Jedermannfluch. Manfred Baumann

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Jedermannfluch - Manfred Baumann

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leisten. Vielleicht waren es die Gedanken über die möglichen Szenarien der in den Raum gestellten Terrorgefahr. Vielleicht war es auch einfach das Behagen an der prachtvollen Landschaft ringsum, die sich beim Aufgang der Sonne noch intensiver präsentierte. Wie auch immer. Er begann rascher zu laufen. Seine Füße eilten in weitaus schnellerem Tempo über den eingeschlagenen Weg als beabsichtigt. Somit stand er schon zehn Minuten vor sechs unter der Dusche. Er hatte sich eben den ersten Espresso genehmigt, überlegte kurz, ob er sich nur einfache Spiegeleier oder doch ein pikantes Rührei mit Ziegenkäse und Speck zubereiten sollte, als sein Handy anschlug. Es war Abteilungsinspektor Otmar Braunberger, einer seiner engsten Mitarbeiter. Merana hörte fünf Minuten zu, dann legte er das Handy zur Seite. Es gab einen mysteriösen Todesfall, wie er eben erfahren hatte, möglicherweise handelte es sich dabei sogar um einen Mord. Thomas Brunner und seine Spezialisten aus der Tatortgruppe waren bereits unterwegs. Und der Chef der Salzburger Kriminalpolizei hatte höchstpersönlich die Ermittlungsleitung zu übernehmen. Das war ein klarer Auftrag des Herrn Polizeipräsidenten, wie Otmar Braunberger ihm versichert hatte. Um das Meeting mit den Spezialisten des Innenministeriums hatte sich ab sofort Meranas Stellvertreterin zu kümmern, Chefinspektorin Carola Salman. Der Kommissar streckte die Hand aus, drückte die Off-Taste am E-Herd. Also kein aufwändiges Rührei. Auch keine Spiegeleier. Er griff nach der leeren Tasse. Ein zweiter Espresso ging sich in jedem Fall noch aus. Dann würde er sich sofort auf den Weg machen, direkt in die Salzburger Innenstadt. Und er würde sich einen Haferflockenriegel in die Tasche stecken.

      2

      Den ersten Streifenwagen der Kollegen machte er schon am Kajetanerplatz aus, direkt vor den Pollern und der Schranke, die die Zufahrt zur Kaigasse absperrten. Er parkte sein Auto daneben. Ein uniformierter Kollege hob grüßend die Hand an die Kappe. »Guten Morgen, Herr Kommissar.«

      »Guten Morgen.«

      Er kannte den jungen Beamten. Er war österreichischer Nationalmeister im Taekwondo. Das war eine koreanische Kampfsportart, wie Merana bekannt war. Auch seine Kollegin Carola Salman war sehr versiert darin. Auch sie trug den Schwarzen Gürtel, so wie der junge Beamte. Die Stimme des Kollegen hatte einen respektvollen Ton, klang fast ehrfürchtig. Vielleicht ist das so, wenn man seinen Posten in unmittelbarer Nähe einer Kirche zu beziehen hat, dachte er. Und es war zudem ein prachtvolles Gotteshaus, das den Rand des großen Platzes säumte. Der dreigeschossige Flügelbau mit den eindrucksvollen Säulen und Pilastern erinnerte daran, dass die Kirche einst Teil einer Klosteranlange im späten 17. Jahrhundert war.

      Die hohe Tambourkuppel über dem Zentralbau schimmerte schon glänzend im Licht der Morgensonne, wie Merana bemerkte. Ja, es versprach ein schöner Tag zu werden. Zumindest, was das Wetter anbelangte. Ansonsten konnte der Kommissar noch nicht abschätzen, ob dieser Tag noch irgendeinen schönen Moment für ihn bereithielt. Immerhin befand er sich auf dem Weg zu einem Ort, an der die Leiche einer jungen Frau lag. Ob Unfallstelle oder Tatort würde sich wohl noch erweisen. Er eilte in die Gasse, sah die Fahrzeuge der Tatortgruppe, dahinter zwei weitere Streifenwägen. Der Aufgang zur Nonnbergstiege war ebenfalls mit gelben Absperrungen versehen. Auch hier waren zwei uniformierte Kollegen postiert. Zwei weitere kümmerten sich um die Passanten, die, aus der Innenstadt kommend, die Gasse entlang wollten. Einige harrten aus, wollten sich nicht weiterschicken lassen. Schaulustige, Neugierdsnasen, Merana kannte das zur Genüge aus vielen ähnlichen Situationen. Er blickte kurz nach oben. Vor einer Stunde hatte er die Festung noch aus der Entfernung gesehen, war in Begleitung eines zutraulichen Hundestrawanzers quer durch die gefällige Landschaft von Aigen getrabt. Er hatte den Anblick der mächtigen Burg genossen, wie immer. Er hätte nicht gedacht, dass er kaum zwei Stunden später sich direkt am Fuß des Festungsberges einfinden würde. Nicht, um den prächtigen Blick auf die Burg aus direkter Nähe auszukosten, sondern um einen mysteriösen Todesfall zu untersuchen. Wann bin ich diese steinernen Stufen eigentlich das letzte Mal nach oben gestiegen? Das muss vor rund einem Monat gewesen sein, überlegte er, als er die Großmutter aus dem Pinzgau bei sich hatte. Die alte Frau, immer noch rüstig, hatte es sich nicht nehmen lassen, den Weg zum Frauenkloster und weiter bis zur Festung über diesen zauberhaften Aufgang zu nehmen.

