angeblich missbrauchte Machtstellung durch den Rückzug von eben dieser Ordnung wiedergewinnt.

      Das systemische Grundbedürfnis eines Teils der Großmächte kann damit politisch nie garantiert, sondern höchstens historisch zeitweise befriedigt sein. Für die anderen gilt, dass sie ihre Grundbedürfnisse durch die der ersten Gruppe als dauerhaft und inakzeptabel eingeschränkt sehen. Ungeachtet diplomatischer Regeln und rechtlicher Streitschlichtung macht diese Logik die Einsetzung einer effektiven Schlichtungsinstanz, die die Sicherheit von Staaten im (erkennbar werdenden) Konfliktfall regeln könnte, unmöglich. Systemische Unsicherheit über zukünftige gegnerische Intentionen in einer parteiisch bevorteilenden Ordnung ist damit der entscheidende Grund, warum das Erkennen der Intentionen von Konfliktgegnern inhärent schwierig ist – und Strategiebildung damit unerlässlich.

      Die anthropologische Sicht der Strategielehre komplementiert ihr antagonistisches Fundament. In strategischen Ansätzen sind Spitzenpolitiker die wesentlichen Akteure bei der Ausgestaltung politischer Entwicklungen innerhalb von systemischen Ordnungen. Die menschliche Natur wird dabei einerseits als kooperationsfähig betrachtet, zumal dann, wenn historische Erfahrungsrahmen, gleichviel wie blutig in der Vergangenheit erkämpft, eine Zahl von Völkern politisch, kulturell und wirtschaftlich besonders eng und deshalb friedlich verbinden. Andererseits ist Kooperation über diese Verbindungen hinaus möglich, aber aus der genannten Logik heraus stets anfällig. Gerade weil benachteiligte Großmächte, in unterschiedlichem Maße, ihre Position, ihr Sicherheitsbedürfnis zu verbessern suchen und andere dies umgekehrt aus Furcht vor Machtverlust verschiedentlich konterkarieren und bzw. oder ihre bessere Sicherheitslage unabhängig davon weiter ausbauen wollen, sieht die Strategielehre die menschliche Natur als permanent anfällig für die Versuchungen der Macht an.

      Thukydides’ klassisch realistisches Werk Der Peloponnesische Krieg hat der modernen Strategieforschung bereits im fünften Jahrhundert vor Christus die wesentlichen Motive menschlichen Handelns konzeptionell bereitgelegt. Forscher wie Richard Lebow, Bernard Brodie, Colin Gray, Lawrence Freedman, Graham Allison und Praktiker wie US-Verteidigungsminister James Mattis sehen deshalb in „Furcht“, „Ehre“ und „Interesse“ die zentralen Elemente menschlicher Natur, ob einzeln oder kombiniert wirkend (Lebow 2008, S. 45). Diese anthropologischen Ur-Antriebe machen „Fortschritte in der Gesittung“ in einer permanent von Unsicherheit über die Zukunft der Intentionen anderer gekennzeichneten Situation nie unmöglich, können sie aber stets begrenzen, anhalten oder revidieren (Meier 1983, S. 463). Gefühlte und bzw. oder tatsächliche Furcht treibt dabei an gegen den Verlust einer bestimmten Position, wie auch eine gefühlte und bzw. oder tatsächliche Zurücksetzung aufheben zu wollen.

      Ehre, moderner vielleicht als Status ausgedrückt, ist das Ansehen in einer sozialen Hierarchie. Status kann, weil er in einer Ordnung respektive befördert oder benachteiligt wird, die Emotion Furcht in einen mächtigen, mitunter irrationalen Handlungsantrieb übersetzen und sie damit in ihrer Wirkung drastisch verschärfen. Da universal geteilt, ist Status ein rekurrierendes, konfliktinduzierendes Motiv, das die Natur von Konflikten besser erfasst als häufig genannte kulturelle Unterschiede zentraler Antagonisten. Interesse ist der egoistische Antrieb, im jeweiligen Konflikt exklusiv das Eigeninteresse zu befördern. Diese Essenz des Thukydides’schen Dreiklangs hat der deutschjüdische Emigrant Hans Morgenthau (1947, S. 158) 2400 Jahre später als den „animus dominandi“ bezeichnet, ob reflektiert im Streit um mehr Macht oder um den befürchteten Verlust von Macht. Kurz: Der antagonistisch ausgefochtene Wille zur Macht ist die zentrale Grundkonstante strategischen Denkens. Das ist im Kern, was Praktiker meinen, wenn sie von einem Vakuum sprechen, das in der internationalen Politik nie längerfristig bestehen bleibt.

