Eilandfluch. Marie Kastner
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Doch Thorsten war längst in seiner eigenen Gedankenwelt der nüchternen Zahlen versunken. Er hörte ihr gar nicht mehr zu. Sein starrer Blick fixierte gierig jenes sonnenüberflutete Eiland, welches bald über sein weiteres Schicksal bestimmen sollte.
Sobald die nasse Badekleidung halbwegs getrocknet war, fuhren die Urlauber zum Hotel zurück. Am Abend gingen sie groß aus und beschlossen, am nächsten Tag ein Motorboot mit Führer zu mieten, um La Gaiola umrunden und von allen Seiten betrachten zu können. Nach einem anschließenden kurzen Stadtbummel in Neapel würden sie schon wieder in den Flieger steigen und die Rückreise antreten müssen. Beiden graute davor, denn für Frankfurt war Sonntagabend ein Sturmtief angesagt.
*
Thorsten Sasse konnte man getrost als facettenreiche Persönlichkeit bezeichnen. Unter der Knute seines Vaters, eines absoluten Machtmenschen, hatte er früh gelernt, mit strengen Regeln zu leben. Hatte mitbekommen, welchen Stellenwert Geld und Besitz auf dieser kapitalistisch orientierten Welt einnahmen, wie viele Türen sie einem öffneten. Dieser Eindruck hatte sich während seiner Jahre in einem Schweizer Eliteinternat noch verstärkt. Es gab für ihn die gut betuchten Macher, die überall hervorstachen und den Ton angaben – und eben die Anderen.
Im Gegensatz zu Werner-Wolfgang Sasse besaß sein Sohn jedoch einen Sinn für die schönen Künste. Er schätzte Literatur, liebte moderne Gemälde und Skulpturen genauso wie edle Antiquitäten. Wenn er verreiste, dann nicht nur, um Luxusressorts von innen zu betrachten. Er sah sich interessiert in fernen Ländern um, philosophierte gerne über die unterschiedlichen Kulturen; allerdings tauchte er nicht tief genug in deren Volksseele ein, denn hierzu hätte er sich ja intensiv mit den Anderen abgeben müssen.
Im Grunde genommen, kannte niemand Thorsten in seiner Gesamtheit. Mona war mit dem kultivierten Lebemann zusammen. Seine Mitarbeiter kannten ihn als gnadenlosen Pedant und Workaholic, sein Vater sah in ihm mittlerweile eine bedrohliche Konkurrenz. Er war nicht mehr der einzige in der Familie, der es zu etwas gebracht hatte. Sein Königsthron wackelte, und das schmeckte ihm gar nicht. Für seine oberflächliche Mutter war Thorsten noch immer das semmelblonde Bübchen, das sie einst zur Welt gebracht hatte. Geschwister gab es keine.
Und heute saß er mit Menschen am Konferenztisch in der neapolitanischen Liegenschaftsbehörde der Regione Campania, die ihn von seiner härtesten Seite kennenlernen sollten – derjenigen als Verhandlungspartner und Geschäftsmann.
»Ja, Sie haben richtig gehört. Ich beabsichtige, La Gaiola samt Immobilie zu erwerben. Wobei es sich bei letzterer eher um eine Ruine handelt. Ich biete Ihnen somit die Chance, den verfluchten Klotz am Bein loszuwerden – aber im Kaufpreis müssen Sie mir weit entgegenkommen, schließlich ist die Insel derzeit nicht bewohnbar«, startete Sasse die Verhandlungsrunde.
Battaglia saß entspannt neben ihm, die Finger über dem fetten Wanst verschränkt. Mit dem eloquenten Verhandlungsgeschick des Deutschen hatte er selbst schon unliebsame Bekanntschaft gemacht, als es um die Prozente der Geschäftsanteile für sein Investment gegangen war. Ein unglaublich harter Brocken, dieser Thorsten. Dass er sich bereits im Kampfmodus befand, konnte man am hellwachen Adlerblick erkennen.
»Gibt es dort drüben Stromund Wasserversorgung?«, fragte er gerade.
»Sicher, seit den 1920-er Jahren liegt ein Stromkabel auf dem Meeresgrund, das die beiden Inselhälften mit dem Energienetz des Festlandes verbindet. Ein Wasserrohr führt ebenfalls hinüber, allerdings führt es keinen allzu hohen Druck«, nickte einer der italienischen Beamten.
