Jedermannfluch. Manfred Baumann
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»Was soll das, Isolde?« Die Stimme des jungen Mannes war scharf, er klang ähnlich gereizt wie schon am Nachmittag. »Reicht es nicht, dass du ungebeten bei unserer Vorstellung auftauchst? Spionierst du uns jetzt auch noch im Wirtshaus nach?«
Die junge Frau, es war Ariana, wie Isolde bemerkte, fasste ihren Begleiter am Arm. »Komm, Cyrano, lass es gut sein. Das bringt doch nichts!« Der andere wollte etwas einwenden, aber die junge Frau zog ihn einfach mit sich fort. Sie verschwanden in Richtung Judengasse. Isolde bemerkte die leicht irritierten Blicke ihrer Kollegen. »Hast du Zoff mit denen?«, wollte Bianca wissen.
»Ach, das sind, wenn man es so nennen will, Kollegen.« Sie machte mit der Hand eine abschätzige Bewegung. »Die gehören zum Salzburger Straßentheater. Wie man bemerkt hat, sind sie derzeit nicht gut auf mich zu sprechen. Darüber erzähle ich euch vielleicht ein anderes Mal mehr. Aber nicht heute. Jetzt wollen wir auf Folkers Geburtstag anstoßen.«
Sie ging voraus, die anderen folgten rasch nach, betraten ebenfalls das Restaurant. Der Kellner brachte sie zum reservierten Tisch. Er befragte sie sogleich nach den Getränkewünschen. An der Wand hing eine elegant gestylte Uhr. Sie zeigte 22.43 Uhr. Isolde hatte noch genau zwei Stunden und 51 Minuten zu leben. Aber das wusste sie nicht. Sie bestellte einen Aperitif mit Cranberry und einem kleinen Schuss Wodka.
6. Szene, Gegenwart
Hab immer doch in bösen Stunden
mir irgend einen Trost ausgfunden.
Der Kopf des langen Zündholzes flammte kurz auf, doch gleich darauf war er wieder verlöscht. Sie zog erneut die Schachtel auf, wählte ein anderes Streichholz. Dieses Mal klappte es. Ihre Hand zitterte zwar. Fast hatte es den Anschein, als vollführe die dreieckige Narbe auf ihrem Handrücken einen kleinen Tanz. Aber sie konzentrierte sich und schaffte es, den Docht der hellen Kerze auf der kleinen Anrichte zu entzünden. So wie jeden Abend. Die langsam pendelnde Flamme warf schmale Lichtstreifen auf das Bild, das neben der Kerze aufgestellt war. Es zeigte Gesicht und Oberkörper eines jungen Mannes. Er hatte dunkle Augen und ein schmales Lächeln. Einige Monate hatte eine schwarze Schleife die rechte obere Ecke geziert. Doch sie hatte das Band vor wenigen Tagen abgenommen und es gegen ein weißes getauscht. Sie rückte sich den gestreiften Ohrenfauteuil zurecht und nahm Platz. Dann hob sie das Glas mit dem Heidelbeerlikör. Sie hielt es zuprostend in Richtung Anrichte, wartete, bis das Licht der tänzelnden Flamme die lächelnden Augen auf dem Bild erreichten und aufhellten. Dann trank sie. In wohltuend langsamen Schlucken. Sie stellte das Glas wieder ab, lehnte den Kopf nach hinten. Ihre Augen ruhten auf dem Gesicht des jungen Mannes. So würde sie sitzen bleiben und still trauern. Bis in die Morgenstunden. So wie jede Nacht.
7. Szene, Gegenwart
Wo bist du Tod, mein starker Bot? Tritt vor mich hin.
Der Schlag traf sie von der Seite. Damit hatte sie nicht gerechnet. Sie taumelte, spürte das niedrige Geländer. Jetzt hatte sie noch genau siebeneinhalb Sekunden zu leben. Doch das wusste sie nicht. Das Handy fest in der verkrampften Rechten, versuchte sie, mit der Linken nach der kniehohen Querverstrebung zu fassen. Es gelang ihr nicht. Noch sechs Sekunden. Sie verlor das Gleichgewicht, kippte zurück. Ihr Rücken schrammte gegen etwas Hartes. Noch vier Sekunden. Sie donnerte hinunter, krachte auf den steinfesten Untergrund.
Drei. Zwei. Eins.
Dann war es vorbei.
