Jedermannfluch. Manfred Baumann
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Er wollte nicht näher darauf eingehen, dass es nicht direkt auf den Stufen der Treppe war, wo man den Leichnam fand, sondern in einem der Freiräume zwischen Stiege und Hausmauer.
Sie verschränkte die Finger, stützte ihr Kinn darauf. Der Ausdruck der Vitalität war wieder längst verschwunden. Das Schimmern in den Augen zeugte von Trauer. »Ich hätte sie doch begleiten sollen«, flüsterte sie. »Ich hätte mich besser nicht schon vorher von ihr verabschiedet, um in meine Gasse abzubiegen. Vielleicht würde Isolde dann noch leben.« Sie senkte das Gesicht. Ihr Körper fing leicht zu beben an.
»Sie waren mit Ihrer Schwester gestern nach der Aufführung noch beisammen?«, fragte er und hoffte, dass sein Tonfall neutral klang und nicht überrascht.
»Wie spät war es, als Sie sich in der Kaigasse von Ihrer Schwester verabschiedeten?«
»Das muss so gegen halb zwei gewesen sein. Wir wollten beide heim.«
Er dachte nach, stellte sich die Szene vor. »Sind Ihnen zu dieser Zeit andere Passanten untergekommen?«
Sie schüttelte langsam den Kopf. »Nein, soviel ich mich erinnern kann, waren wir ganz allein. Nur anfangs auf Höhe der Chiemseegasse begegneten uns zwei Leute, aber die waren stadteinwärts unterwegs. Es war gestern ohnehin so gut wie nichts los. Die nächtliche Stadt wirkte nahezu ausgestorben. Manchmal ist das offenbar so in Salzburg, sogar mitten im Sommer. Das habe ich auch Isolde gegenüber erwähnt, als wir das ›K+K‹ verließen und über den Waagplatz schlenderten.«
»Sie waren gemeinsam im ›K+K‹?«
»Ja.« Es habe gestern eine kleine, eher improvisierte Feier gegeben, erklärte sie. Sie waren wie immer nach Ende ihres Auftrittes in die Garderoben im Großen Festspielhaus gebracht worden. Die anderen waren dann schon vorausgegangen. Sie hatte noch etwas zu erledigen und war etwa eine halbe Stunde später nachgekommen. Einer der jungen Kollegen aus der Darstellergruppe der Tischgesellschaft hatte gestern Geburtstag und deshalb zu einem Umtrunk mit kleiner Jause geladen. Außer dem Geburtstagskind, ihr und Isolde seien zwei weitere Personen dabei gewesen. Die beiden männlichen Kollegen seien nur kurz geblieben, bald aufgebrochen, nachdem sie selbst im Restaurant erschienen war. Sie nannte ihm die Namen der Beteiligten.
»Nur Bianca und Folker sind etwas länger geblieben. Sie saßen noch am Tisch, als Isolde und ich aufbrachen.«
Merana hatte sich die Namen notiert. Gleich nach der Unterredung würde er eine Nachricht an seinen Abteilungsinspektor schicken. Otmar möge sich der Teilnehmer der improvisierten Geburtstagsfeier annehmen, sie zum Verlauf des gestrigen Abends befragen.
»Sie haben sich an der Abzweigung zur Krottachgasse getrennt, sagten Sie. Die Wohnung Ihrer Schwester liegt in der alten Nonntaler Hauptstraße, wie ich erfahren habe.«
»Ja, das stimmt, Herr Kommissar. Es ist die Wohnung, die unserer Mutter gehörte. Auch ich bin dort aufgewachsen. Wir zogen ein, als ich acht Jahre alt war.«
»Die Wohnung liegt, der Hausnummer zufolge, gleich am Beginn der Straße. Wenn Ihre Schwester heimwollte, wie auch Sie vorhin erwähnten, warum wählte sie dafür einen viel weiteren Weg. Über die Route Kaigasse, Kajetanerplatz, Schanzlgasse wäre sie doch viel schneller zu Hause gewesen.«
Ihr Mienenspiel änderte sich. Das traurige Schimmern ihrer Augen wurde überdeckt von einem mädchenhaften Lächeln.
»Das ist ganz einfach zu erklären, Herr Kommissar. Kennen Sie den Weg über die Nonnbergstiege?«
»Ja.«
»Mögen Sie ihn?«
»Ja, sogar sehr. Ich liebe die Nähe zum alten Kloster, auch die zur alten Festung. Und die Ausblicke auf die Stadt, die man dort bekommt, sind einfach überwältigend.«
Ihr Lächeln wurde stärker.
