Tödliche Klamm. Mia C. Brunner
Чтение книги онлайн.
Читать онлайн книгу Tödliche Klamm - Mia C. Brunner страница 4
»Ähm«, räusperte er sich schließlich erneut, rieb sich nervös mit der linken Hand den Nacken und griff mit der rechten bereits wieder nach dem Türgriff. »Entschuldigung – falsche Tür.« Er verließ den Raum genauso hektisch, wie er ihn betreten hatte. Hinter ihm schlug die Tür krachend ins Schloss.
»Hauptwachtmeister Götze hat mich ja bereits vorgewarnt«, bemerkte Kern amüsiert. »Forster hat heute seinen ersten Arbeitstag nach seinem Urlaub. Der arme Kerl hat vermutlich gerade erst erfahren, dass seine Verflossene jetzt seine Kollegin ist.«
»Tut mir leid«, sagte Jessica und wusste doch nicht, wofür sie sich eigentlich entschuldigte.
»Kein Problem.« Kern schickte Jessica mit einer Handbewegung wieder auf ihren Platz an ihren kleinen Schreibtisch, lehnte sich in seinem rückenschonenden Sessel zurück und schloss erneut die Augen. »Ich hoffe nur, so etwas passiert jetzt nicht alle naslang. Ich hab hier oben nämlich gern meine Ruhe.«
»Ich hab gedacht, du weißt es, Chef.« Berthold sah bedrückt aus. So zusammengesunken, wie er auf dem Stuhl vor Hauptkommissar Forsters Schreibtisch saß, wirkte er trotz seiner immensen Körpergröße von 2,10 Meter beinahe klein und zerbrechlich. »Hat Hauptwachtmeister Götze denn nichts erzählt?«
»Götze hat überhaupt nichts gesagt, verdammte Scheiße«, fluchte Florian und ließ sich hinter dem Schreibtisch auf seinen Bürostuhl fallen.
Er hatte sich benommen wie ein Trottel eben im Büro vom alten Kern. Natürlich wusste er, dass das Kommissariat einen Nachfolger für den Kollegen Jakob gesucht hatte. Florian hatte insgeheim schon befürchtet, Götze würde Berthold an die Seite von Kern setzen und ihm selbst dann einen neuen Anfänger zuordnen. Florian wusste, dass Hauptwachtmeister Götze die Frischlinge ungern an die Seite der ältesten Beamten im Dezernat setzte. Doch diese Angelegenheit hatte sich ja jetzt erledigt. Götze hatte Jessica eingestellt, keinen blutjungen Anfänger.
Florian massierte sich mit den Fingern die Schläfen, doch diese Aktion beruhigte ihn gar nicht.
Er war wie ein Vollidiot ins oberste Stockwerk gerannt, um sich zu vergewissern, ob es wirklich stimmte, ob Jessica wirklich ihren Job bei diesem Anwalt aufgegeben hatte, um in ihren alten Beruf zurückzukehren.
Doch warum hier? Warum ausgerechnet in seinem Revier?
Sie hatte sich nach ihrem unverschämten Geständnis im letzten Spätsommer komplett in Luft aufgelöst. Zuerst hatte sie ihren Handyvertrag gekündigt, sodass seine zahlreichen Versuche, sie zu erreichen, ins Leere gelaufen waren. Kurz darauf war sie aus dem Reihenhaus ausgezogen und er hatte sie und die zwei Kinder ihrer Schwester, die bei ihr lebten, weder über das Einwohnermeldeamt noch über ihren kleinen Sportwagen und das Straßenverkehrsamt ausfindig machen können. Der Wagen war abgemeldet. Die Nachmieter im Reihenhaus bestätigten ihm zwar, dass Jessica immer noch Eigentümerin des Hauses war, dass sie aber nur eine Postfachadresse von ihr hatten. Er hatte versucht, von irgendeinem Staatsanwalt den Wisch zu bekommen, um bei der Post die Meldeadresse für das Schließfach zu erfahren, doch auch hier hatte er keinen Erfolg gehabt. Ihren Job hatte sie gekündigt und Florian hatte zu dem Zeitpunkt noch nicht einmal gewusst, ob sie überhaupt noch in Kempten war. Dann hatte er ewig Christian Hanke hinterhertelefoniert, dem Mann, mit dem Jessica ihn betrogen hatte. Doch das Arschloch, das ihm wochenlang vorgegaukelt hatte, er wäre ein guter Freund, war einfach nicht erreichbar gewesen.
