Das Erbe des Bierzauberers. Günther Thömmes

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Das Erbe des Bierzauberers - Günther Thömmes

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sie in einem Dorf, Michel packte seine Gerätschaften aus, plauderte mit den Bewohnern, verkaufte Medizin, kurierte Wehwehchen und führte gelegentlich sogar eine kleine Operation durch. Er wurde oft mit klingender Münze bezahlt, manchmal jedoch gab es auch ein Huhn, einen Schinken oder ein schönes Stück Käse als Lohn für seine Arbeit.

      Er mied die größeren Städte.

      »Da sind wir Bader nicht immer so angesehen. In den Städten gibt es Medizi, die wollen uns am liebsten immer gleich zum Stadttor hinausjagen. Und solange es hier genug zu tun gibt, brauche ich nicht in die Städte zu gehen.«

      Wochenlang fuhren sie in Süddeutschland herum, ohne dass Georg eine Ahnung hatte, wo sie sich befanden. Aus Wochen wurden Monate, aus Monaten Jahre. Gelegentlich schnappten sie Neuigkeiten auf der Straße auf, wie zum Beispiel, dass 1467 der Herrscher von Burgund, Phil­ipp ›der Gute‹ gestorben war. Sein bereits mitregierender Sohn Karl ›der Kühne‹ hatte sogleich seine Nachfolge angetreten.

      Georg lernte, was Michel ihm beibringen konnte, dazu gehörte neben dem Anrühren von mehr oder weniger vertrauenerweckenden Rezepturen auch ein wenig Lesen und Schreiben sowie Zählen und Rechnen.

      »Wer nicht zählen und Münzen zusammenrechnen kann, wird immer behumst«, sagte Michel regelmäßig. ›Behumst‹ war eines seiner Lieblingswörter. Georg hatte es vorher noch niemals gehört. Hier, in Michels Welt, wurde grundsätzlich jeder von jedem behumst.

      »Du musst lernen, aufzupassen. Die Welt ist schlecht und will meist nur dein Geld, so du welches hast. Und wenn du welches hast, achte genau darauf, wie viel du ausgibst und an wen.«

      Für Georg waren diese Lektionen wertvoller als die, die mit Michels Handwerk zu tun hatten. Sie verstanden sich gut, Michel schimpfte zwar bisweilen, war aber nicht nachtragend, wenn Georg einen Fehler gemacht hatte. Dieser beherrschte das Bader-Handwerk bald perfekt, zumindest vom Standpunkt des Gehilfen aus.

      Es lief aber nicht immer gut. Manchmal war ein Patient nach einer Operation verstorben, oder eine Medizin, die Michel beim letzten Besuch verkauft hatte, hatte nicht die erhoffte und versprochene Wirkung gezeigt. Dann gestaltete sich ein erneuter Besuch im Dorf schwierig. Beschimpfungen und Drohungen wurden gerufen, und bevor die Dorfbewohner handgreiflich werden konnten, ergriffen sie die Flucht. In solchen Fällen murmelte Michel noch stundenlang Verwünschungen vor sich hin und verfluchte sein schlechtes Gedächtnis.

      »Ich sollte mir besser merken können, wo ich welche Tinktur verkauft habe und wem ich wo das Bein aufgeschnitten habe. Das würde mich und uns davor bewahren, in einen solchen Schlamassel erst hineinzugeraten.«

      Tätliche Angriffe blieben aber aus, und so erfreuten sich alle drei bester Gesundheit, als sie im Frühling des Jahres 1468, vier Jahre, nachdem Michel Georg und Fafnir von der Straße aufgelesen hatte, nach einem Aufstieg durch einen dichten Nadelwald unversehens auf einer Anhöhe standen und Zeugen eines wahrhaft fantastischen Sonnenunterganges wurden. Die letzten zwei Tage hatte es heftig geregnet, und jetzt hatte die untergehende Sonne im Westen einen blutroten Saum über den wolkenlosen Horizont gelegt. Davor lag ein weites Tal mit steilen Hängen und einem großen Fluss mittendrin. Es war ein großartiger Anblick, den Georg nie wieder vergessen sollte.