»Isolde hätte es nicht besser beschreiben können. Sie liebte es, den Heimweg aus der Stadt über die alte Nonnbergstiege zu nehmen. Das war schon immer so.
Selbst, als sie noch ein Kind war. Ihnen ist sicher die markante Stelle direkt gegenüber der Klosterkirche bekannt.«
»Selbstverständlich. Dort bin ich gewiss schon sehr oft gestanden und habe den Blick Richtung Süden genossen.«
»Isolde auch, wahrscheinlich Hunderte Mal. Ich kann mich noch erinnern, als sie, da war sie vielleicht sieben, die alte Platane erklimmen wollte, um noch eine bessere Aussicht zu erhalten.«
Sie schloss die Augen. Vielleicht ließ sie im Inneren die eben geschilderte Begebenheit nochmals ablaufen, zur Erinnerung an ihre Schwester, die damals wohl ein glückliches Kind mit sieben Jahren war und die jetzt als lebloser Körper in einer der Kühlboxen der Salzburger Gerichtsmedizin lag.
Er wartete. Er ließ ihr Zeit, behutsam aus ihren von glücklichen Momenten überstrahlten Erinnerungen wieder in die harte Realität zurückzukommen.
Immerhin hatte sich nunmehr eine der Fragen geklärt, die ihm und gewiss wohl auch seinem Kollegen Otmar durch den Kopf schwirrten. Isolde Laudess hatte den Weg über die Nonnbergstiege gewählt, weil sie das immer so machte. Egal, zu welcher Tageszeit. Er nahm wahr, dass sie langsam wieder ihre Augen öffnete.
»Entschuldigen Sie, Herr Kommissar, jetzt kann ich mich wieder ganz Ihren Fragen widmen.«
Er wollte ihr trotzdem noch etwas Zeit geben. Er deutete mit der Hand zum Fenster, durch das man den traumhaften Ausblick auf den Kapuzinerberg hatte.
»Die Salzburger Festspiele haben Ihnen wirklich eine wunderbare Wohnung zur Verfügung gestellt, Frau Laudess. Dass Sie heuer in Salzburg zugegen sind, freut nicht nur die Festspiele, sondern auch viele Salzburger und Salzburgerinnen, wie ich weiß. Immerhin waren Sie schon sehr lange nicht mehr in Ihrer Geburtsstadt, wenn ich richtig informiert bin. War es für Sie von Anfang an klar, dass Sie ein Appartement beziehen würden? Hätten Sie auch bei Ihrer Schwester wohnen können? Oder wäre das nicht möglich gewesen?«
Es kam ihm vor, als würden plötzlich ihre Augen überschattet. Nur ganz kurz.
Dann war ihr Antlitz schon wieder in jene freundliche Miene gekleidet, mit der sie ihn auch begrüßt hatte. Sie löste die verschränkten Finger, griff nach ihrem Glas.
Sie trank es zur Hälfte aus. Dann blickte sie ihn direkt an.
»Ich will gar nicht lange um den heißen Brei herumreden, Herr Kommissar. Außerdem werden Sie im Zuge Ihrer Recherchen gewiss auf den einen oder anderen Hinweis stoßen. Eine abfällige Bemerkung im Internet ist gewiss leicht zu finden, eine Andeutung von irgendjemandem aus der Kollegenschaft schnell geliefert. Und es ist ja nicht so, dass Ähnliches nicht auch in anderen Familien vorkommt. Ich spreche es also lieber selber ganz klar aus. Isolde und ich verstehen uns …« Sie zuckte kurz zusammen. Er wartete, ob der Hauch des Schattens sich wieder zeigen würde. Doch sie sprach schon weiter, im gleichen Tonfall. Nur in den Augen vermeinte er wieder die Trauer zu erkennen. »Entschuldigen Sie, bitte, es muss wohl heißen, ›verstanden uns‹. Aber es fällt mir schwer, die unvorstellbar brutal hereingebrochene Wahrheit zu akzeptieren, dass Isolde nicht mehr am Leben ist. Und dass wir genau genommen nur Halbschwestern waren, macht es um keinen Deut leichter.« Wieder griff sie nach dem Glas, nahm einen tiefen Schluck.
»Also dann. Isolde und ich, wir verstanden uns nicht allzu gut. Das war schon in unserer Kindheit so. Mein Vater starb, als ich drei war. Als