      3. Ohne Konflikt keine Strategie

      Die aus solchem Antagonismus erwachsenden, potentiell gewaltsamen Konflikte des internationalen sozialen Lebens sind gleichzeitig der empirische Ausgangspunkt der Strategielehre (Freedman 2013). Strategien sind deshalb nicht notwendig, wenn Politik – mitunter schwierige – innergesellschaftliche Herausforderungen durch einen weitestgehend funktionierenden Apparat und Prozesse kanalisieren kann. Strategien sind auch nicht notwendig, wenn Außen-, europäische und internationale Politik mittels routinemäßiger und institutionalisierter Arbeits- und Spitzentreffen weiche (Umwelt) oder harte (Abrüstung) Themen bearbeiten. Strategien sind vielmehr dann gefordert, wenn sich politisches Konfliktpotential zunächst unmerklich entwickelt, dann deutlicher werdend anbahnt und sich – trotz Androhung von Gewalt nicht entschärft – entlädt; ungeachtet der Existenz völkerrechtlicher Normen und nicht kodierter Verhaltensregeln. In dieser Sphäre, in der „das nicht organisierte, nicht rationalisierte Leben zur Geltung kommt, [wird] Handeln […] nötig“ (Mannheim 1995, S. 100).

      Hier kommt nun der Erkenntnis Clausewitz’, dass das Verfolgen politisch widerstreitender Ziele in jegliche Betrachtung über Krieg einfließt und Krieg deshalb nie als separates Phänomen betrachtet werden sollte, für das Nachdenken über Strategie weitreichende Bedeutung zu. An keiner Stelle sprach er von einer logischen Folge, die den Krieg zur Fortsetzung der Politik mit anderen Mitteln macht; nur mehr fand er hierin schlicht eine Beschreibung, die die nicht friedliche Auflösung politischer Antagonismen zuweilen, aber nicht zwingend, im Krieg sah. Für ihn war die Formulierung von Strategie bereits zu Friedenszeiten deshalb von höchster Bedeutung, weil die politische Genese von Konflikten es just ermöglichte, ihr jeweiliges Anwachsen klug auch mit nicht blutigen Mitteln zu adressieren. Gleichsam zeitlos schlug er deshalb Strategen vor, Konflikten zu begegnen, indem bestehende Allianzen von Gegnern durch geschicktes Säen von Zwietracht möglichst früh unterlaufen oder, im Kriegsfall, Feinde bei der konkreten Allianzbildung gestört werden (Clausewitz 1980, S. 218–219).

      Strategien sind mithin in erster Linie für jene Konflikte zu entwerfen, die sich zwischen Großmächten anbahnen, unter der Schwelle zu militärischer Gewalt schwelen (und dort gebannt werden können) oder in tatsächliche Auseinandersetzungen übergehen. In allen drei Varianten muss sich der (potentielle) Konflikt nicht direkt und großflächig zwischen den Großmächten ergeben oder ereignen; (vehementer) Streit über das Verhalten von respektiven Verbündeten, über normativ abgeleitete Handlungen oder (zunächst) begrenzte Inkursionen genügen. Strategielehre trägt nun dazu bei, eine analytisch begründete Kontextualisierung von Einzelereignissen zu ermöglichen. Eine derartige Kontextualisierung kann zu dem Ergebnis führen, dass das Einzelereignis eben genau ein solches ist; sie kann aber auch den Zusammenhang einer größeren, revisionistischen Strategie einer oder mehrerer Großmächte herausstellen.

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