Irren ist göttlich. Daniel Sand
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Читать онлайн книгу Irren ist göttlich - Daniel Sand страница 15
Von all den ersten Eindrücken erschöpft, machte Thariel sich auf die Suche nach einer Bleibe für die Nacht. Er war nicht wählerisch und entschied sich für die erstbeste Herberge, die er hinter einer Gasse entdeckte, in der vor allem Antiquarisches angeboten wurde.
Zum Trollkopf machte seinen Kunden schon äußerlich nichts vor. Die Vorhänge in den Fenstern fehlten fast alle und die wenigen vorhandenen hingen in Fetzen herab oder waren mit Blut und Dreck übersät. Vor der Türe stapelten sich Abfälle und durch die Hausmauer zogen sich meterlange Risse.
An der Rezeption im dunklen Hausflur saß eine seltsame Frau mittleren Alters, die einen antiquierten Helm mit Zweihornhorn trug. Sie schaute Thariel nicht an und murmelte nur die Zimmernummer, nachdem er bezahlt hatte. Das Treppenhaus quietschte, als wollte es jeden warnen, es nicht zu betreten. Oben angekommen, spürte Thariel bei jedem Schritt über den Flur etwas Klebriges unter seinen Füßen. Er wusste nicht, was es war, aber der zerfranste Teppichboden hatte reichlich davon geschluckt. Anstelle von Wänden trennten dünne, zerrissene Stofftücher die Zimmer voneinander. Aus irgendeinem Grund wanderten Esel und Hühner lautstark umher und ein riesiger, schwarzer Hund lag auf Thariels Strohbett, weswegen er selbst sich mit dem harten Steinboden zufriedengeben musste. Ihn störte das nicht, er war es aus dem Sumpfdorf gewohnt, hart zu schlafen und schloss bald die Augen. Als ihn etwas Feuchtes im Gesicht berührte, schreckte er hoch. Der Hund hatte das Strohbett verlassen und interessierte sich für den anderen Gast. Thariel streichelte ihm kurz über den Kopf und drehte ihm dann wieder den Rücken zu, um weiterzuschlafen. Als er das nächste Mal erwachte, zerrte ihn der Hund gerade vor Freude hechelnd durch den Flur und wedelte mit dem Schwanz.
Er befreite sich und hob drohend die Hand, aber der Köter stellte nur seinen Kopf schief und musterte ihn. Er wiederholte seine Geste, woraufhin der Hund die Zähne fletschte und zu knurren begann. Thariel sah ein, dass er hier keinen Schlaf finden würde und brach mitten in der Nacht auf.
Einsam stand der Mond am wolkenlosen Himmel und sein Wasserfall stürzte in lautloser Schönheit herab, als Thariel in die nun leere Gasse hinaustrat. In kaum einem Haus brannte noch Licht. Mammama schlief. Zumindest diese Plattform, auf der die Händler und Marktschreier, Gaukler und Bettler täglich um zahlende Kundschaft kämpften. Thariel genoss die Ruhe.
Er schloss die Augen und für einen Moment gelang es ihm, den Regen zu ignorieren, der auf ihn niederprasselte. Mitten in die Stille hinein platzte das Knurren eines Hundes. Thariel drehte sich um und sah, dass das riesige Tier gerade aus der Herberge sprang und sein Spielzeug suchte. Dann stürmte das Biest zähnefletschend los. Es wurde eine gnadenlose Jagd und hätte Thariel nicht die Erfahrung eines Lebens in den Sümpfen gehabt, hätte er den Wettlauf verloren. Es ging Gassen hinauf und hinunter, führte über Müllberge und durch einen Teich und kam erst zum Abschluss, als Thariel zum Treppenhaus rannte und die Tür verriegelte. Es hallte schwer nach, als sich der mächtige Körper des Hundes gegen die Tür warf. Thariel lief hinauf auf die zweite Plattform und ruhte sich auf einer Bank aus.
Erste Sonnenstrahlen legten sich auf die Pflastersteine, als er wieder erwachte. Die zweite Plattform bot einen ganz anderen Anblick als die erste, wie er bemerkte. Hier entspannten die Bewohner von Mammama und trieben Sport. Es schien eine einzige große Parkanlage zu sein. Erste Läufer rannten an ihm vorbei. Auf dem Gras der Ellbogenplätze lag noch der Morgentau. Überall blühten Blumen. Thariel kam an Tennis- und Golfanlagen vorbei und an fantasievoll dekorierten Landschaften. Grüne Hügel luden zum Picknick ein und ein Irrgarten zum Verirren.
