Im Wahn gefangen. Hans-Otto Thomashoff
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Der Hund auf dem Arm war das vereinbarte Erkennungszeichen, aber die Wartende schien nur Sperlings Augen zu sehen, gab sich wie von ihnen hypnotisiert. Das schmeichelte ihm, traf sich auch mit der lasziven Barmusik, die den Raum erfüllte, doch Sperling mochte ihre Begehrlichkeiten nicht erwidern. Hatte ihn seine Fantasie so trügen können, fragte er sich erschrocken. Er rechnete sich nicht zu den Menschen, die nach Äußerlichkeiten urteilten, aber ihre Erscheinung übte so gar keine Anziehungskraft aus auf ihn. Er fand die Art, wie sie ihn anstarrte, aufdringlich und ohne jeglichen Reiz. Er war beruflich hier, bestärkte er sich. Der wahre Beweggrund für sein Kommen, diese undefinierbare Anziehungskraft ihrer Stimme am Telefon, schien nie existiert zu haben. Sie sog ihn förmlich auf, doch er widerstand ihr spielend leicht und zog sich zurück auf seine Rolle als ermittelnder Kriminalbeamter in einem Fall, den es gar nicht gab.
2
Die Blumenfrau sprang auf Sperling zu und redete auf ihn ein, ohne ihren Vater eines einzigen Wortes zu würdigen. Ihr Blick hing fest an seinen Lippen, und seine höflich hilflosen Versuche, sie abzuschütteln, scheiterten kläglich. Es war helllichter Tag, und sie spielten »Strangers in the Night«. Unweigerlich musste Sperling an die Fangarme des Oktopus denken, der ihm vorhin in einer Vitrine der Restaurantküche aufgefallen war. Die immer noch Unbekannte stand zu dicht vor ihm. Er hasste aufgezwungene Nähe. Der Regen feiner Speicheltropfen, den sein Vorgesetzter regelmäßig versprühte, wurde durch die Weite von dessen übergroßem Schreibtisch abgefangen, hier war es anders. Marilyn lag an Sperlings Brust, ruhig, unbeteiligt. Die Distanzlose sagte, sie liebe Hunde.
»Ist der süß, Ihr kleiner Dackel. So einen habe ich auch einmal gehabt. Aber er ist leider gestorben, es war schrecklich.«
»Entschuldigen Sie, ich denke, wir sollten jetzt …«
»Sie verstehen das sicher. Stellen Sie sich vor, ihn einfach zu verlieren.«
»Ihr Vater …«
»Mein Vater? Ach, der ist so süß, der Kleine. Lässt er sich streicheln? Wie heißt er denn?«
Während die an Reizen Arme so weitersprach, ohne dass ihr an einer Antwort auf ihre Fragen gelegen zu sein schien, streckte sie ihre Hand nach Marilyn aus. Auch der Hund entkam ihr nicht, dachte Sperling. Marilyn nahm es gelassen. Da berührte die Hemmungslose Sperlings Arm, wie zufällig und doch plump. Er schreckte zurück, reflexartig. Wo war sein sonst von Toleranz geprägtes Menschenbild angesichts der penetranten Aufdringlichkeit dieser Person? Ihm war, als müsse er sich gegen einen Angriff zur Wehr setzen, und dabei hatte er doch nur helfen wollen. Doch für die Art von Hilfe, die sie von ihm begehrte, war er nicht der richtige Mann, dessen war er sich sicher. Er gab sich Mühe, brüsk und abweisend zu wirken. Noch machte er nicht auf dem Absatz kehrt, weil ihn aus reiner Neugier interessierte, was es mit der ominösen Bedrohung auf sich haben mochte. Sie aber blieb bei ihren verbalen Belanglosigkeiten.
»Feiern Sie und Ihr süßer kleiner Hundi denn bald Weihnachten zusammen?«
»Nein, wir feiern nicht. Sie ist Jüdin, gerade konvertiert, aber …«
»Oh, er ist eine sie.« Und schon floss er weiter, der Wortschwall, in dem es für Sperling kein Halten gab. Es gelang ihm nicht, sein Anliegen vorzubringen, das ja eigentlich das ihre war. Nickend wie einer jener Plastikdackel auf der Hutablage eines Autos stand er an der Theke mit knurrendem Magen und ließ es mit sich geschehen. Er betrachtete sie, ohne ihr zuzuhören, rätselte, was einen Menschen wie sie nur dazu bewegen mochte, sich so gehen zu lassen. Ihre Körpermaße versinnbildlichten ihre ausufernde Gier, alles zu verschlingen, selbst ihn, hier vor aller Augen. In dem zaghaften Bestreben, ihr zu entkommen, setzten sich Sperlings Füße kaum merklich in Bewegung und trugen ihn in kleinen rückwärtigen Schritten zu den Blumenregalen hin, aber die mutmaßlich Wahnsinnige – hatte sie nicht selbst von der Psychiatrie gesprochen? – blieb an ihm hängen wie eine Klette. Da, wieder wurde er berührt, diesmal an der Schulter. Sperling erschrak aufs Neue, sprang zur Seite.