Alles, was Florian wollte, war eine Erklärung. Er hatte nichts bemerkt. Alles war wie immer gewesen, und plötzlich – wie aus dem Nichts – hatte sie die Beziehung beendet und war untergetaucht. Er verdiente eine Erklärung. Das war sie ihm schuldig.
Verdammt noch mal, ja. Sie war ihm das schuldig.
Seit Ende November kannte er ihre neue Adresse. Warum er nicht früher daran gedacht hatte, sich bei der Schule zu informieren, die Svenja besuchte, wusste er nicht. Als er vor dem Mietshaus stand, in dem seine Ex-Freundin mit den zwei Kindern jetzt wohnte, und er nur fremde Namen auf den Klingelschildern entdeckte, hatte er beschlossen, endlich einen Abschluss zu finden, endlich die Sache auf sich beruhen zu lassen. Sie wollte ihn nicht mehr sehen und er würde ihr nicht mehr hinterherlaufen.
»Denkst du an den Termin bei der Sicherheitsfirma, Chef?«, erinnerte ihn Berthold und lächelte ihm etwas mitleidig zu. »Wir haben nur noch 20 Minuten.« Er tippte sich auf sein Handgelenk, so als würde er eine Armbanduhr tragen, die ihn vor dem Zuspätkommen warnte, stand auf und ging zur Tür.
»Ja, klar.« Florian rieb sich mit beiden Händen das Gesicht und erhob sich ebenfalls. »Hast du die Unterlagen von der Staatsanwaltschaft?«
2
Sie öffnete die Glastür zum kleinen halbrunden Balkon im ersten Stock, trat hinaus ins helle Sonnenlicht und atmete tief durch. Der Himmel war klar, ohne jede Wolke, und die Sonne wärmte ihr Gesicht. Eine leichte Brise wehte und bewegte den Saum ihres dünnen Seidenmorgenmantels. Die winterliche Februarkälte kroch langsam ihre Beine hinauf und ließ sie frösteln, doch das helle Licht in ihrem Gesicht war so angenehm, dass sie noch einige Minuten ausharrte, bevor sie ins Schlafzimmer zurücktrat und die Tür wieder schloss.
Heute war einer der guten Tage. Heute fühlte sie sich nicht erschöpft und müde, sondern ausgeruht und innerlich von einem Frieden erfüllt, den sie schon lange nicht mehr gespürt hatte. Und sie hatte Appetit. Auf Rührei und Speck. Und Kaffee.
Die große breite Steintreppe ins Erdgeschoss hatte sie schon so viele Wochen nicht mehr betreten, dass sie an der obersten Stufe zuerst zögerte, doch dann mit einem Lächeln im Gesicht und erhobenen Hauptes hinunterschritt, als wäre sie eine Königin.
Der Eingangsbereich war groß und die überdimensionierten Fenster ließen eine solche Flut an Licht in den Raum, dass sie die Augen zukneifen musste. Ihr Zimmer im oberen Stock war seit Wochen dunkel, die schweren Vorhänge immer verschlossen.
»Luise?«, rief sie und wunderte sich selbst über ihre feste, klare Stimme. Kein Halsweh, keine Heiserkeit.
»Frau Wiedemann.« Die kleine rundliche Luise erschien in der Tür zum Salon und schaute sie erschrocken an. »Verzeihen Sie bitte, ich dachte, Sie schlafen noch. Ihr Tee ist gleich fertig.«
»Heute keinen Tee, Luise. Haben wir Eier und Speck im Haus? Ich habe so sehr Appetit auf etwas Deftiges. Und vielleicht einen Kaffee.«
Luise zögerte, betrachtete die Hausherrin zweifelnd, nickte dann aber ergeben und begab sich in die Küche.
»Ist mein Mann schon in seiner Praxis?« Frau Wiedemann war Luise in die Küche gefolgt und setzte sich jetzt an den kleinen Tisch vor dem Fenster, der den Blick in den großen gepflegten Garten freigab. Selbst jetzt im Winter wirkte er aufgeräumt und lud zum Verweilen im Freien ein. Vielleicht würde sie später einen kleinen Spaziergang zu der großen Eiche am Grundstücksende machen.
»Ich serviere Ihnen das Frühstück im Salon, Frau Wiedemann. Ich bin gleich fertig.« Luise beeilte sich, Schüsseln und Pfannen bereitzustellen und die Eier und den Speck aus dem Kühlschrank zu holen. Die Kaffeemaschine lief bereits.
»Nein, nein. Hier ist es viel schöner, Luise. Stellen Sie es einfach hier auf den Tisch.«
»Alexander Richter«, stellte der schlanke Mann in der schwarzen Uniform sich höflich vor und reichte der Dame an der Tür seinen