Weinrache. Susanne Kronenberg
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Die Hühnerstraße führte abwechselnd durch Wald und Feld, hin und wieder durchquerten sie ein Dorf. Norma fuhr langsam, achtete auf den Verkehr und hing dabei ihren Gedanken nach. Zwei Tage Arbeit lagen noch vor ihr, dann wäre das Weinfest vorüber, und sie brauchte einen neuen Job. Hoffentlich als Ermittlerin! Sie hatte innerhalb der ersten Monate als Privatdetektivin mehrere Aufträge ausgeführt; hervorragend ausgeführt, wie ihre Klienten versicherten. Jedoch, Empfehlungen benötigten Zeit. Das Thema war sensibel. Wer posaunte schon gern heraus, dass er seinen Ehepartner oder einen Angestellten beschatten ließ? Oder beabsichtigte, das zu tun? Trotzdem sah sie voller Hoffnung auf ihre berufliche Zukunft. Noch vor gut einem halben Jahr, als sie aus dem Polizeidienst ausschied, war das anders; damals stand sie vor einem Scherbenhaufen. Ihr Leben lang hatte sie sich keinen anderen Beruf als den der Polizistin und später der Kommissarin vorstellen können. Die Erkenntnis, nicht mehr fähig zu sein, die Aufgaben, die sie so liebte, weiterhin auszuüben, erschien ihr wie ein Todesurteil. Inzwischen gab sie nicht mehr ausschließlich Arthur die Schuld an ihrem Scheitern. Jeder ist seines Glückes Schmied. Aber Arthur hatte seinen Teil zu ihrem Unglück beigetragen.
Die ersten Takte von ›Yesterday‹ erklangen. Norma schaltete das Radio aus.
Arthur summte einen Teil der Melodie allein. »Immer noch so zart besaitet?«
Denk nicht daran, nicht jetzt, ermahnte sie sich. Sonst brichst du sofort einen Streit vom Zaun.
Sie konzentrierte sich auf Arthurs Worte, der auf sein aktuelles Lieblingsthema zurückkam: die Ausstattung der ›Villa Stella‹. Die neu erworbenen Leuchten seien die perfekte Ergänzung.
»Nick Reichels wird begeistert sein«, sagte er zufrieden. »Du hast sicherlich von ihm gehört?«
Wer in Wiesbaden hätte das nicht! Der junge Koch, der sich mit seinem Ehrgeiz viel Anerkennung und diverse Fernsehauftritte erkocht hatte, bildete zurzeit das Lieblingsthema der hiesigen Schickeria. Gut aussehend, von temperamentvoller Frische und mit kribbeligem Charme war dem Spross einer rheinhessischen Winzerfamilie der Erfolgssprung von der Mainzer Rheinseite hinüber nach Wiesbaden auf Anhieb gelungen. Norma war sein blendendes Zahnpastalächeln verdächtig.
»Was hat Nick Reichels mit der ›Villa Stella‹ zu schaffen?«, fragte sie verwundert.
Arthurs hintergründige Miene war selbst im Halbdunkel erkennbar. »Nick wird im ›Marcel B.‹ kochen.«
»Bruno will diesen Fernsehkoch einstellen? Davon hat er gar nichts erzählt.«
Bruno hatte in den vergangenen Tagen kein Wort über das neue Restaurant verloren, fiel Norma auf. Noch zu Beginn der Weinwoche war er unermüdlich immer wieder auf das ›Marcel B.‹ zu sprechen gekommen, wenn er am Stand nach dem Rechten sah.
