Irren ist göttlich. Daniel Sand
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Dann durchquerte Thariel das Tor, ein letzter Schritt, geschafft. Mammama! Er war am Ziel. Ergriffen von diesem Moment, hielt er kurz inne. Die Stadt Gottes, Ort der Harmonie und Ursprung allen Lebens, Inspiration für ... eine Fischverkäuferin stieß Thariel zur Seite.
»Aus dem Weg, Elf!«, brummte sie.
»Ich bin kein Elf!«, rief er ihr nach, während er in die Stadt lief.
Er sah gelbe und grüne Zelte, in denen mal Gaukler und mal Heiler, mal Baumfäller und mal Schneider ihre Dienste anboten. Und in den Seitengassen ging es mit der Geschäftigkeit genau so weiter. Irgendwo spielte jemand Harfe. Thariel erhaschte einen Blick in eine Straße, in der es statt Zelten richtige Läden gab und Goldhändler ihre Türen mit falschem Gold bestrichen hatten und an Tischen voller Münzen auf Kunden warteten. Zwei Händler in blauen Mänteln standen beieinander und unterhielten sich leise. Nur eine Straße weiter zeigte sich ein vollkommen anderes Bild. Hier gab es kleine Läden, die Obst und Gemüse anpriesen. War es bei den Goldhändlern sauber und leise zugegangen, schrien hier die Verkäufer ihre Angebote heraus und wirbelten den Staub des sandigen Bodens auf. Straßenkinder griffen sich die Waren aus den Körben und rannten vor den fluchenden Verkäufern in noch engere Gassen davon.
So ging es weiter, Straße um Straße. Schon das »Erdgeschoss« von Mammama hatte die Ausmaße einer Großstadt. Thariel konnte sich nicht vorstellen, dass es hier irgendetwas nicht zu kaufen gab. Es folgten die Viertel der Wäschereien und Schuhmacher, Steinmetze und Schmiede, Weber und Fischer. Und schließlich stand Thariel auf einem Marktplatz und bestaunte den Hauptsitz der Holzbörse, einer der mächtigsten Einrichtungen der Welt.
Eigentlich handelte es sich um einen Zwillingsbau, in zwei Teile getrennt und über eine Brücke verbunden. Ihr schlanker, eichenholzbrauner Bau brachte es auf fünf Stockwerke. In ihre Fassade waren hunderte liebevoll angefertigte Holzfiguren geschnitzt worden, die als Motiv allesamt Menschen in Wäldern oder zumindest vor Bäumen zeigten. Hinter diesen verschnörkelten Mauern wurden die internationalen Holzwerte für jedes Unternehmen und jede Ware festgelegt, die es gab.13
Fast alle (der wenigen) Angriffe auf Mammama wurden durch Entscheidungen der Holzbörse ausgelöst, an der sich schlagartig verarmte Händler oder Könige rächen wollten. Eine Einrichtung gab es jedoch, die für noch mächtiger gehalten wurde und die auch der Grund für die Lücke zwischen den beiden Gebäudeteilen war: die Konditorei Maier und Tochter. Dabei handelte es sich um nicht mehr als eine Hütte mit schief hängender Tür, beschädigtem Dach und kaputten Fenstern. Sie machte den Eindruck, als ob sie jederzeit zusammenbrechen könnte, gleichzeitig stand die Konditorei Maier und Tochter aber im Ruf, so zuverlässig wie niemand sonst Kriege, Revolutionen, Umstürze und Aufstände vorhersehen zu können. Niemand wusste, wie das möglich war, doch wenn die Konditorei keine Torten mehr aus dem Nebelreich verkaufte, konnte man sich sicher sein, dass die letzte Stunde von Nebelkönig Braxmuth geschlagen hatte.
Oft standen aber auch einfach nur Namen auf den süßen Backwaren, was immer zu viel Tratsch führte. Es konnten die von Monarchen sein und ebenso die von Unbekannten, die womöglich bald jeder kennen würde oder die zumindest in Abenteuer verwickelt werden würden, von denen man sich noch lange erzählen wird. In Mammama unterhielten sich die Menschen gerne darüber, was wohl welcher Name in der Auslage bedeutete. Im Moment lagen dort unter anderem Donauwellen mit den Marzipanaufschriften »Svenus von Schwarzenberg«, »Treubarth der Drachentöter«, »Mathik«, »Boris der Xte«, »Zwergin Lana«, »Ludwig Müller«, »Tsamuel Moorgat«, »Erf Erf« und »Liebwelt von Knochenbrecher«. Kein Herrscher hörte es gerne, dass sein Name auf Torten dieser Konditorei stand und die Holzbörse wiederum hätte nur zu gerne diese Hauslücke geschlossen, aber niemand wagte es, die Konditorei Maier und Tochter zu verdrängen – obwohl es laut Mietvertrag ein Leichtes gewesen wäre, da sie seit 57 Jahren mit der Miete in Verzug war.