      »Das ist der Rhein, der größte Fluss in unserem ganzen Land!« erzählte Michel stolz, als wäre er der Eigentümer. »Ich war schon seit ein paar Jahren nicht mehr hier.«

      Georg war überwältig von der Breite des Flusses, dem Tal, durch das er floss, überhaupt von der ganzen Landschaft. Schäumend und voll mit Schmelzwasser, das der Frühling aus den Bergen mitbrachte, wälzte sich der Rhein durch sein Bett. Niemals hätte sich Georg so etwas Gewaltiges vorstellen können. Das größte Abenteuer seines Lebens war, mit der Fähre überzusetzen. Er hatte furchtbare Angst, war jedoch andererseits fasziniert davon, über diesen riesigen Fluss zu fahren. Fafnir bellte und war begeistert, hauptsächlich deswegen, weil die Gerätschaften an Michels Karren während der Überfahrt klapperten und lärmten.

      Drüben angekommen, hielten sie sich nach Süden, sie fuhren durch viele Dörfer, in denen die Menschen Weinreben anbauten. Überall gab es etwas zu tun.

      Michel kehrte häufig in Gasthöfen ein und trank auch gerne mal ein Glas Wein über den Durst. Je wärmer es wurde, desto durstiger wurde er.

      Er achtete nach wie vor darauf, dass er seine Arbeit ordentlich erledigte, aber manchmal war es schon lustig anzuschauen, wie er mit hochrotem, wackelndem Kopf schwankend auf seinem Karren saß und Trinklieder sang.

      Auf ihrem Weg weiter rheinaufwärts sahen sie am Straßenrand zusammengekrümmt ein Bündel Mensch liegen. »Schauen wir einmal nach, was mit dem los ist«, sagte Michel. »Nicht, dass der überfallen und totgeschlagen wurde.« Sie stiegen vom Bock, beugten sich herunter und drehten den Körper um, der daraufhin ein schmerzvolles Gejammer hören ließ. »Na, zum Glück ist er nicht tot. Was ist mit dir geschehen?«, fragte Michel den Jungen, der immer noch kein Wort gesagt hatte. Er schaute ihn genauer an und sah überall Spuren von Schlägen, die Hände und Arme bluteten, der Kopf war voller Beulen. Michel riss ihm die Reste des sowieso nur noch in Fetzen herunterhängenden Hemdes vom Oberkörper und stieß einen überraschten Schrei aus. Der bestenfalls 14-jährige Junge sah aus, als hätte ihn jemand zu Tode prügeln wollen. Am ganzen Oberkörper gab es keine Stelle, die nicht malträtiert worden wäre.

      »Wer ist das gewesen?«, fragte Michel, in dem Zorn aufwallte. Auch wenn es ihm Kundschaft brachte, diese Art von Gewalttätigkeit verabscheute er zutiefst.

      Seltsam blassblaue Augen, die beinah durchsichtig wirkten, schauten ihn fragend an. Die kurzen, unregelmäßig stoppeligen Haare des Jungen sahen aus, als wären sie zuletzt mit einem sehr stumpfen Messer gestutzt worden.

      »Und warum?«, vollendete Michel seine Frage.

      Endlich öffnete der Junge den Mund: »Daniel Fischer!«, waren die beiden einzigen Worte, die er herausbrachte, bevor er erneut zusammenbrach.

      Michel und Georg räumten schnell einen Teil des Wageninhalts beiseite, hoben ihn vorsichtig hinten drauf und betteten ihn behutsam. Michel behandelte die schlimmsten und offensichtlichsten Wunden und flößte ihm einen Schluck Wein ein.

      »Das wird alles wieder heilen«, beruhigte er den Jungen.

      »Nur deine Nase, die hat es schlimm erwischt.« Die war in der Tat regelrecht schräggehauen worden. Ohne Zweifel gebrochen, würde sie nie wieder gerade stehen.

      Michel versuchte, die Nase ein wenig zu richten, erntete aber nur Schmerzgeschrei und hörte bald wieder auf.

      »Das wird er überleben. Es gibt Schlimmeres als eine krumme Nase.«

      Während der folgenden Stunden der Weiterfahrt schlief Daniel Fischer tief und fest. Zur nächsten Rast öffnete er die Augen und sah bereits erheblich besser drein als vorher.

      »So, Daniel, nun erzähl mal genau, was dir passiert ist.« Michel platzte fast vor Neugierde.

      »Mein Name ist nicht Daniel, wie kommt ihr darauf?«, sagte der Junge. »Ich heiße Bertram und bin Brauergehilfe. Besser gesagt, ich war es, bis heute morgen. Und zwar bei Daniel Fischer.«

      »Ist das der Kerl, der dich so zugerichtet hat?«

      Bertram nickte.

      »Na, mit dem sollten wir mal ein ernstes Wort reden. Wo finde ich den Mistkerl?«

      »In Straßburg, aber das ist nicht der Ort, wo ich wieder hin zurückgehen möchte.«

      »So,

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