Weinrache. Susanne Kronenberg
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Verflixt! Fluchend durchwühlte sie die Holzkiste auf dem Rücksitz, bis sie die Taschenlampe zu fassen bekam. Beim Aussteigen zeigte sich die Bescherung: Beide Hinterräder steckten in einem Graben, der sich quer über den Weg zog. Eigentlich war es gar kein Weg, wie ein Schwenken des Lichtkegels verriet: Ein Halbkreis aus jungen Buchen umschloss die winzige Lichtung, vor den Stämmen wucherten Gestrüpp und Brombeeren. Die Scheinwerfer leuchteten aufwärts über die Fahrbahn hinweg und zeigten auf die Baumkronen gegenüber. Drei weitere Versuche bestätigten: Ohne Hilfe bekäme sie den Wagen nicht frei.
Sie stellte den Motor aus, löschte das Licht mit dem leisen Bedauern, kein ADAC-Mitglied zu sein, und trat, mit der Taschenlampe bewaffnet, dem Verkehr entgegen. Nachdem der vierte Wagen ungebremst an ihr vorbeigerauscht war, stellte sie sich dem nächsten frech in den Weg. Sie winkte und wirbelte mit der Taschenlampe in dem Bewusstsein, dass ihr aschblonder Haarschopf der einzige helle Fleck in der Nacht war, trug sie doch dunkle Jeans und ein schwarzes Shirt und hatte auch nicht mit bleichen nackten Armen, sondern einer sonnengebräunten Haut aufzuwarten.
Ein flinker Sprung zur Seite rettete sie, als der Wagen mit einer Vollbremsung zum Stehen kam. Der Fahrer, der sich aus dem Fenster lehnte, wirkte nicht eben erfreut über diesen Überfall. Als sie ihm ihre Lage schilderte, schaltete er wortlos das Warnblinklicht ein und lenkte den Wagen an den Straßenrand. Dann stieg er aus und trat ins Scheinwerferlicht.
Oh, Norma, dachte sie ernüchtert. Welchen Prinzen hast du dir herangezaubert!
Die Jahre bei der Polizei hatten ihre Instinkte geschärft. Dass dieser Mann kaum als Musterschwiegersohn durchgehen würde, bedurfte allerdings keiner geschulten Menschenkenntnis. Er hatte etwas Heimlichtuerisches an sich, und seine offensichtliche Nervosität hätte die Frage aufgeworfen, ob der Wagen gestohlen sein mochte, falls irgendjemand einen uralten BMW stehlen wollte. Die Motorhaube war zerbeult, und bei einem Scheinwerfer brannte nur das Standlicht. Bei näherer Betrachtung konnte selbst in dunkler Nacht die Frage aufkommen, womit der Gutachter des TÜV bestochen worden war. Oder bedroht?, überlegte sie mit stillem Spott. Ein Mann mit der Statur ihres potenziellen Retters besaß eine gewisse Überzeugungskraft. Er war, wie sie erkannte, als er ihr nun entgegen trat, kaum größer als sie mit ihren 1,75 m, aber kräftig und untersetzt und bewegte sich so geschmeidig wie ein geübter Sportler. Die Art, wie er die Arme leicht abspreizte, ließ darauf schließen, dass er einen Kampfsport betrieb. Und er wirkte nicht wie der Typ, der sich mit strikt geregeltem Judo begnügte.
Du hast es so gewollt, Norma Tann!
Sie blickte ihm entgegen, begegnete seinem abschätzigen Blick, mit dem er ihr wortlos die Taschenlampe aus der Hand nahm. Er richtete den Lichtkegel auf den Wagen; zu ihrer Verblüffung mit einem leisen Lachen.
»Ich hatte mit einem Totalschaden gerechnet. So irre, wie Sie auf der Straße herumgehüpft sind.«
Der warme Klang seiner Stimme vertrieb die Gespenster.
»Das Ergebnis einer Fehleinschätzung«, erklärte sie mit einem Lächeln. »Ich wollte hier wenden.«
»Haben Sie sich verfahren?«
»Ich suche meinen Mann. Ihnen ist nicht zufällig ein Fußgänger aufgefallen?«
Er bückte sich nach einem Stock, der unter einem Hinterreifen steckte, und ruckte daran herum. »Mir ist niemand begegnet außer einer Lebensmüden, die sich mir vor den Wagen warf! So, jetzt versuchen Sie es noch einmal.«
Er räumte einen Stein aus dem Weg, während sie den Wagen erneut startete und den ersten Gang einlegte. Im Rückspiegel erschien sein Rumpf wie ein Schattenriss und verdeckte die Hände, die er gegen die Scheibe presste. Ein Ruck, und der Wagen war frei. Sie wollte aussteigen, aber er bedeutete ihr durch ein Winken, gleich weiter zu fahren. So rief sie ihm nur einen Dank zu, bevor sie den Blinker setzte und in Richtung Wiesbaden abbog.