Thariel verirrte sich auch prompt und fand erst heraus, als er die Nerven verlor und die liebevoll geschnittene Hecke zerstörte, um durch sie hindurch ins Freie zu klettern. Ein altes Ehepaar beobachtete ihn dabei. »Eine Riesensauerei«, fluchte der Mann.
Längst glühte die Sonne am Himmel, als Thariel sich auf den Weg zum Glasmeister machte. Obwohl er auch auf die anderen Plattformen neugierig war, nahm er die Dienste einer sieben Fuß hohen und einige Tonnen schweren Lastentaube in Anspruch, die Reisende in kürzester Zeit auf jede gewünschte Plattform brachte. Nur die elfte und zwölfte Plattform, die Thromokosch bewohnte, waren tabu und damit es auch wirklich zu keinen Landungen kommen konnte, zogen sich mehrere Reihen spitzer Metallstäbe um diese beiden Plattformen herum. Im Vorüberfliegen konnte Thariel die anderen Plattformen nur für wenige Sekunden erkennen. Dabei ergab sich für ihn folgende Reihenfolge:
Plattform 03 - lange Häuserreihen, hier lebten wohl die meisten Mammamaer.
Plattform 04 – eine Wüste
Plattform 05 – ein Zaubermarkt
Plattform 06 – Museen, Opern und der Stadtzirkus
Plattform 07 – der Sklavenmarkt, hierhin hätte Nichtadmiral Nelson ihn wohl gebracht
Plattform 08 – eine Kaserne
Plattform 09 – Der Tempel zu Ehren von Thromokosch
Als er auf Plattform 10 aus dem Korb stieg14, stand er vor einem hohen, grauen Gebäude, das praktisch die ganze Plattform ausfüllte, die hier oben allerdings auch kaum noch Fläche einnahm. Nichts an der Außenfassade hatte etwas von dem Pompösen und Farbenprächtigen, das die restliche Stadt auszeichnete. Das Grau wurde nur hin und wieder von kleinen Fenstern unterbrochen, die wie misstrauische Augenpaare die Besucher zu beobachten schienen. Das Gebäude sah aus wie ein überdimensionaler Würfel. Thariel lief eine breite Treppe hinauf zum Eingang. Zwei Soldaten hielten Wache, beide in grauen Rüstungen mit grauen Umhängen und grauen Helmen mit einem Kamm aus grauen Grauhuhnfedern. Neben ihnen standen graue Schilder und ebensolche Speere. Am grauen Gürtel hing ein graues Schwert.
»Haben Sie einen Termin?«
Mit dieser Frage verstellte die größere der beiden Wachen den Weg.
»Nein, ich muss aber mit dem Glasmeister sprechen.«
Der kleinere der Wächter lachte laut auf: »Da könnte ja jeder kommen.«
»Was ist das?«, der Große deutete mit dem Speer auf die Regenwolke. Er hatte ein rötliches und pausbackiges Gesicht, das seine Augen etwas zusammendrückte.
»Deswegen muss ich ja mit dem Glasmeister sprechen. Es ist eine Verfluchung, keine Ahnung warum.«
»Du hast was angestellt«, zischte ihn der Kleine an, den vor allem eine hervorspringende Nase auszeichnete und die etwas zu hohe Stimme.
»Ich wüsste nicht, was.«
»Hmm«, der Große kratzte sich nachdenklich mit der Speerspitze am Doppelkinn.
»Der hat was angestellt«, wiederholte der Kleine.
Mittlerweile hatten andere Lastentauben weitere Gäste nach oben gebracht. Treue Pilger aus dem ganzen Land, die Thromokosch dafür danken wollten, dass es ihn gab.
»Durchgehen«, forderte der Kleine die Religiösen mit seiner anstrengenden Stimme auf. Als sie die Regenwolke entdeckten, buhten sie und riefen »Ketzer!« und »Gefallener!« und wieder einmal »Elf!« Drei von ihnen versuchten sich sogar auf Thariel zu stürzen, was die beiden Wächter nur mit Mühe verhindern konnten.
»Durchgehen!«, forderte der Kleine die Pilger jetzt mit überschlagender Stimme auf.
»Die hatten einen Termin«, meinte er dann mit verschlagenem Grinsen zu Thariel.