»Entschuldigen Sie.«
Jetzt war es gar nicht sie, die ihn antippte, sondern ein ihm engelsgleich erscheinendes Geschöpf. Herausgerissen aus seinem erfolglosen Fluchtversuch, hatte er sich umgewandt und blickte nun in zwei grünlich schimmernde Augen, deren jugendlicher Glanz eine so große Anziehung auf ihn ausübte, dass seine Wangen schamhaft erröteten.
»Sie müssen der Inspektor sein.«
»Ich? Ja. Wieso?«
»Ich hatte Sie vorhin angerufen.«
»Ach Sie waren das. Und nicht Sie?« Die zweite Frage hatte er an seine bisherige Gesprächspartnerin gerichtet, aber keine der beiden Frauen verstand ihn, und es gab eine verlegene Pause. Sperling kannte sich zwar aus auf dem glatten Parkett der Wiener Förmlichkeiten, doch wenn Konflikte in der Luft lagen, wurde es ihm zu viel und er kam zu dem Entschluss, dass er heute auf sein Mittagessen verzichten würde. »Ich, ich glaube, ich gehe dann jetzt. Es war eine absolut unsinnige Idee von mir, hierherzukommen.«
»Nein. Gehen Sie nicht.«
Wie einstudiert kam die Antwort gleichzeitig aus beider Munde. Sperlings Sympathie flog ganz der ihm himmlisch anmutenden Schönen zu, was die Gesichtszüge ihrer unvorteilhaften Gegenspielerin zum Entgleisen brachte. Nervös zupfte sich Sperling am Kragen. Er war kein Freund von Auseinandersetzungen, schon gar nicht, wenn sie seinetwegen eskalierten, und fühlte sich bestärkt in seinem Entschluss zu gehen, selbst wenn er dafür darauf verzichten müsste, die Hintergründe des ominösen Anrufs zu erfahren, und nicht nur darauf.
»Gudrun, lass uns allein. Ich habe eine Verabredung mit dem Herrn.«
Widerwillig folgte die Aufgeforderte, verschwand hinter dem Grün der dicht gestellten Topfpflanzen.
»Bitte, bleiben Sie.«
Sperling war allein mit der Anruferin, allein unter dem weiten Tonnengewölbe, inmitten der Farbenpracht tropischer Orchideen und riesig anmutender Farnwedel, umwoben von Musik, die sonst nur gewissen Stunden vorbehalten war. Sie war schön. Nicht nur ihre ebenmäßigen Züge und ihre grünlich schimmernden Augen, ihre vollen Lippen und ihr luftig wallendes offenes Haar hatten etwas unverschämt Verführerisches, es war vor allem das Direkte ihrer Art, das die Anbetungswürdige noch jugendlicher erscheinen ließ, als sie sein mochte, und etwas entwaffnend Lebendiges hatte. Sperlings Kompliziertheiten schien sie einfach zu überspringen. Der fleischfressende Kelch einer Kannenpflanze, von dem er Marilyn fernhielt, erinnerte ihn noch einmal flüchtig an die unliebsame Begegnung, der er soeben entkommen war. Worauf er sich jetzt einließ, lag außerhalb seiner Vorstellungskraft. Unvermittelt blickte die Anmutige irritiert um sich, drängte ihn in eine zwischen Sträuchern versteckte Ecke und flüsterte ihm zu: »Ich sagte Ihnen schon, ich werde verfolgt.«
Geheimnisvoll und zugleich keck sah sie ihn an, stand unter einer Vanillestaude, deren Duft betörend war. Einen kaum merklichen Augenblick lang nur lag ein zerbrechlicher Ausdruck in ihrem Blick, der Sperling signalisierte, dass sie hinter ihrer Stärke und Bestimmtheit zart war und seines Schutzes bedurfte. Er spürte, wie das die Macht seines Willens brach. Stundenlang hätte sie jetzt sprechen können, er hätte ihr nur dabei zuschauen, sich dem wohligen Kitzel, den sie in ihm weckte, aussetzen mögen. Beinahe achtlos streifte ihre Hand eine der samtenen schneeweißen Blütenspitzen, offenbar ohne dass ihr klar war, welche Wirkung sie damit auf ihn ausübte. Oder ahnte sie es doch? Warf sie nicht ihr Haar mit einem leichtfertigen Schwung zur Seite, der absichtsvoll sein musste, vom Spiel ihrer Lippen ganz zu schweigen? Ihre Worte nahm Sperling nur noch gedämpft wahr, wie durch einen Nebel