Das Erbe des Bierzauberers. Günther Thömmes
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Читать онлайн книгу Das Erbe des Bierzauberers - Günther Thömmes страница 13
Er fragte sich, wie weit entfernt dieser Turm zu sehen sei, »vielleicht sogar über das Rheinufer hinweg«.
Grundsätzlich waren die Voraussetzungen für die Aufnahme in das Brauhandwerk nicht nur in Straßburg, sondern in jeder Stadt des Reiches außergewöhnlich hoch gesteckt. Die beiden wichtigsten Voraussetzungen fehlten Georg von Anfang an: der Nachweis der ehelichen Geburt – sein Nachname ›Esposito‹ dokumentierte dies sogar anschaulich – und der Besitz des Bürgerrechts. Daniel ignorierte dies, obwohl ihm im Gegensatz zu Georg dieser Makel bewusst war, und setzte sich über die alten Regeln hinweg, indem er Georg mehr und mehr in seine Geheimnisse einweihte.
Vor der großen Elsässer Frostkatastrophe war das Recht, ein Brauhaus zu errichten und zu führen, nur an einflussreiche und wohlhabende Bürger, die auch Grundstücksbesitzer waren, verliehen worden. Da diese Brauherren ihr Privileg jedoch in der Regel nicht selber nutzten – ihre städtischen Ämter ließen dies nicht zu –, sondern die Arbeit von Lohnknechten und Gesellen ausführen ließen, hatte sich aus diesen ein ebenfalls privilegierter Berufsstand herauskristallisiert: der der Braumeister, denen es sehr bald gelungen war, ihren Berufstand streng abzuschirmen und gegen Neulinge von außerhalb zu verteidigen.
Nach der Katastrophe waren die Regeln etwas aufgeweicht worden, weil mehr guter Nachwuchs benötigt wurde, als die eigenen Reihen hergaben.
Daniel Fischer war jedoch auch hier die Ausnahme, weil er nicht bei einem Straßburger Brauherr gearbeitet hatte, sondern sich gleich mit eigenen Mitteln sein eigenes Brauhaus errichtet hatte. Seine Kenntnisse hatte er von einigen nützlichen Reisen, die er als junger Mann unternommen hatte. Er kam insofern nicht aus dem eigenen Nachwuchs, hatte sich aber mittlerweile den Respekt der anderen Brauer erworben.
Der aber nicht unbedingt auf Gegenseitigkeit beruhte, weswegen Daniel auch nicht daran dachte, eine Erlaubnis zu Georgs Ausbildung einzuholen.
Je mehr Zeit verging, je besser Georg das Bierbrauen beherrschte, desto mehr sah er in Georg den Sohn, den er wohl niemals selber zeugen würde können. So hatte ihm eine Wahrsagerin vor Jahren prophezeit. Und ein Medikus, den er aufgesucht hatte, hatte diese Diagnose bestätigt. Sonja schien es egal zu sein, er hatte ihr gegenüber seine Bedenken jedoch noch nicht geäußert.
Georg lernte viel in dieser Zeit. Viele Menschen aus ganz Europa besuchten Straßburg, darunter Pilger und Wallfahrer, Kaufleute und Ritter, aus Frankreich, sogar aus Spanien und den Niederlanden kamen sie an den Rhein. Daniel hatte ihm einmal erzählt, dass in den letzten 100 Jahren in der Diözese Straßburg über 30 neue Wallfahrtsorte entstanden waren, darunter mehr als die Hälfte Marienheiligtümer mit sogenannten Hostienwundern.
»Sollen die Narren doch kommen und ihr gutes Geld bei uns lassen«, hatte der wenig fromme Brauherr oft genug gelästert.
Das Völkergemisch, das sich in der Schankstube drängelte, die fremden Sprachen und der Anblick fremd aussehender Menschen boten Georg viele Möglichkeiten, Erfahrungen zu sammeln. Er nutzte sie redlich.
Bertram
Wieder einmal war er verprügelt worden, wieder einmal verfluchte er sein Schicksal.
Zwei Tage lang hatte er jeweils zwölf Stunden lang mit einem nicht sehr scharfen Messer Eimer um Eimer voller Runkelrüben klein geschnitten. Kurze Pausen für ein karges Essen, das Dieter de Foro ihm mehr hingeworfen als -gestellt hatte, dann ging es weiter.