»Nick übernimmt das Restaurant«, erklärte Arthur gelassen. »Bruno ist draußen.«
Sie warf ihm einen schnellen Blick zu. »Das kann Fischer nicht machen! Bruno ist sein Freund, und Bruno hat einen Haufen Arbeit und Geld in das Projekt gesteckt.«
»Der beste Freund von Moritz ist ein gutes Geschäft. Nick bietet einfach die besseren Konditionen. Die Familie hat Geld. Verfügt über beste Kontakte. Und Nick ist ein Sonnyboy. Der grinst mit seinem Lächeln alle in Grund und Boden. Das zählt heute. Nicht der altbackene Charme eines Emporkömmlings vom Schlag Bruno Taschenmacher.«
»Bruno hat schwer für den Erfolg gearbeitet! Es gibt Absprachen zwischen ihm und Fischer.«
Arthur wischte ihren Einwand mit einer Handbewegung fort. »Er hat versäumt, einen Vertrag zu verlangen. Bruno wird sein Leben lang bleiben, was er ist: der ungeliebte Sohn einer Alkoholikerin, der keine Ahnung hat, wer sein Vater ist. Die miese Herkunft hängt an ihm wie Modergeruch.«
Norma starrte durch die Regenschleier auf die im Scheinwerferlicht glitzernde Fahrbahn. Sie drosselte das Tempo. »Wie kannst du so gemein über Bruno sprechen? Er ist dein Freund seit der Schulzeit! Ebenso wie Moritz.«
Er lachte wieder. »Moritz ist mein Freund, weil wir Geschäfte machen. Und Bruno war mein Freund, solange die Geschäfte mit ihm gut liefen. Kein Geschäft, keine Freundschaft. So einfach ist das. Bruno hockt auf einem absterbenden Ast. Nimm die rosa Brille ab, mein Kälbchen!«
Auf der linken Seite wurde ein Parkplatz angezeigt. Norma riss den Wagen herum und jagte durch die Einfahrt. Der Fahrer hinter ihnen hupte.
Arthur suchte Halt am Armaturenbrett. »Hast du sie nicht mehr alle!«
Der Fiesta rollte noch, als sie sich Arthur zuwandte. »Was willst du mir damit sagen? Dass ich mein Leben lang nach Stallmist stinken werde?«
Er hob abwehrend die Hände, die seine belustigte Miene nur unzureichend verdeckten. »Willst du deine Herkunft verleugnen? Kannst du keinen Spaß vertragen?«
Sicherlich war ihre Reaktion übertrieben, aber seine Missachtung reizte sie bis aufs Blut. Sie beherrschte sich mühsam.
»Ich schäme mich nicht für meine Herkunft. Ich bin, was ich bin. Meine Kindheit, die ich nicht missen will, hat mich geprägt. Was berechtigt dich zu dieser unerträglichen Arroganz gegen alle, die nicht wie du mit dem goldenen Löffel im Mund geboren wurden? Nein, du willst mich nicht verspotten. Du willst mich demütigen!«
Er verschränkte die Arme über der Brust und verdeckte das Muster des Pullovers, den er sich im Restaurant übergestreift hatte. »Deine Haut ist verdammt dünn seit Kolumbien, Norma.«
»Meine Haut«, erwiderte sie mit eisigem Unterton, »meine Haut ist nicht dünn. Sie ist perforiert wie ein Sieb. Und wie es dazu kam, weiß niemand besser als du!«
Den Vorwurf wollte er nicht auf sich sitzen lassen. Wie immer stritt er alles ab. Stellte sich dumm. Wollte sich der Verantwortung entziehen. Weiter ging es hin und her, sie schlugen sich die Beschimpfungen wie Schwerter um die Ohren. Bis er die Tür aufstieß. Plötzlich stand er vor dem Wagen, und sie setzte den Fuß auf das Gaspedal. Aber sie hatte es nicht getan. Sie hatte ihn nicht überfahren.
Weiß der Teufel, wo Arthur steckte! Wieso verschwendete sie überhaupt einen Gedanken an ihn? Vermutlich hatte er längst ein Taxi gerufen. Oder sich von Bruno abholen lassen. Bruno brachte es fertig, im Restaurant alles stehen und liegen zu lassen und sich um Mitternacht auf den Weg zu machen, weil Arthur nach einer Gefälligkeit verlangte.
Bruno ist ein Schaf, dachte sie mitleidig. Ließ sich von seinen so genannten Freunden ausnutzen. Arthur verhielt sich keinen Deut besser als Fischer.
Doch mit ihrer Gutmütigkeit war Schluss. Sie sparte sich jeden weiteren Versuch, Arthur über das Mobiltelefon zu erreichen, und startete den Motor. Höchste Zeit, nach Hause zu fahren und aus den Sachen herauszukommen, die sie seit dem Morgen trug. Das Gewitter hatte einen kühlen Lufthauch mitgeführt, der durch das offene Fenster strich und sie frösteln ließ. Eine heiße Dusche, ein Glas Riesling und dann ins Bett. Sie war todmüde und sehnte sich nach Schlaf.
Wie unaufmerksam sie bei der Sache war, erwies sich nach wenigen