      »Nochmals einen guten Morgen, Martin.«

      »Hallo, Otmar.« Der Abteilungsinspektor erwartete ihn auf einer der ersten Stufen. Er reichte ihm die Hand. »Was für ein prächtiger Sommermorgen. Es wäre weitaus angenehmer, an den Wolfgangsee zu fahren. Aber was machen wir? Wir begeben uns zu einem Platz, an dem eine Leiche liegt. Kannst du mir schon mehr über die Tote sagen als vorhin am Telefon?«

      »Zumindest haben wir die offizielle Bestätigung. Bei der Toten handelt es tatsächlich um Isolde Laudess.«

      Also doch. Laudess. Er hatte schon befürchtet, dass es stimmte. Dabei handelte es sich nicht einfach um irgendeinen Namen. Laudess. Dahinter verbarg sich viel. Der Name kündete von Erfolg und Ruhm. Von großer Publikumsbegeisterung genauso wie von nahezu hymnischem Kritikerzuspruch. Und das nicht nur in Salzburg während der Festspielzeit, sondern das ganze Jahr über im gesamten deutschsprachigen Raum. Allerdings war die geballte Aufmerksamkeit dabei nicht auf den Vornamen Isolde gerichtet. Die frenetische Begeisterung galt Senta Laudess, der derzeitigen Buhlschaft bei den Salzburger Festspielen. Senta Laudess, gefeierter Star auf den Bühnen bedeutender Theaterhäuser. Dazu kam eine Reihe glänzender Auftritte in Film- und Fernsehproduktionen. Nicht wenige davon mit großen Preisen ausgezeichnet. Genau darauf hatte auch der Chef Bezug genommen. Merana hatte noch während der Herfahrt mit ihm telefoniert.

      »Immerhin geht es hier um die Schwester der großen Senta Laudess, der von allen gefeierten Buhlschaft im heurigen Festspiel ›Jedermann‹. Da will ich überhaupt keine Diskussion, Martin. Ich wünsche, dass sich der Chef unserer Kriminalpolizei höchstpersönlich genau dieses Falles annimmt. Um die oberschlauen Kollegen aus dem Innenministerium soll sich gefälligst Carola kümmern. Das schafft sie locker. Wer weiß, ob es tatsächlich neue Verdachtsmomente gibt, wie sie behaupten. Oder ob die Herren Terrorspezialisten wieder einmal das Gras wachsen hören, wo noch nicht einmal die Spitze eines Halms aus dem Boden hervorlugt. Du wirst dich gefälligst um die rasche Auflösung dieses Verbrechens bemühen, Herr Kommissar. Eine junge Frau liegt tot am Aufgang zum Nonnbergkloster. Und dabei handelt es sich nicht um irgendein dahergelaufenes Salzburger Mädel, sondern um die Schwester der Salzburger Buhlschaft. Du bist ja gewissermaßen Stammgast im Festspielbezirk, kennst dich in jedem Winkel des Festspielhauses aus, bist mit allen dort per Du. Genau so einen Mann brauchen wir jetzt, um den Fall im Höchsttempo aufzuklären. Immerhin blickt die halbe Welt nach Salzburg wegen der berühmten Festspiele, in diesem Sommer noch mehr als sonst.«

      Wie immer hatte sein Chef maßlos übertrieben. Dass die kulturinteressierte Welt ihre Aufmerksamkeit heuer noch stärker als sonst auf Salzburg richtete, stimmte schon. Immerhin feierten die Festspiele ein großes Jubiläum. Aber dass er, Martin Merana, »gewissermaßen Stammgast« im Festspielbezirk wäre, traf einfach nicht zu. Gut, der Zufall hatte ihn in den letzten Jahren immer wieder mal in diese Szenerie geführt. Er hatte den Mord an einer bedeutenden Sängerin aufgeklärt, an der gefeierten Darstellerin der Königin der Nacht in Mozarts »Zauberflöte«. Und davor war es ausgerechnet das »Jedermann«-Spektakel gewesen, das Merana erstmals in beruflichen Kontakt mit den Salzburger Festspielen brachte. Auf der »Jedermann«-Bühne war der bekannte Schauspieler Hans Dieter Hackner gelegen. Mit einem nachgemachten Renaissancedolch in der Brust. Und Merana musste sich damals die Frage stellen, wer um alles in der Welt ausgerechnet Hackner, dem gefeierten Darsteller des Todes, den Tod geschickt hatte. Er hatte die Frage schließlich beantworten können. Aber das war es schon im Großen und Ganzen gewesen, was ihn bei seiner Ermittlungsarbeit ins Reich der Festspiele geführt hatte. Keine Rede davon, dass er sich »in jedem Winkel« des ohnehin äußerst unübersichtlichen riesigen Festspielhauses auch nur halbwegs auskannte. Und die Anzahl der Menschen, mit denen er im Laufe seiner Arbeit auf das Du-Wort gekommen war, ließ sich locker an den Fingern einer Hand abzählen. Auf keinen Fall zählte da jemand aus dem Kreis der verantwortlichen Persönlichkeiten dazu. Er war mit einem der Beleuchtungsmeister per Du und noch mit ein paar gewiss sehr fachkundigen, aber eher unauffälligen

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