1
Er hob den Kopf, fuhr sich wohl schon zum 20. Mal mit der Linken in das zerwühlte Haar. Der Digitalwecker auf dem kleinen Beistelltablett zeigt auf kurz vor fünf. Sollte er sich noch länger im Bett von der einen Seite zur anderen wälzen, sich gedankenlos durchs Haar fegen, gelegentlich dabei das starke Gähnen unterdrücken, wie er es schon seit zwei Stunden praktizierte? Merana hielt kurz inne. Dann richtete er sich ein wenig auf. Nein. Er bestärkte seinen Entschluss, indem er mit dem Oberkörper Schwung aufnahm und sich dann mit einem jähen Ruck aus dem Bett schnellen ließ. Die Tür des Kleiderschranks stand halb offen. Er langte nach T-Shirt und kurzer Sporthose. In der Küche schnappte er sich ein Glas Wasser. Im Vorraum schlüpfte er in die Laufschuhe, dann verließ er das Haus. Die Luft fühlte sich frisch an. Er wandte den Kopf nach Osten. Der breite goldfarbene Streifen am Himmel leuchtete schon intensiv. In einer guten Viertelstunde würde die Sonne die ersten Strahlen über den Horizont schicken, schätzte er. Auch heute würde ganz Salzburg sich über einen weiteren herrlichen Sommertag freuen dürfen. So wie schon seit gut einer Woche. Langsam nahm er Tempo auf, hielt sich nach rechts. Er würde heute eine der längeren Routen wählen, wollte noch vor der Aigner Kirche in einen Feldweg einbiegen. Normalerweise startete er seinen Morgenlauf zwischen sechs und halb sieben. Heute war er eben schon eine Stunde früher dran. Die noch weit entfernten Baumreihen waren dicht belaubt. Aber Merana kannte zwei Stellen, durch die man den Blick frei hatte auf die Konturen der Stadt, vor allem auf die herrliche Silhouette der Festung.
Vor mehr als zwei Jahrzehnten hatte er seine enge Pinzgauer Heimat verlassen, um in Salzburg ein Studium anzufangen. Es hatte nicht lange gedauert, dann hatte er die Stadt bereits zu seinem Lebensmittelpunkt erkoren. Die Luft fühlte sich angenehm frisch an. Er begann, schneller zu traben. Wie oft hatte er dieses Panorama schon erblickt? Es war ihm nie alltäglich geworden. Er war jedes Mal aufs Neue fasziniert. Genauso wie beim Anblick des mächtigen Untersberges, der sich ihm auf der linken Seite bot. Wie ein großer Wächter sah er aus, der sanft sein breites felsiges Haupt zum Schutz der Stadt anhob. Plötzlich gewahrte Merana einen mittelgroßen Hund neben sich. Der gehörte wohl zu einem der Bauernhöfe oder einem der Privathäuser der näheren Umgebung. Eine ähnliche Rasse wie die von Wendy, stellte er fest. Nur das Fell war heller. Er dachte oft an die tapfere Hündin seiner Nachbarsleute. Wenn Wendy nicht gewesen wäre, würde Merana vielleicht gar nicht mehr über Feldwege laufen können. Wendy hatte ihm damals vermutlich das Leben gerettet. Sie hatte die Gefahr gewittert und war mutig auf den Rand des kleinen Wäldchens zugestürmt, das sich hinter seinem Haus erstreckte. Er hatte damals auf die dahinhetzende Hündin mit einer schnellen Bewegung reagiert. Dadurch hatte ihn die Kugel um Haaresbreite verfehlt. Und auch seine Nachbarin, die Wendys Namen rufend hinter dem Hund herlief, hatte nichts abbekommen. Leider hatte eine weitere Kugel dann die tapfere Wendy getroffen. Zum Glück war es nur ein Streifschuss gewesen. Auch diese Kugel war für den Kommissar gedacht gewesen. Die heimtückische Schützin wollte Merana davon abhalten, seine Ermittlernase noch tiefer in den damals aktuellen Fall zu stecken. Natürlich hatte der Kommissar weiter ermittelt und schlussendlich auch die Wahrheit ans Licht gebracht. Auch dank Wendy war ihm dies möglich gewesen, die ihm durch ihr Eingreifen vermutlich das Leben gerettet hatte. Der schnüffelnde Hund neben ihm hatte offenbar genug von seiner Gesellschaft. Er bog kläffend ab, hielt auf die Häusergruppe zu, die von der Kirche und den Gebäuden des alten Schlosses gebildet wurden. Wenn es sein Dienst erlaubte, würde er bald wieder Wendy abholen und sie mit nach Hellbrunn nehmen. Sie liebte es, zusammen mit Merana durch das Gelände der weit angelegten Parks zu traben. Er liebte es auch. Selbstverständlich hielt er Wendy dabei an der Leine.
Wenn er das eingeschlagene Tempo beibehielt, würde er in einer knappen Dreiviertelstunde zurück sein. Er würde duschen und sich dann umziehen. Er würde sich ein ausgiebiges Frühstück gönnen, ehe er zum Dienst aufbrach. Sein erster Termin war für halb acht angesetzt. Polizeipräsident Hofrat Günther Kerner wollte sich noch kurz mit ihm besprechen. Es ging um das wichtige Treffen, das die Vertreter des Innenministeriums für zehn Uhr angesetzt hatten. Es gab neue Erkenntnisse zum brisanten Thema, das den gesamten Apparat der Sicherheitskräfte schon seit knapp drei Wochen intensiv beschäftigte. Angekündigt waren mögliche Terroranschläge im Umfeld der Salzburger Festspiele. Beim heutigen Treffen des Innenministeriums und bei allen sich daraus ergebenden Maßnahmen hatte der Leiter der Salzburger