Thariel überquerte den Marktplatz und egal, wohin er ging, überall befanden sich Zelte und Läden, die Waren und Dienste anboten. Von vielem, was es hier gab, hatte er noch nie zuvor gehört. Gaukler zeigten Kunststücke und Riesen und Zwerge wurden als Attraktionen herumgeführt. Die Musik der Spielleute, das Geschrei der Verkäufer, das laute Feilschen, das Lachen und Schreien, all dies vermischte sich zu einer imposanten Geräuschkulisse.
Staunend spazierte Thariel weiter und weiter.
»Sie möchten ihre Kleider säubern lassen?«, fragte eine uralte, gebückte Dame, die ihre Hände schon an Thariels Hemd hatte. Kurz darauf musste er einen Jungen vertreiben, der immer wieder mit einem Tuch anfing, seine völlig ramponierten Schuhe zu putzen.
»Na, schöner Mann?«, hauchte eine junge Frau, deren Brüste nur durch ein schmales rotes Tuch bedeckt waren. Sie kam ihm ganz nah, aber er verlor sie aus den Augen, weil eine Großfamilie lärmend vorüberzog.
»Ah!«, schrie er vor Schmerz auf, als ein kleiner Drachendackel Flammen gegen seine Wade spie.
»Der macht nix!«, beruhigte das Herrchen ungerührt.
Nun stolperte Thariel zufällig in eine Gasse hinein, in der Lokal an Lokal und Restaurant an Restaurant folgte. Überall saßen Menschen und unterhielten sich lautstark, während sie tranken und aßen. Immer wieder begrub dabei das laute Lachen angetrunkener Männer alle anderen Geräusche unter sich. Irgendwo sang ein Chor von Liebe und Liebeskummer. Weil aber Thariel viel zu aufgeregt war, um Hunger zu verspüren, lief er weiter und nach der nächsten Straßenecke blieb er wie angewurzelt stehen. Vor einer Werkstatt las er das Schild Reparaturen aller Art – in 2 Stunden. Zwei Stunden? Das konnte nicht sein. Misstrauisch kam er näher. Im Eingang stand ein kräftiger Kerl, etwa so alt wie er selbst, vor einem Amboss und bearbeitete ein verbogenes Hufeisen. Auf einem Tisch sah Thariel ein Schwert liegen, das an der Klinge angebrochen war.
»Was abzugeben?«, fragte der Mann, der die Regenwolke über Thariels Kopf irritiert musterte.
»Nein! Ich betreibe selbst einen Laden für Reparaturen aller Art.«
»Alles klar.« Der Fremde konzentrierte sich wieder auf seine Arbeit.
»Wirklich alles in zwei Stunden?«
»So wie es da steht.«
»Auch wenn ich etwas so Kompliziertes abgebe wie einen ... «, Thariel fiel nichts ein.
»Wie einen was?«
Thariel fiel immer noch nichts ein.
»Nichts, ich habe nichts abzugeben, ich repariere ja alles selbst.«
»Schön.«
Der Mann legte das Hufeisen in den Korb. Es sah aus wie neu. Weiter ging es mit dem Schwert. Nach einem prüfenden Blick, hielt er die Klinge über ein Feuer. Es zischte, als der Mann es danach ins Wasser tauchte, bevor es mit Hammer und Meißel an die Feinarbeit ging. Obwohl Thariel vor Minuten das letzte Wort gesagt hatte, stand er immer noch da.
»Alles in Ordnung?«, murmelte der Reparaturist und blickte Thariel ungeduldig an. So abgelenkt verfehlte er das Schwert und traf mit dem Hammer seinen Daumen. Er schrie auf und brüllte: »Verdammt!«
Thariel nutzte die Gelegenheit, um sich zu verabschieden: »Das passiert, wenn man etwas in zwei Stunden reparieren will, statt sich Zeit zu lassen.«
Zum zweiten Mal beschimpfte ihn hier jemand als »erbärmlichen Elfen«!