Eilandfluch. Marie Kastner
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Weitere zehn Jahre später verpasste man Ambrosio bereits den Spitznamen Getreidekönig. 1985 hatte er sich sogar den größten Marktanteil für Hartweizengries auf dem US-Markt erobert. Von da an ging es mit dem Erfolg, auch wegen juristischer Querelen, allerdings wieder abwärts, bis das Unternehmen 1999 von Konkurs und Schließung bedroht war.
Der Erfolg seiner Firma war nicht Ambrosios einzige Passion. Er sponserte zum Beispiel, von 1977 an, ein Formel 1 Team. Aber auch in dieser Hinsicht erlebte er ein ständiges Auf und Ab. Es wurde nach einer Serie von Misserfolgen versucht, bessere Fahrer für die Rennboliden zu finden. Ambrosios rechtliche und finanzielle Probleme nahmen zur selben Zeit stetig zu, sodass er das Sponsoring schweren Herzens einstellen musste.
Immer noch waren die Ambrosios Eigentümer jener protzigen Villa am Steilhang, die direkt am Fußweg liegt, der hinunter zum kleinen Strand vor der Insel des Grauens führt. Zudem verfügte Francesco trotz aller Einbußen der vergangenen Jahre nach wie vor über ein ansehnliches Privatvermögen, das ihm und seiner Frau Giovanna eigentlich einen sehr angenehmen Lebensabend ermöglichen hätte sollen … wenn, ja wenn er nicht diesen rumänischen Gärtner eingestellt hätte.
Am Morgen des 15. April 2009 wurden die Leichen der Eheleute Ambrosio in ihrer Villa aufgefunden. Es hatte Diebstähle gegeben, alles im Haus war gründlich durchwühlt worden. Man ging schnell von einem missglückten Einbruch aus, der in einen Raubmord an den Multimillionären gemündet war.
Nach erstaunlich kurzer Ermittlungsarbeit nahm die Kriminalpolizei drei rumänische Einwanderer fest, von denen einer auf dem Ambrosio-Anwesen als Gärtner gearbeitet hatte. Der anfängliche Verdacht, die beiden Söhne des Ehepaares könnten die drei Ausländer aus Habgier für die Beseitigung ihrer Eltern angeworben haben, konnte in der gerichtlichen Verhandlung nie bestätigt werden. Bis heute haben sich die genauen Umstände nicht klären lassen.
Für die Zeitungen und die meisten Einwohner von Posillipo stand natürlich sofort fest, wer der eigentliche Mörder gewesen sein musste: la isola maledetta.«
Thorsten beschloss vorsorglich, seiner Freundin diesen jüngsten Teil der bewegten Geschichte La Gaiolas besser vorzuenthalten. Schließlich wollte er möglichst noch am selben Abend die Flugtickets nach Neapel übers Internet ordern.
Wie zu erwarten gewesen war, flippte Mona vor Freude über ein paar entspannte Tage im Sonnenschein schier aus. Ein passender Termin für den Trip war wider Erwarten schnell gefunden, und so konnte der junge Internetmillionär die Flüge nach bella Italia noch am selben Abend buchen. Am Freitag, dem 26. September 2014 sollte es losgehen.
Anschließend wühlte er noch einmal intensiv in den Untiefen des Internets, um vor der Reise möglichst viele Fakten über die böse kleine Doppelinsel zusammenzutragen. Was er hierbei an zusätzlichen Informationen ausgrub, ließ ihn an seiner eigenen Aussage von vorhin ein Stück weit zweifeln.
Die merkwürdige Häufung von Pleiten, anderen Unglücken und Todesfällen war auf La Gaiola tatsächlich exorbitant hoch. Doch je mysteriöser die Sache wurde desto stärker drängte ihn die Neugierde zum Golf von Neapel.
*
Die Maschine der Alitalia landete mit zehn Minuten Verspätung auf dem Flughafen Napoli-Capodichino. In bester Urlaubslaune schlenderten Thorsten und seine schöne Freundin zum Schalter der Mietwagenfirma, um den elektronischen Schlüssel für das vorab gebuchte Mercedes SLK Cabrio in Empfang zu nehmen. Wenn schon, denn schon.
Ein Glück, dass sie sich innerhalb des drei Tage währenden Aufenthalts jede Menge Zeit nehmen konnten. Andernfalls wäre Thorsten während der Fahrt durch die verstopfte Millionenstadt vermutlich ausgerastet. Er tat es den temperamentvollen Südländern gleich und hupte was das Zeug hielt. Zuerst lachte Mona über die sinnlos erzeugte Geräuschkulisse, doch bald ging sie ihr ziemlich auf die Nerven.