Innerhalb der folgenden zweieinhalb Stunden erfuhr Thorsten alles Wissenswerte über die Liegenschaft, die er zu erwerben im Begriff stand. Einiges davon verwendete er als Argument, um den Kaufpreis zu drücken. Am Ende stand eine stolze Summe im Raum: eineinhalb Millionen Euro. Die Neapolitaner hatten eigentlich zwei gewollt. Und er hatte die Behörde dazu gebracht, die Notarkosten vollständig zu übernehmen.
Beim Hinausgehen wischte sich Enzo Battaglia den Schweiß von der Stirn. Ihm war bei den Verhandlungen heiß geworden, obwohl in Neapel jetzt, Ende Oktober, sehr angenehme Temperaturen herrschten.
»Und nun verrate mir endlich, was dich dazu bewogen hat, eine verfluchte Insel im Ausland zu kaufen. Da hast du dir eine Menge Arbeit und Kosten ans Bein gebunden, mein Junge! La Gaiola ist derzeit nur per Boot erreichbar, was bedeutet, dass man keine Baumaschinen dorthin schaffen kann.«
Thorsten grinste überheblich, reichte seinem Geschäftspartner ein frisches Papiertaschentuch.
»Nur die Ruhe, mein Lieber. Denkst du, das wüsste ich nicht? Ich sehe diese Insel bereits vor meinem geistigen Auge, so wie sie nach den aufwändigen Renovierungsarbeiten aussehen wird. Klar, ich muss sicher nochmals eine Million hineinstecken, oder sogar etwas mehr.
Aber was besitze ich danach? Meine eigene Insel in Europa, darauf eine feudale, historische Villa – und das auch noch mitten in einem Tauchparadies, in direkter Nachbarschaft antiker Kulturstätten. Wer kann sowas schon von sich sagen, wer kann sonst eine solchermaßen faszinierende Residenz sein eigen nennen? Inklusive einer äußerst bewegten Vorgeschichte?
Zudem ist mir die Aufmerksamkeit der Öffentlichkeit sicher, denn jeder wird begierig darauf warten, dass der Fluch wieder zuschlägt. Was er aber nicht tun wird, da bin ich sicher. Ich bin nicht einfältig genug, jede Kleinigkeit in diese Richtung zu interpretieren. Diese kleine Insel wird innerhalb der nächsten Monate zu einem steinernen Schmuckstück, und wenn das neue Portal nur halbwegs läuft, habe ich gewonnen. Basta.
Das Tolle daran ist, dass ich dort endlich meine Ruhe haben werde. Niemand kann die Insel betreten, ohne dass ich es weiß und möchte. Sie ist wie eine Burg, verstehst du? Da nehme ich ein paar Unbequemlichkeiten gerne in Kauf.
Falls ich Villa und Insel im Alter wieder veräußern will, wird der Fluch bis dahin längst vergessen und die Liegenschaft mindestens das Dreifache wert sein. Und da fragst du noch allen Ernstes, wieso ich zugeschlagen habe?«
*
Andrea Frantini kippte den Inhalt seiner Schubkarre auf eine für Bauschutt vorgesehene Halde, die am Rande des Plateaus langsam aber stetig emporwuchs. Der Job auf dieser winzigen Insel bedeutete pure Knochenarbeit, da man keine Kräne oder Lastwagen einsetzen konnte. Sein Polier bei der Baufirma hatte diese Tatsache am vergangenen Montag mit den Worten: Ist doch eine schöne Abwechslung. So seht ihr mal, wie die Leute früher schuften mussten und lernt die gute, alte Handarbeit vielleicht sogar schätzen quittiert.
Mit einem süffisanten Lächeln um die Mundwinkel war er pfeifend davon geschlendert. Andrea hätte diesem arroganten Großmaul am liebsten eine reingehauen. Leider brauchte er den Arbeitsplatz, um seine Frau und vier Kinder durchzufüttern.
Seit dreieinhalb Tagen beschäftigte sich der Fünfundvierzigjährige nun mit dieser sogenannten guten, alten Handarbeit, die er selbst allerdings eher als unterbezahlte Sklavenmaloche bezeichnet hätte. Seine Laune war inzwischen nicht besser geworden, ganz im Gegenteil. Der kühlfeuchte Westwind, der im Spätherbst unablässig welkes Laub über das Eiland fegte, ließ einen trotz körperlicher Arbeit bis auf die Knochen frieren.
Zum Glück hatte der neue Eigentümer der stark verfallenen Villa bislang nur eine Grundrenovierung in Auftrag gegeben, die es erlauben sollte, das Inselgelände samt Gebäude ohne Gefahr für Leib und Leben zu betreten. Zudem musste selbstverständlich der herumliegende Schutt entsorgt werden, genau wie das meterhoch wuchernde Unkraut.