Als er fertig war, hatte er seinen Lohn eingefordert und nach weiterer Beschäftigung gefragt.
Hohnlachen und eine Tracht Prügel waren die Antwort gewesen.
»Soll ich dir den Rest deines Gesichts auch noch verunstalten? Reicht dir deine Nase noch nicht?«
Jetzt saß er am Straßenrand und weinte.
Mehr über die erneute Demütigung als über die Verletzungen.
Er konnte es einfach nicht glauben: Sogar ein Mitglied der städtischen Hochgerichtsbarkeit setzte sich über Recht und Anstand hinweg und verweigerte ihm seinen verdienten Lohn!
Dieter vom Markte war allerdings nicht so geschickt im Austeilen gewesen wie Daniel Fischer, und daher hatte er davonlaufen können.
Er war vom Pech verfolgt und wusste nicht, warum.
Während er sich in Selbstmitleid erging, erkannte er plötzlich mit glasklarem Blick, dass er einfach nicht wehrhaft genug war.
Emmerich hatte ihn zwar als Begleiter akzeptiert, er hatte seine Wehrhaftigkeit während der Reise jedoch nicht unter Beweis stellen müssen.
Er war kräftig, aber es fehlte ihm sowohl an Selbstbewusstsein als auch an ordentlicher Bewaffnung und Erfahrung im bewaffneten wie im unbewaffneten Kampf.
Ein Ruck ging plötzlich durch ihn, als er beschloss, dies zu ändern.
Das wenige, was er darüber wusste, hatte er von Emmerich gelernt.
Lange Zeit waren die Ritter das Maß aller Dinge in perfekter Bewaffnung gewesen. Mit Schwert, Schild und Lanze war ein guter Ritter praktisch unbesiegbar gewesen.
Dies hatte sich in letzter Zeit dramatisch geändert. Der Niedergang des Rittertums war nicht zuletzt auch neuen Waffen geschuldet. Langbogen und Armbrust konnten mit ihren schnell verschossenen Pfeilen und Bolzen auch stärkste Rüstungen durchschlagen. Ein geübter Bogenschütze konnte einen Ritter zur Strecke bringen, lange bevor dieser den Schützen attackieren konnte. Auch ein Verbot des Papstes für diese unritterlichen Waffen hatte nichts genützt. Es war weitgehend ignoriert worden.
Bertrams Entschluss stand fest: gute Waffen mussten her, bevor er sich wieder mit anderen Menschen einließ. Einen Dolch hatte er sich von dem Geld für Emmerichs Dienste bereits beschafft. Mittelgroß, mit schlanker Klinge, jedoch scharf geschliffen, mit einem schwarzen Griff aus Messing, den er mit Leder umwickelt hatte. In einem kleinen Futteral steckend, band er ihn sich jetzt an der Wade fest, bevor er seine Schnürstiefel – die andere Neuanschaffung von Emmerichs Lohn – darüberzog. Damit sollte im Notfall das Überraschungsmoment auf seiner Seite sein.
Eine mittelgroße Armbrust, die bräuchte er noch. Und Übung im Kampf.
Emmerich und seine Gruppe waren schon weitergereist. So gab er sein letztes Geld für einen Beutel mit Wegzehrung aus, dann verließ er Bitburg durch das Kölner Tor. Allein, voll Hass und zu allem entschlossen.
Er musste nicht lange warten, bis er ein Objekt zum Üben gefunden hatte. Hinter Nattenheim traf er auf einen Schäfer, der mit seiner kleinen Herde am Wegrand stand. Der mittelgroße, schwarzbraune Hund bellte ihn fröhlich an, nicht ahnend, wen er da anbellte.
Der Gruß des Schäfers wurde nicht erwidert. Wortlos ging Bertram auf den Hund zu, nahm seinen Dolch, packte den Hund am Hals und schnitt ihm kurzerhand die Kehle durch.
Blut spritzte, als das Messer weich durch das Fleisch des Hundes glitt, der Schreck ging ihm anfangs durch Mark und Bein, schließlich war es das erste Mal, dass er bewusst ein Lebewesen tötete, und dieses dazu noch ohne Grund.
Der Schäfer, ein älterer Mann, dessen Gesicht von einem großen Hut verdeckt war, schrie auf und ging, mit seinem Stab vor sich her fuchtelnd,