Beide waren daher heilfroh, als sie die Häuserschluchten des Stadtkerns endlich hinter sich lassen und im südwestlich gelegenen Stadtteil Chiaia über die Via Mergellino auf die Via Posillipo einbiegen konnten. Ein wunderschöner Meerblick eröffnete sich ihnen auf dieser Straße, die kilometerweit der Küstenlinie folgte. Häuser in Cremeweiß, Maisgelb und Ocker wechselten sich an der Steilküste mit unzähligen Treppen, Stützmauern und Terrassen ab. Dazwischen bildeten hauptsächlich Bougainvilleas violette und orangene Farbtupfer vor dem satten Grün der Pinien. Über all dieser verschwenderischen Pracht leuchtete der Himmel azurblau. Nur vereinzelt trieben weiße Wölkchen mit dem lauen Sommerwind gemächlich gen Osten.
Prüfende Seitenblicke verrieten Thorsten, wie überaus angetan seine Begleiterin von der atemberaubenden Mittelmeerkulisse war. Ein prima Auftakt, der morgen im ersten Anblick von La Gaiola gipfeln solle.
Nun kam endlich das ersehnte Urlaubsfeeling auf. Mehrmals hielt Thorsten am Straßenrand, damit Mona mit ihrem Smartphone Fotos schießen konnte. Auf der Außenterrasse des Ristorantes Reginella nahmen sie je einen Latte Macchiato zu sich, um anschließend gemütlich zurück in Richtung der Stadt zu cruisen. Es dämmerte bereits, und da lohnte es sich nicht mehr, bis nach Marechiaro hinunter zu fahren. Die Insel samt Umgebung würden sie am nächsten Tag noch ausgiebig genug erkunden können. Jetzt galt es, im Hotel einzuchecken.
Das Vier-Sterne-Haus Best Western Paradiso lag in der Via Catullo und bot einen herrlichen Blick über die Bucht von Neapel, sowie den mächtigen Vesuvio, der düster wie ein Menetekel am Horizont über der Stadt thronte. Mona würde beim Frühstück Augen machen. Der Raum mit dem Frühstücksbuffet bot nämlich einen unschlagbaren Rundumblick, was er im Internet mit der gewohnten Akribie recherchiert hatte. Ein Thorsten Sasse überließ grundsätzlich nichts dem Zufall.
Zwei Stunden später standen sie nebeneinander am Geländer des Balkons vor ihrem Doppelzimmer. Die gesamte Bucht war hell erleuchtet, Verkehrslärm brandete als dezentes Summen aus der Stadt herüber. Unzählige Lichter und bunte Leuchtreklamen reihten sich wie an einer Perlenkette aneinander, spiegelten sich auf dem ruhigen Wasser als verzerrte Reflexionen. Schneeweiße Boote schaukelten direkt unterhalb des Hotelareals dekorativ in einem kleinen Yachthafen. Das Glucksen des Wassers an der Kaimauer beruhigte die Sinne, machte ein wenig schläfrig.
»Wie romantisch! Der erste Eindruck von dieser Gegend ist einfach umwerfend«, schwärmte Mona. Sie jettete zwar als gefragtes Model fast ständig in der Welt herum, kam aber während ihrer Reisen kaum dazu, all die Gegenden zu erkunden, in denen sie sich jeweils nur sehr kurzfristig aufhielt. Wie sie da so stand, braungebrannt und mit offenem schwarzem Haar, hätte man sie für eine waschechte Italienerin halten können. Nur war sie dafür eigentlich nicht klein genug.
Alles klappte genauso, wie er es sich ausgemalt hatte. Diesen ersten Nachmittag in Italien konnte man also schon als Erfolg verbuchen. Wenn morgen die Insel noch halten würde, was sie versprach …
Monas millionenschwerer Freund nickte selbstzufrieden und ließ sich vom Zimmerservice zur Feier des Tages kurzentschlossen eine Flasche besten Champagners aufs Zimmer liefern. Er fühlte, wie sich sein Akku bereits wieder aufzuladen begann. Ich arbeite wirklich zu viel, sollte mir öfters so eine Auszeit gönnen, sinnierte er während des Einschenkens.
Der Zimmerkellner verschwand mit den besten Wünschen für einen angenehmen Restabend, nachdem er sein Trinkgeld in der weinroten Livree hatte verschwinden lassen.
Thorsten reichte Mona eine der hohen Sektflöten.
»Auf La Gaiola!«
»Auf La Gaiola. Mann … ich platze schon vor Neugier«, wiederholte sie mit leuchtenden Augen.
*