Irren ist göttlich. Daniel Sand

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Irren ist göttlich - Daniel Sand

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      Im Verlauf dieses Besuches wurden zu Ehren Gottes Choräle angestimmt und rituelle Tänze dargeboten. Als die Pilger schließlich wieder aufbrechen wollten, war Thromokosch von deren Bewunderung sichtlich gerührt. Er breitete also seine Arme aus und verkündete: »Ihr seid mir die Treuesten und Liebsten. Ein Vorbild für alle anderen und die Zierde unter euch Menschen. Seid gesegnet!« Einen Moment später graste da, wo bis eben die Pilger standen, eine Herde Schafe. Thariel konnte sehen, wie sich drei Priester fassungslos gegen die Stirn schlugen. Thromokosch schien das alles nicht zu stören. Zufrieden schritt er durch die Schafsherde und streichelte hier ein Tier und kraulte dort eines.

      »So ist es brav, ja, so ist es richtig.«

      Er verließ den Raum und versuchte dabei erneut zu schweben. Erfolglos. Zurück ließ er zwölf peinlich berührte Priester, die von den Schafen vorwurfsvoll angeglotzt und angeblöckt wurden.

      »Bitte, eure Besuchszeit ist vorbei. Begebt euch schleunigst zum Ausgang und danke für den Besuch«, rief ihnen einer der Priester überfordert zu. Die Tiere wurden aus dem Raum getrieben und Thariel beeilte sich, zurück in das Gebäude des Glasmeisters zu gelangen.

      Was er da eben gesehen hatte, verstörte ihn sehr. Warum wurden ausgerechnet die treuesten Pilger verflucht? Nachdem er unbemerkt über die Leiter zurück ins Glasmeistergebäude gelangt war und nach einigem Umherirren endlich wieder in der Empfangshalle herauskam, hatten sich die Ereignisse schon herumgesprochen. Ein hagerer Priester redete aufgeregt auf die Empfangsdame ein.

      »Es ist schon wieder passiert!«, rief er, »was sollen wir nur machen, er wird immer wunderlicher.«

      Nachdenklich bearbeitete die Frau ihre Fingernägel: »Hmmm.«

      »Vor einer Woche hat er ein Faultier heiliggesprochen, als es eigentlich um Sigbert den Starken ging. Jetzt wird bald in der Allee der Helden eine Faultierskulptur neben Heribert dem Klugen und Roikvilt dem Kräftigen stehen.«

      »Hmmm.«

      »Was machen wir nur falsch?«, fragte sich der Priester kopfschüttelnd und kam zum Ergebnis, dass sie zu wenig beten würden, weswegen er schnell verschwand, um das nachzuholen.

      Thariel lief hinüber zur Empfangsdame und nahm sich vor, kühle Überlegenheit auszustrahlen.

      »Ist der Glasmeister soweit?«

      »Ja«, murmelte sie.

      »Danke.« Irritiert, aber zufrieden, dass es so problemlos ging, machte er sich auf den Weg zu ihm. Sicherheitshalber wieder auf dem komplizierten Tür-links-Tür-rechts-Tür-links-Weg. Er klopfte an und nachdem er auch nach dem zweiten Mal keine Antwort erhielt, trat er einfach ein.

      »Glasmeister?«

      Keine Reaktion.

      Düsternis füllte das graue Zimmer aus. Thariel machte einen weiteren Schritt nach vorne.

      »Glasmeister?«

      Kein Laut.

      Hier ist niemand, dachte er jetzt. Auf dem Schreibtisch stapelten sich Briefe, Notizen und alte Bücher. Und was war das auf dem Boden? Als Thariel sich hinunterbeugte, zuckte er zurück. Blut! Was war geschehen? Der Glasmeister war verschwunden, die linke Hand Thromokoschs. Vielleicht sogar tot. Thariel griff sich einen Kerzenhalter, das Messing fühlte sich kalt an in seiner Hand. Vorsichtig bewegte er sich voran, der oder vermutlich die Täter mussten noch hier sein. Das Blut war zu frisch und Ausgänge gab es nur einen: den Flur. Irgendwo versteckten sie sich und als Verstecke kamen eigentlich nur die beiden Säulen in Frage. Die Regenwolke störte ein wenig als Thariel voranging, aber das würde ihn nicht aufhalten. Er dachte daran, wie er im Sumpf die Seekatzen in die Flucht geschlagen hatte. So würde er auch hier vorgehen. Wobei er befürchtete, dass Gegner, die den Glasmeister entführten oder töteten, ein anderes Kaliber waren als flauschige Wesen auf drei Beinen, die anstelle von Zähnen mehrere süße Zungen hatten.

      »Kommt raus! Zeigt euch!«, schrie er und stürmte zu den Säulen. Noch zwei Schritte, der Kerzenhalter in der Hand schien zu glühen. Noch ein Schritt. Thariel hatte die andere Seite der Säulen erreicht. Jetzt ging alles ganz schnell, als ob er seit seiner Kindheit auf diesen Kampf vorbereitet worden war. Ein mächtiger erster Hieb ging ins Leere, der nächste auch. Ebenfalls der dritte und vierte und fünfte.

      »Geisterkrieger!«, dachte Thariel zitternd und schlug weiter erfolglos um sich. Thromokosch ist in Gefahr, die Welt ist in Gefahr, hämmerte es durch seinen Schädel. Das gab ihm die Kraft, nicht nachzulassen. In tödlicher Geschwindigkeit sauste der Kerzenhalter durch die Düsternis. Immer und immer wieder. Thariel spürte, wie ihn langsam die Kräfte verließen.

      Geisterkrieger waren schreckliche Gegner, denn sie warteten geduldig ab, bis ihre Feinde vor Erschöpfung zusammenbrachen und sie leichtes Spiel hatten. Wenn Thariel nicht bald ein vernichtender Schlag gelingen sollte, würden sie ihn vernichten. Ihm blieb nicht mehr viel Zeit. Er umfasste die Waffe so fest wie möglich und schlug mit noch mehr Wucht zu als zuvor. Einmal traf er die Säule und hinterließ eine tiefe Kerbe an ihr.

      Die Waffe lag ihm nun immer schwerer in der Hand. Erschöpft kämpfte Thariel weiter, doch wurden die Hiebe immer schwächer. Er torkelte und schließlich entglitt ihm der Kerzenhalter. Er sank auf die Knie. »Die Geisterkrieger haben gesiegt«, dachte er noch und wusste, dass sie ihn in den Flammenberg verschleppen würden. Welch tragisches Schicksal ... Er verlor das Bewusstsein.

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