RÜD – WW und eine dreistellige Zahl, die sie ebenso wenig vergessen würde wie die Buchstaben des Kennzeichens für den Rheingau-Taunus-Kreis, Wiesbadens ländlichen Nachbarkreis. Seit sie ein Kind war, setzten sich Buchstaben- und Zahlenkombinationen ungefragt in ihrem Kopf fest, und Arthur, der sich kaum die eigene Telefonnummer merken konnte, neidete ihr dieses Talent.
3
Samstag, der 19. August
Norma träumte. Arthur verfolgte sie durch die Nacht. Er schleuderte eine riesenhafte Leuchte nach ihr und traf ihren Magen. Eine warme Last breitete sich auf ihrem Bauch aus, die nicht nachlassen wollte. Als sie erwachte, blickte sie geradewegs in runde Bernsteinaugen. Die schwarzen Pupillen hatten sich im Morgenlicht zu senkrechten Schlitzen zusammengezogen. Ein grollendes Knurren drang an ihr Ohr, und das Gewicht geriet ins Wanken, als ihr Besucher sich eine bequemere Lage suchte. Sie packte die Vorderpranken mit beiden Händen und schüttelte sie sanft: ein Begrüßungsritual, das ihn wie immer in Entzücken versetzte. Das Grollen schwoll an, und die ledrigen Sohlen stemmten sich gegen ihre Handflächen. Er hatte sich durch das Dachfenster eingeschlichen. Bei ihrer nächtlichen Heimkehr war sie von einer stickigen Schwüle empfangen worden und hatte im Vertrauen darauf, dass weitere Gewitterschauer ausbleiben würden, die Dachfenster aufgemacht und für Durchzug gesorgt. Nun schien die Sonne auf das Bett und überzog den Pelz des Kartäuserkaters mit einem blaugrauen Schimmer. Norma vergrub die Finger in seinem Fell und sah zum Radiowecker hinüber. Kurz nach sieben. Sie schloss die Augen und wollte, bevor sie aufstand, noch eine Viertelstunde dem genüsslichen Schnurren lauschen und den aufgeregten Morgengrüßen der wilden Papageien, die gerne in den Platanen übernachteten. Die Vögel vertrugen das milde Klima am Rhein so gut, dass mehrere 100 Exemplare verschiedener Großsittich- und Papageienarten Wiesbadens Parkanlagen bevölkerten, hatte Norma von ihrer tierlieben Vermieterin erfahren. Die grünen Halsbandsittiche bildeten die größte Population.
Das Klingeln des Telefons mischte sich in das Kreischen der Vögel. So zeitig? Das musste Arthur sein! Ein weiterer Punkt in der Liste seiner schlechten Angewohnheiten. An diesem Morgen war ihr der Anruf willkommen. Der Streit in der Nacht hätte nicht sein müssen, jedenfalls nicht in dem Ausmaß. Im sanften Morgenlicht und mit dem schnurrenden Kater auf den Knien erschien es ihr, als hätte sie völlig überzogen reagiert.
»Entschuldige, Poldi!«
Sie hob den Kater hoch, der sich widerspenstig in die Bettdecke krallte. Norma beförderte ihren Gast ans Fußende, bückte sich gähnend und tastete auf dem Teppich nach dem Telefon, bis sie es unter dem Bett entdeckte.
»Arthur! Guten Morgen!«
»Tut mir leid, wenn ich dich enttäuschen muss«, lautete die Antwort.
Bruno. Dass er schon am frühen Morgen so angespannt klang! Er nimmt sich zu viel auf einmal vor, dachte sie mitfühlend. Seit Agnieszka ihn verlassen hatte, vergrub er sich in Arbeit. Die junge Polin war seine zweite Frau. Auch die erste Ehe war schief gegangen. Und nun kam auch noch der Ärger mit Moritz Fischer dazu.
Sie lächelte aufmunternd, als stünde er ihr gegenüber. »Hallo, Bruno! Es ist nur … ich hatte gestern Abend Krach mit Arthur.«
»Wann habt ihr keinen Streit? Du nimmst zu wenig Rücksicht auf ihn, Norma!«
Als sie ihn fragte, ob er Arthur in der Nacht abgeholt habe, zeigte er sich verwundert. Er habe seinen Freund nirgendwo hingefahren, entgegnete